Im Kreis leben laut einer Studie rund 50 000 Menschen, die täglich mit funktionalem Analphabetismus kämpfen. Das Ortenauer Grundbildungszentrum hilft ihnen seit fünf Jahren, im Alltag zurechtzufinden.
Für die meisten Menschen gehört das korrekte Lesen und Schreiben seit den Schuljahren zum Alltag. Dass das jedoch keine Selbstverständlichkeit ist, zeigte bereits die sogenannte „Leo“-Studie aus dem Jahr 2018, deren Ergebnis damals hohe Wellen geschlagen hatte. Demnach sei fast jeder siebte Erwachsene in Deutschland funktionaler Analphabet – sie können also zwar wenige Wörter erkennen und schreiben, längere Texte jedoch nicht. In Summe macht das 7,2 Millionen Menschen, die sich mit diesen Grundfähigkeiten schwertun. Rund 50 000 kamen dabei aus der Ortenau.
Und ist die Zahl im Kreis seither gestiegen? „Ja“, ist sich Karin Weißer im Gespräch mit unserer Redaktion sicher. Sie ist die Leiterin des Grundbildungszentrum Ortenau (GBZ) – eine Einrichtung, die seit fünf Jahren Anlaufstelle für sogenannte Geringliteralisten ist. „Wir unterstützen Menschen bei allen Themen, die man braucht, um den Alltag zu bestreiten“, erklärt Weißer. Darunter zählen kostenlose Kurse, die etwa den Umgang mit digitalen Medien, das Rechnen, aber auch das Lesen und Rechtschreiben in den Fokus nehmen. „Besucht werden sie überwiegend von Menschen im Alter zwischen 35 und 50 Jahren“, weiß die Leiterin.
Der Stein kam 2023 ins Rollen
Angefangen hat alles in der Corona-Pandemie im Jahr 2020. Als einer von acht Zentren in Baden-Württemberg fand das Ortenauer GBZ in der Offenburger Unionrampe 4a ein Zuhause. Ursprünglich richtete sich das Angebot nur an Menschen, die Deutsch als Muttersprache sprechen. „Wir haben Aufgaben vor die Tür gelegt und sie per Telefon besprochen“, erinnert Weißer an die Arbeit zwischen Abstand halten und Kontaktverbot. Während die Nachfrage anfangs mit 64 Kursanmeldungen auf einem „desaströsen Niveau“ war, kam 2023 der Stein ins Rollen. „Wir verzeichneten 366 Anmeldungen“, blickt sie zurück. Das habe nicht nur daran gelegen, dass der Unterricht nun ohne Maßnahmen abgehalten wurde. Vielmehr war der Grund für den Ansturm, dass ab sofort auch Migranten das Angebot wahrnehmen konnten. 2024 stieg die Zahl der Anmeldungen dann auf insgesamt 527. Der Standort in Offenburg mit Außenstellen in Lahr, Kehl und Haslach sei somit der meistbesuchte im ganzen Bundesland.
Wer teilnehmen möchte, muss Grundkenntnisse beherrschen
Die GBZ-Leiterin stellt sich darauf ein, dass der Bedarf in den kommenden Jahren weiter steigen wird. „Es gibt seit diesem Jahr Änderungen bei den Integrationskursen.“ Wer diese nicht besteht, habe keinen Anspruch mehr auf Wiederholungsstunden. Viele würden demnach auf das GBZ zurückgreifen, um die Deutschkenntnisse zu verbessern. „Wir verstehen uns aber nicht als Prüfungsvorbereitung“, betont sie und fügt an: „Wir fangen auch nicht bei Null an. Wer an unseren Kursen teilnehmen möchte, muss sich verständigen können.“
Unterstützt wird Weißer, die zusätzlich noch an der Abendhauptschule unterrichtet, von einer festangestellten Kollegin und neun Honorarkräften. Gemeinsam haben sie im Jahr 2024 insgesamt 1856 Unterrichtseinheiten abgehalten. In diesem Jahr werden es dagegen lediglich 800. Der Grund: Das GBZ wird vom Kultusministerium und von den drei Volkshochschulen Lahr, Offenburg und Ortenau finanziert.
Fördergelder werden um mehr als die Hälfte gekürzt
In diesem Jahr werden die Fördergelder jedoch um mehr als die Hälfte gekürzt – und demnach auch die Unterrichtszeit. Am Vormittag werden derzeit etwa gar keine Kurse mehr angeboten. „Wir müssen an Geld kommen und suchen derzeit nach anderen Fördermitteln“, beschreibt Weißer die Lage.
Ein Grund, um Trübsal zu blasen, sei das für sie und ihre Kollegen jedoch nicht. Demnach wolle man neue Wege einschlagen und mit der Tafel oder Familienzentren zusammenarbeiten – auch in der Hoffnung, wieder mehr Muttersprachler auf das Angebot aufmerksam zu machen. „Auch hier besteht nach wie vor Bedarf. Nur spielt bei vielen das Schamgefühl eine zentrale Rolle“, möchte Weißer Unentschlossenen die Hand reichen.
Info – Kontaktdaten
Das Angebot des Grundbildungszentrum Ortenau richtet sich an Menschen im Alter von 18 bis 65 Jahren. Die Kurse sind für alle kostenlos und jeweils auf acht Teilnehmer begrenzt. Weitere Infos gibt es im Internet unter www.grundbildungszentrum-ortenau.de.