Das Berufsleben des Fellbacher Managers Rainer Lindner ist eng verbunden mit Osteuropa und der Ukraine. Foto: Schiermeyer

Rainer Lindner ist Vorstandsvorsitzender der Heine + Beisswenger Gruppe und eng verbunden mit der Ukraine. Nun wirbt der Manager um Unterstützung der baden-württembergischen Wirtschaft bei der Erneuerung des fast ruinierten Landes – nicht nur der großen Chancen wegen.

Die Ukraine liegt am Boden. Doch sieht Rainer Lindner, Vorstandsvorsitzender der Heine + Beisswenger Gruppe mit Sitz in Fellbach, in dem von Russland angegriffenen Land eine „Wiederaufbauchance“. Unbeirrt wirbt der Chef des traditionsreichen Stahl- und Metallgroßhändlers für seine Mission. Ungeachtet des Kriegs habe dort schon viel Modernisierung stattgefunden, sagt er. „Da hätten wir als innovationsstarke Wirtschaft eine große Zahl von Möglichkeiten, dies zu begleiten.“

 

Vor der Manager-Karriere war Lindner Osteuropa-Forscher und hat Bücher über die Ukraine geschrieben. Als wissenschaftlicher Ostexperte hat er die Bundesregierung für die Stiftung Wissenschaft und Politik beraten und führte von 2008 bis 2016 die Geschäfte des renommierten Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft. Später war er Osteuropa- und Afrika-Chef des fränkischen Automobilzulieferers Schaeffler. Seit 2013 ist er im Ehrenamt Vorsitzender des Deutsch-Ukrainischen Forums, eines Bündnisses von Wirtschaftsleuten und vielen anderen gesellschaftlichen Akteuren.

Wichtige Branchen hier wie dort – das könnte passen

Immer offensiver ruft er die Firmen zur Unterstützung auf – im Sommer beim UBW-Unternehmertag oder an diesem Mittwoch beim Global-Connect-Kongress in Stuttgart. Die Ukraine hat wichtige Branchen, die auch in Baden-Württemberg dominant sind: Maschinenbau und Automobilbau, Agrarwirtschaft und Verteidigungswirtschaft, IT-Wirtschaft und Logistik. Das könnte gut zusammen passen. Große Chancen gebe es ebenso bei den erneuerbaren Energien, meint Lindner.

Auch Heine + Beisswenger kauft noch Stahl in der Ukraine ein, wenngleich deutlich weniger als vor dem Krieg. „Mehrere große Stahlwerke sind unter russischer Besatzung und daher nicht mehr am Netz“, sagt der Vorstandschef. „Aber wir halten den Kontakt, denn es bleibt in der Nachkriegsphase ein wichtiger Markt.“ Die Geschäftsbeziehungen zu Russland und Belarus hat Heine + Beisswenger beendet. „Für mich als Unternehmer ist es immer wichtig gewesen, einen klaren Wertekompass zu haben.“

„Vergleichbar mit dem Szenario nach dem Zweiten Weltkrieg“

„Völlig klar“ sei, dass es in der Ukraine noch ein Sicherheitsdefizit gebe. Doch „will ich erreichen, dass sie nicht nur als ein Land wahrgenommen wird, das unter der russischen Aggression steht, sondern dass sich perspektivisch in unserer Nachbarschaft Aufbauchancen bieten, die nur vergleichbar sind mit dem Szenario nach dem Zweiten Weltkrieg.“ Zwischen 600 und 700 Milliarden Euro wird das Volumen für den Wiederaufbau geschätzt. So wurde etwa die Energie-Infrastruktur in einem Maße zerstört oder beschädigt, das dem Gesamtbedarf mehrerer osteuropäischer Staaten entspricht.

Auf zwei Wegen will der 58-Jährige seine Mission forcieren: Zunächst regt er ein baden-württembergisch-ukrainisches Wirtschaftsforum als Plattform an. Da profitiert Lindner von den Erfahrungen als Mitgründer des deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforums im Jahr 2015, nach der Krim-Annexion. Eine Plattform auf Landesebene „könnte konkreter und regionaler initiiert werden, um sich enger und operativer zu verbinden“.

Regionalpartnerschaft für Baden-Württemberg

Die zweite Idee schließt daran an: eine Partnerschaft mit einer Region im nicht besetzten Teil der Ukraine, die gerade mit ihrer Wirtschaftsstruktur und ihren Hochschulen zu Baden-Württemberg passt. Das könnte etwa Mykolajiw am Schwarzen Meer sein, eine vor allem durch Maschinenbau, Landwirtschaft und Hafenwirtschaft geprägte Region. Bereits im Frühjahr hat sich Lindner am Rande der Wiederaufkonferenz in Berlin mit dem Bürgermeister der Stadt getroffen.

Wenn er von Unternehmen gefragt wird, wie sie sich in der Ukraine engagieren können, „dann ist mein Appell eigentlich immer: Sprechen Sie Kommunen und Unternehmen vor Ort an – gehen Sie nicht unbedingt über die Zentralregierung, die mit anderen Dingen zu tun hat“. Dann fänden sich auch rasch Ansprechpartner. Anschließend gehe es schon um Wege der Finanzierung, die trotz staatlicher Unterstützung in Deutschland „eine Herausforderung“ sei.

Wirtschaftliches Potenzial auch für die USA

In den jüngsten politischen Umbrüchen wie dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA erkennt der Manager nicht nur Gefahren: „Die Wahl Trumps ist auf den ersten Blick keine gute Nachricht für die Ukraine“, sagt er. „Die amerikanischen Militärhilfen könnten spürbar nachlassen, was verheerend wäre für die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine und die Sicherheit der angrenzenden Staaten.“ Deutschland und die EU müssten dann mehr Verantwortung übernehmen. „Allerdings wird auch der neue Präsident schnell die Chancen erkennen: Der Wiederaufbau könnte für US-Firmen attraktive Geschäfte verheißen.“ In jedem Fall sei von einer Trump-Initiative auszugehen, die auf einen Waffenstillstand ziele.

Neuwahlen in Deutschland könnten der Ukraine helfen

Die baldigen Neuwahlen in Deutschland sieht Lindner für die Ukraine sogar als „gutes Signal“. Die aktuelle Bundesregierung habe die Ukraine zweifellos unterstützt. CDU/CSU seien jedoch „zuletzt sehr entschlossen in ihrer Haltung zur Unterstützung der Ukraine“. Und: „Eine neue Bundesregierung wird hoffentlich schneller die Notwendigkeit eines Ukraine-Beauftragten einsehen, den ich seit Kriegsausbruch häufig gefordert habe.“ Das Amt sei wichtig für Unternehmen, die für ihre Angebote zur Unterstützung des Landes einen Ansprechpartner bräuchten. „Manche Initiativen laufen ins Leere, weil es genau diese Ansprechperson nicht gibt.“

Auf die Frage, warum mitten im Krieg schon die Erneuerung in den Fokus genommen werden soll, hat Lindner auch eine persönliche Antwort: „Fast genauso wichtig wie die konkreten Projekte vor Ort ist das Signal an die Menschen: Wir glauben an den Wiederaufbau“, sagt er. „Wenn wir nichts tun würden, was mit Zukunft zu tun hat, würden wir denen, die dort ausharren und nicht zuletzt auch uns verteidigen, das Gefühl geben: Ihr habt uns längst aufgegeben.“

Global-Connect-Konferenz in Zeiten des Protektionismus

Austausch
 An diesem Mittwoch findet im Stuttgarter Haus der Wirtschaft die Global-Connect-Konferenz statt – mit zahlreichen wichtigen Akteuren auf den Feldern Außenwirtschaft und Internationalisierung. Ministerpräsident Winfried Kretschmann soll die Veranstaltung eröffnen. Es gibt eine große Zahl von Panels.

Globalisierung
 Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut diskutiert mit US-Generalkonsul Brian Heath, dem indischen Generalkonsul Shatrughna Sinha, Claus Paal (Präsident der IHK Region Stuttgart) und Oliver Barta (Hauptgeschäftsführer der Unternehmer Baden-Württemberg) über die gefährdete Globalisierung in Zeiten des Protektionismus. Auch die Ukraine wird ein zentrales Thema der Konferenz sein. Baden-Württemberg ist sehr exportorientiert: Der Außenhandel ist mit ca. 40 Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt ein starker Motor für die Wirtschaft, die auf offene Märkte und faire Handelsbedingungen angewiesen ist.