Rund drei Millionen Menschen werden allein in Deutschland von chronischen Ohrgeräuschen geplagt. Künftig könnte Tinnitus-Patienten mit einer ganz einfachen Behandlung geholfen werden: mit Musikhören.

Es rauscht, piept, brummt, pfeift oder knackt im Ohr, und das ständig: Tinnitus ist ein Volksleiden, allein in Deutschland sind rund drei Millionen Menschen daran erkrankt. Auslöser für solche chronischen Ohrgeräusche kann ein Hörsturz, aber auch starker Lärm, eine Infektion, Durchblutungsstörungen, Diabetes oder ein Schleudertrauma sein. Etwa ein Drittel der Betroffenen leidet im Alltag sehr unter dem Tinnitus.

"Manche Patienten beschäftigen sich nur noch mit ihrem Ohrgeräusch und versinken in schweren Depressionen", sagt Tinnitus-Forscher Christo Pantev von der Universität Münster. Als Therapie wird von Cortison über Akupunktur und Laserbehandlungen bis zu autogenem Training und Botox-Spritzen fast alles angepriesen. Eine heilsame Wirkung ist aber in den meisten Fällen nicht belegt.

Tinnitus entsteht im Gehirn

Im Rahmen einer Pilotstudie haben die Neurowissenschaftler aus Münster den neuen Therapieansatz zwölf Monate getestet. Aus 23 Tinnitus-Patienten bildeten die Forscher drei Gruppen, die alle täglich ein bis zwei Stunden Musik hören sollten. Gruppe A hörte ihre Lieblingsmusik unverändert. Bei Gruppe B wurde ein zufälliger Frequenzbereich gelöscht, bei Gruppe C derjenige Frequenzbereich, der dem individuellen Tinnitus-Geräusch der Patienten entspricht.

An dieser Stelle im Gehirn setzt auch die neue Therapiemethode an, die Neurowissenschaftler Pantev und sein Team entwickelt haben: Musikhören. Die Patienten sollen sich allerdings nicht einfach irgendwelche Popsongs, Klavierkonzerte oder Opernaufnahmen anhören, sondern Musik, die ihrem Tinnitus-Problem angepasst wurde.

Nervenzellen von Impulsen abgeschnitten

Tinnitus-Patienten können aufgrund einer Hörstörung bestimmte Tonfrequenzen nicht mehr wahrnehmen. Die dafür zuständigen Nervenzellen im Gehirn wurden von den eingehenden akustischen Impulsen abgeschnitten. "Das Gehirn verändert sich aber ständig und versucht, Störungen zu kompensieren."

Die beeinträchtigten Nervenzellen knüpfen daher unzählige neue Verbindungen zu Nachbarzellen, die für andere Frequenzbereiche zuständig sind. "Grundsätzlich ist das positiv, aber manche der neuen Zusammenschlüsse haben ungünstige Nebenwirkungen." In vielen Fällen wird der Erregungspegel im Gehirn immer weiter hochgefahren. Hyperaktive Nervenzellen produzieren schließlich eine Art Phantomgeräusch.

Hohes Aufmerksamkeitsniveau nötig

Hohes Aufmerksamkeitsniveau nötig

Durch individuell angepasste Musik, so hoffen Pantev und sein Team, lassen sich die überaktivierten Nervenzellen beruhigen und ungünstige Verknüpfungen zwischen Nervenzellen wieder auflösen. "Wir benötigen dafür ein möglichst hohes Aufmerksamkeitsniveau, deshalb nutzen wir Klänge, die die Patienten als angenehm empfinden und auf die sie sich gut konzentrieren können." Die Patienten dürfen also CDs mit ihrer Lieblingsmusik ins Labor mitbringen, egal ob Klassik, Techno oder Heavy Metall.

Der Trick der Forscher: Sie arbeiten mit Klängen, in denen die jeweilige Tinnitus-Frequenz der Patienten ausgespart ist. Sie regen also die umliegenden Nervenzellen an, damit diese wiederum auf die Tinnitus-Nervenzellen einwirken. Zu diesem Zweck filterten sie im Bereich der Tinnitus-Frequenz der Patienten das Klangspektrum einer Oktave aus den Musikstücken heraus.

Im Rahmen einer Pilotstudie haben die Neurowissenschaftler aus Münster den neuen Therapieansatz zwölf Monate getestet. Aus 23 Tinnitus-Patienten bildeten die Forscher drei Gruppen, die alle täglich ein bis zwei Stunden Musik hören sollten. Gruppe A hörte ihre Lieblingsmusik unverändert. Bei Gruppe B wurde ein zufälliger Frequenzbereich gelöscht, bei Gruppe C derjenige Frequenzbereich, der dem individuellen Tinnitus-Geräusch der Patienten entspricht.

Um ein Viertel leiser

Nach zwölf Monaten empfanden die meisten Teilnehmer aus den Gruppen A und B ihren Tinnitus als lauter oder als unverändert. Aus Gruppe C hingegen berichteten fast alle Versuchspersonen von Verbesserungen. Im Durchschnitt war der Tinnitus um ein Viertel leiser. Die Mitglieder dieser Gruppe sagten auch, dass sie das Ohrgeräusch nun als "weniger lästig" empfänden als zuvor.

In einer weiteren Pilotstudie mussten 20 Patienten ihre speziell gefilterte Musik täglich mehrere Stunden anhören. Bereits nach einer Woche stellten die Forscher fest, dass sich die Lautstärke des Tinnitus deutlich verringert hatte. Allerdings erreichten die Ohrgeräusche bereits zwei Wochen nach dem Experiment wieder die alte Lautstärke. "Für bleibende Verbesserungen scheint eine kontinuierliche Therapie nötig", sagt Pantev. "Aber Musikhören hat ja zum Glück auch einen hohen Genussfaktor."

Ob die Methode tatsächlich zur Standardbehandlung gegen Tinnitus werden kann, soll in wenigen Monaten eine Langzeitstudie mit 300 Tinnitus-Patienten klären. Außerdem hat das Team aus Münster die Musiktherapie bisher ausschließlich an Patienten getestet, bei denen das Ohrgeräusch wie ein Pfeif- oder Piepton (tonaler Tinnitus) klingt. Ob die Therapie auch bei Brummtönen oder Klack-Geräuschen hilft, weiß bisher niemand. "Aber tonaler Tinnitus ist die häufigste Ausprägung und betrifft etwa zwei Drittel aller Fälle", sagt Tinnitus-Forscher Pantev.