Hochmoderne Mähdrescher lassen sich per Satellitennavigation zentimetergenau steuern. Die langen Striche zeigen die Fahrspuren der Mähdrescher, die Pfeile die Fahrtrichtung an. Der rote Punkt gibt einen vollen Korntank an, beim grünen Punkt wurde die Ernte auf das Abtankfahrzeug übertragen. Foto: Claas

Maschinen düngen haargenau; Sensoren messen, was Pflanzen brauchen. Das ist die neue Welt der Hightech-Bauern.

Maschinen düngen haargenau; Sensoren messen, was Pflanzen brauchen. Das ist die neue Welt der Hightech-Bauern.

Stuttgart - Seit 18 Jahren forscht Stefan Böttinger, wie die Technik die Landwirtschaft verändert. Manchmal ist auch er erstaunt, was die Maschinen inzwischen leisten. „Die Technikentwicklung ist rasanter als in der Automobilindustrie“, sagt der Professor für Agrartechnik an der Uni Hohenheim. „Leider ist das dem Verbraucher selten bewusst.“ Die Zukunft der Landwirtschaft sei vollautomatisch, Landwirte mutierten zu Kontrolleuren; über Sensoren kommunizierten Pflanzen ihren Bedarf, Maschinen ernteten zum optimalen Zeitpunkt. „Die Verbraucher erfahren auch mehr über die Produkte“, betont Böttinger. „Ohne die neue Technik und die größere Effizienz könnte Deutschland mit dem Weltmarkt nicht mehr mithalten.“

Die Maschinen

„Precision Farming“ – Präzisionsackerbau – ist der Megatrend in der Landwirtschaft. Die Traktoren fahren mit Satellitennavigation (GPS) und weiteren Hilfen auf bis zu zwei Zentimeter genau, die Anhänger werden mit gesteuert. Selbst das automatische Wenden am Feldende ist schon möglich. Einer der größten fünf Landtechnik-Hersteller weltweit ist die Claas-Gruppe aus Harsewinkel. Ihr Mähdrescher-Spitzenmodell überwacht bereits während der Fahrt die Erntequalität und reagiert sofort. So messen Sensoren an der Maschine, wie feucht das Getreide beim Dreschen ist. Kündigt sich Regen an, wird die Fahrgeschwindigkeit erhöht. Bleibt es trocken, wird die Ernte langsam bei minimalem Spritverbrauch eingebracht. „Die Maschinen können viel mehr, als sich die Landwirte zu nutzen trauen“, sagt Pressesprecher Jörg Huthmann. „Der Fahrer hat nur noch eine überwachende Funktion.“

Von „punktgenauer Landwirtschaft“ spricht deshalb Johanna Link-Dolezal von der Uni Hohenheim. Das Feld werde detailliert vermessen und die Daten, wo gesät wurde, gespeichert. „Gedüngt und gespritzt wird nur, wo es notwendig ist.“ Die Landwirte sparten nicht nur Dünger und Sprit – sie seien auch schneller. Überdüngungen würden vermieden.

Die Sensoren

Bevor die Maschinen ausrücken, müssen sie Informationen über die Pflanzen abrufen. Immer sorgfältiger wird die Pflanzenentwicklung überwacht. Sensoren messen in den großen Gewächshäusern schon jetzt neben Bodentemperatur, Lichtstärke und Luftfeuchte auch den Kohlendioxidanteil in der Luft oder wie schnell Nährlösungen vom Boden aufgenommen werden. Wachstum und damit auch Qualität und der Erntezeitpunkt der Pflanzen lassen sich exakt steuern.

Auf den Feldern ist der Sensoren-Einsatz wegen der Wettereinflüsse schwieriger, doch auch hier steigt die Zahl rasant: Rund 700 000 Hektar – das entspricht der Fläche von rund einer Million Fußballfeldern – werden mit Hilfe von Stickstoff-Sensoren gedüngt, heißt es beim Deutschen Bauernverband. An den Maschinen angebracht, erfassen sie in der Vorbeifahrt die Nährstoffversorgung der Pflanze, die Düngung erfolgt nach Bedarf. „Künftig könnten Sensoren am Fahrzeug auch den Proteingehalt des Getreides oder die Strohqualität messen; Kamerasysteme unterscheiden Kulturpflanzen von Unkraut und erkennen Pflanzenkrankheiten“, sagt ein Sprecher. Die Ernte wird damit effizienter und umweltschonender eingefahren. Auch die Vorteile für den Verbraucher liegen auf der Hand: Die Lebensmittel sind weniger mit Pestiziden belastet.

Die Landwirte

Intelligente Maschinen, smarte Pflanzensensoren: Immer mehr Daten stehen den Landwirten zur Verfügung. In Echtzeit werden sie mit historischen Wetterdaten, Informationen zu Lieferanten und Abnehmern verknüpft. Böttinger spricht von „Big Data in der Landwirtschaft; das ist der große Trend. Deutschland ist hier mit an der Spitze.“

Im Idealfall verdient der Landwirt dabei mehr: „Die Landwirte können künftig viel flexibler die aktuellen Marktpreise für die Ernte einbeziehen“, sagt Professor Hans W. Griepentrog von der Uni Hohenheim. „Indem sie bei schlechten Preisen zum Beispiel nur einen Teil des Weizens ernten.“

Die Verbraucher

Und auch der Verbraucher profitiert: Er kann den Weg des Weizens aus dem Supermarktbrot bis zum einzelnen Feld zurückverfolgen, sogar auf den Quadratmeter genau. Oder er sieht, wie das Filet verarbeitet wurde – Weizen und Schwein werden gläsern. Mit dem passenden Smartphone-Programm kann der Supermarktkunde den Barcode der Schweinelende auslesen – und sieht Schwein Frieda samt Fressgewohnheiten noch lebend und in ganzer Größe auf dem Bildschirm. Immer häufiger wird das möglich sein, denn immer mehr Daten stehen digital zur Verfügung, betont Böttinger: „Was heute noch oft auf Papier erfasst ist, läuft künftig über den Computer.“

Böttinger ist davon überzeugt, dass die genauen Herkunftsangaben von Weizen und Schwein den Erzeugern beim Verkauf nutzen. „Die Landwirte können beweisen, dass sie Qualität produzieren.“ Außerdem würden Rückrufaktionen erleichtert, falls zum Beispiel das Fleisch belastet ist: „Dann lassen sich die mangelhaften Chargen genau bestimmen.“

Die Branche hat die Chancen erkannt. Das Qualitätssicherungssiegel QS dokumentiert die einzelnen Entwicklungsschritte vom Landwirt bis zur Ladentheke und schreibt dabei etwas mehr als die gesetzlichen Standards fest. Rund 123 000 Unternehmen in Deutschland nehmen daran teil, unter anderem aus den Bereichen Futtermittel, Landwirtschaft, Schlachtung, Großhandel, Obst und Gemüse. „Immer mehr Kunden fragen, woher ihre Lebensmittel kommen und wie sie produziert werden. Zweifellos ist das Potenzial groß, Produkte mit dem Siegel zu vermarkten“, sagt QS-Sprecher Christian Meyer. „Wir gehen davon aus, dass die Marktpartner diesen Bereich auch künftig ausbauen werden.