Hermann Hesse hat Calw früh verlassen – doch die Stadt ließ ihn nie los. Nun erscheint ein Band mit seinen Gerbersauer Erzählungen.
Seine Heimatstadt hat ihn ein Leben lang nicht losgelassen. Obwohl er zu seinem Geburtsort ein durchaus ambivalentes Verhältnis hatte. „Je mehr das Alter mich einspinnt, je unwahrscheinlicher es wird, dass ich die Heimat der Kinder- und Jünglingsjahre noch einmal wiedersehe, desto fester bewahren die Bilder, die ich von Calw und von Schwaben in mir trage, ihre Gültigkeit und Frische“, schreibt Hermann Hesse mit 71 Jahren über seine Heimatstadt, die er schon in jungen Jahren verlassen hat.
Den von Herbert Schnierle-Lutz und dem Kulturamt der Stadt organisierten „Gerbersauer Lesesommer“ gibt es seit 2003. Diese kleine und feine Reihe ist fester Bestandteil des Calwer Kulturlebens. Dort werden szenisch und kammermusikalisch die Gerbersauer Erzählungen des am 2. Juli 1877 geborenen späteren Literaturnobelpreisträgers präsentiert. Gerbersau – diesen poetischen Namen hat Hesse Calw gegeben. Und es war schon immer der Wunsch von Schnierle-Lutz und vielen Besuchern des Lesezyklus, dass es doch einmal einen Band mit Gerbersauer Erzählungen geben sollte.
Knapp elf Jahre lebte Hesse in Calw
Dieser Wunsch hat sich nun erfüllt. Herausgegeben von Herbert Schnierle-Lutz ist nun „Hermann Hesse: Meine kleine Stadt“ im zu Suhrkamp gehörenden Insel Verlag erschienen.
Für den Suhrkamp Verlag erschien ein Buch mit Calwer Erzählungen ein zu spezielles Thema zu sein, um eine ausreichend hohe Auflage zu erzielen. Nun hat sich die Stadt Calw bereit erklärt, anlässlich der 950-Jahr-Feier 1000 Exemplare abzunehmen. Sie werden in einem Jubiläumsschuber verkauft, teilweise auch verschenkt, wie Isabel Götz mitteilte, Fachbereichsleiterin Bildung, Kultur, Tourismus.
Knapp elf von 18 Lebensjahren war Hesse in Calw. Dann hat er die Stadt verlassen. Die Gerbersauer Erzählungen spielen in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Es sind vor allem die Erinnerungen an die unbeschwerten Lausbubenjahre im Alter zwischen neun und 13, erläutert Schnierle-Lutz.
Die Familie stand unter Beobachtung
Und so beginnt der in sechs Abschnitte gegliederte Band denn auch mit Geschichten „Aus der Jugendzeit“. Es folgen „Geschichten vom Erwachsenwerden“ und „Familienschicksale“. Schnierle-Lutz sagt dazu: „Da bildet sich der ganze Kosmos einer schwäbischen Kleinstadt ab – vom Schüler über Dienstmädchen bis hin zu Handwerkern und Kaufleuten“. Und natürlich spielen die „Geschichten über Außenseiter“ eine Rolle, denn als solcher hat sich Hesse in Calw immer gefühlt. Zumal seine Eltern Zugezogene, schwäbisch „Reig‘schmeckte“, waren. Die Familie Hesse stand deshalb unter ständiger Beobachtung. So wurden die Streiche des kleinen Hermann genau registriert, und als er in Maulbronn gegen die Schulordnung rebellierte, nach Hause geschickt wurde und sich gar psychiatrisch untersuchen lassen musste, war das natürlich Stadtgespräche.
Teils traurige, doch versöhnliche Geschichten
Alle Gerbersauer Geschichten hat Schnierle-Lutz nicht in dem Band untergebracht. „Das wäre dann mit bis zu 700 Seiten zu umfangreich geworden“, so der Calwer Publizist. Er habe sich bei der Auswahl auf Erzählungen konzentriert, die sich unmittelbar auf Calw beziehen. „Die Marmorsäge“ zum Beispiel, die im Teinachtal spielt, sei deshalb nicht berücksichtigt worden.
Zwei Lieblingsgeschichten des Herausgebers dürfen freilich nicht fehlen: „Der Lateinschüler“ und „Schön ist die Jugend“, die, so Schnierle-Lutz, beide ein trauriges und doch schönes und versöhnliches Happy End haben.
Herbert Schnierle-Lutz stellt das Buch im Rahmen einer Matinee am Sonntag, 11. Mai, ab 11.15 Uhr im Saal der Musikschule vor.