Bevor die Württembergische Schwarzwaldbahn reaktiviert werden kann, müssen noch einige bauliche Einzelprojekte wie die Umgestaltung des Althengstetter Haltepunkts umgesetzt werden. Foto: Fritsch

Das dürfte ein Vorzeigeprojekt für nachhaltige Mobilität werden: Der künftige Schienenhalt der Hermann-Hesse-Bahn in Althengstett soll zu einem multimodalen Verkehrsknotenpunkt werden. Berücksichtigt werden müssen dabei die Interessen von Radfahrern, Fußgängern, Bahnnutzern, aber auch Autofahrern.

Althengstett - Verwaltung und Gemeinderat in Althengstett befassen sich schon länger mit der verkehrlichen Erschließung und Umgestaltung des Haltepunkts, haben aber auch den Kreuzungsbereich Simmozheimer Straße, Bahnstraße und Eugen-Zeyher-Straße im Blick, der durch die Schüler- beziehungsweise Fußgängerströme schon bislang ein gewisses Gefahrenpotenzial birgt. Die künftige Gestaltung der Bereiche nördlich und südlich des Bahngleises fand am Mittwochabend insgesamt breite Zustimmung in der Videositzung des Gemeinderats, wurde in Teilen aber auch kritisch gesehen und abgelehnt.

Von einem "besonderen Konzeptansatz" für den südlichen Abschnitt jedenfalls sprach am Mittwochabend Hans-Jürgen Tögel ("tögelplan", Ingenieurbüro Verkehrsplanung und Befahrbarkeitsuntersuchungen, Möglingen). Dort soll die Bahnstraße zwischen Simmozheimer Straße und dem Parkplatz östlich des Jugendhauses auf einer Länge von rund 300 Metern als Fahrradstraße ausgewiesen werden – ein für den Radverkehr vorgesehener Abschnitt, der die Attraktivität des desselben steigern und Vorteile gegenüber dem motorisierten Verkehr schaffen soll. Gängig ist das bislang in Städten wie Freiburg, Althengstett betritt damit völliges Neuland.

Motorisierter Verkehr wird nicht verbannt

An den Planungen für den am Mittwoch vorgestellten Vorschlag waren außer der Gemeindeverwaltung und der Zweckverband Hermann-Hesse-Bahn vor allem der Arbeitskreis Verkehr MoKa (Mobilitätskonzept Althengstett) mit dem Modellprojekt "Althengstett Mobil" und den dort eingebundenen Verkehrsplanern beteiligt. Grundsätzlich geht es nicht darum, den motorisierten Verkehr gänzlich aus dem Ort zu verbannen, sondern umweltverträgliche Mobilität wird gefördert. Ohne Individualverkehr wird es in manchen Bereichen wie etwa der östlichen Bahnstraße wegen des Krankenpflegevereins und des dortigen Schuhgeschäfts jedoch nicht gehen.

Künftig gilt Tempo 30

In einem Gespräch mit der Polizei und der Abteilung Verkehr im Landratsamt war von Experten bestätigt worden, dass die Gäukommune im genannten Abschnitt eine Fahrradstraße realisieren darf. Voraussetzung: Die Straße muss umgewidmet werden. Dort gilt dann künftig Tempo 30. Mit elf Ja- und sechs Nein-Stimmen sowie einer Enthaltung stimmte das Ratsgremium diesem Teil des Konzepts zu. Wie der 300 Meter lange Abschnitt künftig genau auszusehen hat, bleibt indes offen. Es gibt zwei Varianten. Die Fahrbahn hat eine Breite von fünf Metern und es wird ein zwei Meter breiter Gehweg angelegt. Oder aber der genannte Streckenabschnitt weist eine Breite von sechs Metern auf, die dann auch von den Fußgängern genutzt werden. Bei Letzterem muss gegenüber dem Haltepunkt eine Treppe zum IBM-Wegle gebaut werden, so dass Fußgänger auch über diese Stufen auf den vorhandenen Fußweg gehen können. Die Entscheidung über die beiden Varianten trifft laut Gemeinderatsbeschluss vom Mittwochabend nun der Technische Ausschuss. An dieses Gremium wurde auch die Entscheidung verwiesen, ob auf Höhe des Jugendhauses eine neue Rampe zwischen Schienenhaltepunkt und IBM-Wegle gebaut werden soll.

Teil des historischen Gleises wird erhalten

Wie der beauftragte Verkehrsplaner weiter erläuterte, wird ein überdachter Kombibahnsteig für Schienen- und Busverkehr entstehen. Die Bushaltestelle am Schienenhaltepunkt wird zusammen mit dem Schienenhalt dort angeordnet. Die Busse können dann an dem von der Bahnstraße in ausreichendem Abstand abgesetzten Bussteig aus sämtlichen Richtungen zu- und ebenso in alle Richtungen abfahren. Dem stimmte der Gemeinderat zu, ebenso dem Vorhaben, das alte, östlich des Kombibahnsteigs gelegene Gleis mit besonderem Oberbau aus Denkmalschutzgründen zu erhalten. Zustimmung gab es auch für eine geplante Radabstellanlage westlich des Bahnsteigs. Vorgesehen ist eine abschließbare Sammelgarage in Kombination mit einer überdachten Radabstellanlage mit einem Maß von sechs auf 18 Metern. "In diesem Bereich ist künftig auch ein Angebot für Mietfahrräder vorstellbar", sagte Tögel.

Nach den Veränderungen durch Corona und dem Durchbruch des E-Bikes hält die Gemeindeverwaltung eine Zahl von mindestens 20 Prozent an zurückgelegten Wegen mit dem Fahrrad auch in Gemeinden mit starken Niveauunterschieden im Gelände wie in Althengstett für durchaus realistisch.

Auch kritische Stimmen im Gremium

Eher kritisch gesehen wurde von Teilen des Ratsgremiums, dass der Park-and-Ride/Kiss-and-Ride-Verkehr auf der Nordseite des Haltepunkte geplant wird. Diesem Punkt wurde mit zwölf Ja- zu fünf Nein-Stimmen sowie einer Enthaltung zugestimmt. Rund 30 Park-and-Ride-Stellplätze sind vorgesehen. Laut Tögel ist dieser Bereich erweiterbar. Auch eine E-Ladestation für Autos und ein Carsharing-Angebot seien dort denkbar.

Als "in sich stimmig" sowie "technisch machbar" bezeichnete Lothar Kante (SPD) die vorliegenden Pläne. Es entstehe ein leistungsfähiger Verkehrsknotenpunkt mit gefahrfreier Zuwegung. Ihm gefällt, dass nicht die Sichtweise des motorisierten Verkehrs Ausgangspunkt war, sondern dass alle, vom Radfahrer, über den Fußgänger bis hin zum Autofahrer, berücksichtigt wurden.

Ausweichverkehr befürchtet

Eine Fahrradstraße dagegen kann sich Rüdiger Klahm (CDU) im vorgesehenen Bereich nicht vorstellen. Das sei für ihn nur denkbar, wenn auf der grünen Wiese alles neu geplant werde. Nicht aber im innerörtlichen Bereich, wo dieses Vorhaben zu Ausweichverkehr in der benachbarten Bahnhofstraße führen werde.

Bürgermeister Clemens Götz war von Klahms Argumentation überrascht und warb dafür, "Lösungen für das Ganze" zu finden. Man müsse sichere Verkehrswege bieten. Das größte Problem in dieser Hinsicht sei die Kreuzung Simmozheimer Straße, Schulstraße und Eugen-Zeyher-Straße, wo täglich hunderte Schüler unterwegs seien.

Als "sehr gelungen und zukunftsträchtig" bezeichnete Thomas Schmidt (Freie Wähler) den Entwurf. "Hier ist eine Fahrradstraße noch neu, in anderen Städten und Ländern ist das üblich", äußerte sich Philipp Jourdan (Grüne). Für eine behutsame und eher schrittweise Weiterentwicklung und gegen eine komplette Überplanung des genannten Gebiets sprach sich Ratsmitglied Markus Schwarz (Unabhängige Wähler) aus. Hartmut Weber (Freie Wähler) bezeichnete das vorgelegte Konzept als stimmig. Für Neues müsse man Hürden im Kopf überwinden.

Jetzt geht es an Kostenermittlung und Förderantrag

Nach dem aktuellen Beschluss des Gemeinderats werden nun die Kosten für die Umsetzung der vorgelegten Pläne ermittelt und es wird ein Förderantrag nach den Möglichkeiten des Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes ausgearbeitet. Das soll bis Jahresmitte erledigt sein. Die Verwaltung rechnet mit einem Fördersatz von 75 Prozent. Ab 2023 sollen die einzelnen Maßnahmen zügig umgesetzt werden.

Info: Multimodaler Verkehr

Am künftigen Haltepunkt der Herman-Hesse-Bahn in Althengstett soll ein "Multimodaler Knoten" entstehen. Darunter versteht man die Verknüpfung verschiedener Verkehrsmittel des Umweltverbunds, ein Angebot von Bushaltestellen, Bike-and-Ride-Anlage, Carsharing, Taxistellplätzen und Park-and-Ride-/Kiss-and-Ride-Bereich.