Helge Schneider gastiert in Stuttgart Foto: Jan Reich

Zur Faschingszeit kommt Helge Schneider traditionell in den Beethoven-Saal der Liederhalle. In bestechender Verfassung eroberte das 60-jährige Musik- und Komikgenie sein Publikum in der Liederhalle innerhalb der ersten vier Sekunden.

Stuttgart – Als Sechsjähriger gab er Louis Armstrong Nachhilfe im Trompetenspiel. Er weiß, dass George Clooney ein Korsett trägt. Um nicht aufzufallen, nimmt er Intelligenzreduktionstabletten – jeden Morgen zehn und abends dreißig. Sein Hit „Katzeklo“ erlangte internationale Berühmtheit, beispielsweise in Japan: „Allerdings mit anderem Text – und anderer Melodie“, räumte der Star ein.

„Schön wieder hier zu sein“, verkündete der Grand Monsieur des Alberns, Helge Schneider: „Ich war vor allzu langer Zeit nicht hier!“ In bestechender Verfassung und bestens aufgelegt eroberte das 60-jährige Musik- und Komikgenie sein Publikum in der Liederhalle innerhalb der ersten vier Sekunden. Mit Blick auf das Publikum im zweiten Auftritt in Stuttgart am Mittwoch bemerkte er tags zuvor etwa: „Wenn ich an dieses Gesocks denke, das morgen kommt!“

Der Diener Bodo serviert Tee

Mit blauem Einstecktuch und feurig-orangener Krawatte am schwarzen Anzug marschierte er stilsicher zum Flügel. Im Hintergrund platzierte sich der vollbärtige Ausdruckstänzer Sergej Gleithmann. Wenig später betraten die sechsköpfige Band und der treu ergebene Bodo im roten Pagenoutfit die Bühne. Letzterem wird allabendlich die große Ehre zuteil, Maestro Schneider von vorn bis hinten bedienen zu dürfen.

So schenkte er ihm gefühlte 48 Mal vom wohl vorzüglich schmeckenden Kamillentee in die winzige Tasse nach. Imperative wie „Sitz!“ oder „Noch ‘n Schluck Tee!“ feuerte Schneider so trocken ab, dass sich manch Gast vor Lachen die Hände ins Gesicht schlug. Den Höhepunkt erreichte diese Beziehung, als Knecht Bodo einen roten Ledersessel ans Mikrofon karrte, woraufhin sein Befehlshaber gebot: „Du kannst mich doch da jetzt drauf setzen“ – und sich einfach in die Arme des Dieners fallen ließ.

Vielleicht liegt es an seinen grandiosen Jazzarrangements, an seiner Virtuosität an Klavier, Trompete, Gitarre, Saxofon, Orgel, Trommel und einfach allen Instrumenten, dass man ihm seine urkomischen Lästereien und Schikanen nicht im Geringsten übel nehmen kann: „Ich hab im Fernsehen gesehen: Helene Fischer singt Weihnachtslieder. Ich war gerührt. Gerührt, dass jemand sich so erübrigt.“ Für den dem Termin geschuldeten Karnevalstusch sorgte er a capella: Ein nüchtern gesprochenes „Bo-boo-bop“ ließ er den Pointen folgen.

Zwei Artisten am Griffbrett

Schneiders Show wirkt locker und mühelos. Dabei ist sie ein feiner Balanceakt zwischen Improvisation und konzertiertem Können überwältigender Musiker. So beliebig sein Gefasel daherkommen mag, so sicher weiß die Band, wann sie einzusetzen hat. Auch das bewusste Zurückbleiben hinter den eigenen Möglichkeiten macht dieses Faszinosum aus. Gerade heute, wo jeder drittklassige Aufmerksamkeitshascher sich für Klicks und Kleingeld zum Prahlhans macht.

Exemplarisch das E-Gitarrenduett Schneiders und seines Klampfenkollegen Sandro Giampietros: Zwei Artisten am Griffbrett, die wohl waghalsigste Soli durch die Verstärker jagen könnten, schmetterten auf den allerhöchsten Saitentönen ein paar Takte der Melodie des hierzulande durch die Interpretation Michael Holms bekannt gewordenen Schlagers „Mendocino“.

Beim Vortrag seiner eigenen Titel packt es den Mann des Abends mitunter selbst. Bei Zeilen aus dem Lied „Es gibt Reis, Baby“ prustete er kurz, während dem Rest im Raum längst Tränen in den Augenhöhlen standen. „Ich hab den Teppich rasiert, er war zu langflorig – hatte Angst, dass du dich darin verhedderst“, trällerte er. Und veredelte den Song mit einem Xylofonsolo.

Als nach Hits wie „Die Trompeten von Mexico“ und „Meisenmann“ – laut Schneider das Lieblingslied von Joachim Gauck – die Lichter angingen, waberte ein Raunen durch den Raum. Und Helge kehrte zurück ans Piano. Nach einem Loblied auf „Stuttgart am Rhein“ endete er: „Grillen sind Tiere als Pflanzen verkleidet – mit diesem (sic!) Metapher möchte ich euch nach Hause entlassen. Und bringt mir bitte nächstes Mal alle Unterlagen mit.“ Dem Dadaismus hätte man zum 100-jährigen Geburtstag kein schöneres Geschenk machen können.