Ursache der Probleme ist die Reduzierung der russischen Gaslieferungen. Foto: dpa/Stefan Sauer Foto:  

Die Gasumlage treibt die Heizkosten in die Höhe. Die Senkung der Mehrwertsteuer soll dem entgegenwirken. Ökonomen halten diese Kombination für falsch.

Mit einer Senkung der Mehrwertsteuer auf Erdgas will die Bundesregierung die Belastung der Verbraucher durch die Gasumlage lindern. Wir erklären die Hintergründe.

Geht die Rechnung auf?

Das Vergleichsportal Check 24 rechnete am Freitag vor, der Heizkostenanstieg durch die Gasumlage werde durch die Mehrwertsteuersenkung nicht vollständig ausgeglichen. Durch die Senkung der Gas-Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent werde eine Familie mit einem Jahresverbrauch von 20 000 Kilowattstunden um 433 Euro entlastet. Ohne Gasumlage wäre die Rechnung aber 518 Euro niedriger. Die Umlagekosten würden also nicht vollständig kompensiert.

Allerdings ändert sich die Rechnung, wenn der Gaspreis weiter steigt – was wahrscheinlich ist. Erhöht er sich im kommenden Jahr beispielsweise auf 21,1 Cent pro Kilowattstunde, und bleibt die Gasumlage bei zusätzlich 2,4 Cent, so würden deren Kosten bei einer Musterfamilie tatsächlich durch die Mehrwertsteuersenkung mehr als ausgeglichen. Das geht aus einer Beispielrechnung des Instituts für Makroökonomik und Konjunkturforschung (IMK) hervor. Dessen wissenschaftlicher Direktor, Sebastian Dullien, weist aber darauf hin, dass die Höhe der Umlage nur für Oktober bis Dezember feststeht. „Für 2023 ist eine Aussage sehr schwierig.“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte am Vortag erklärt, der Entlastungseffekt übersteige die „Mehrbelastung“ durch die Umlage. Damit habe er nur die Belastung durch die Steuern auf die Umlage gemeint, erklärte ein Regierungssprecher am Freitag.

Warum überhaupt eine Gasumlage?

Die Umlage wird eingeführt, weil einige Gasimporteure nach der Reduzierung der russischen Gaslieferungen zu sehr hohen Kosten Ersatz beschaffen müssen. Da sie diese Kosten nach den bestehenden Verträgen nicht sofort an ihre Kunden weitergeben können, droht ihnen ohne Unterstützung die Pleite.

Insolvenzen einzelner Versorger kämen die Verbraucher viel teurer zu stehen als die Gasumlage, erläutert Stefan Kooths, der Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel: „Kunden müssten dann zu den viel höheren tagesaktuellen Preisen Neuverträge abschließen.“ Weil aber auch die Umlagekosten mit rund 500 Euro für einen Vierpersonenhaushalt erheblich sind, schob die Bundesregierung die Mehrwertsteuersenkung hinterher.

Warum so kompliziert?

„Es stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, die Bundesregierung hätte die Gasumlage selber bezahlt“, kritisierte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Jens Südekum, Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Düsseldorf, bestätigte in einer Mail an unsere Zeitung: „Die jetzige Kombination aus Gasumlage und Mehrwertsteuersenkung ist in sich widersprüchlich. Dann hätte man die Hilfen für Uniper und Co. auch direkt aus Steuermitteln bezahlen können. Das wäre einfacher gewesen.“ Grundsätzlich allerdings hält Südekum, der dem Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums angehört, eine Gasumlage für den besseren Weg als eine Steuerfinanzierung. Begründung: „Die Gaspreise werden in den kommenden Monaten empfindlich steigen. Diese Botschaft, so unangenehm sie ist, sollte noch vor dem nächsten Winter bei allen ankommen. Nur so kriegen wir die nötigen Einsparungen beim privaten Gasverbrauch, um eine akute Gasmangellage und eine schlimme Rezession zu vermeiden.“ Kooths kritisiert, die Mehrwertsteuersenkung gefährde die Einsparziele.

Was wären mögliche Alternativen?

Besser als eine Mehrwertsteuersenkung wären gezielte Hilfen für bedürftige Haushalte – in diesem Punkt sind sich die Ökonomen Kooths, Fratzscher und Südekum einig. „Das Absenken der Mehrwertsteuer auf Gas bedeutet Hilfen per Gießkannenprinzip, von denen Menschen mit hohen Einkommen den größten Teil bekommen“, kritisierte Fratzscher. Gleichzeitig reiche die Entlastung für Geringverdiener nicht aus.

Südekum vertritt die Ansicht, zur Finanzierung gezielter Entlastungspakete für Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen hätte die Gasumlage „viel höher“ angesetzt werden müssen. In einem Interview mit dem „Spiegel“ hatte er unlängst eine Gasumlage von 15 Cent pro Kilowattstunde vorgeschlagen. „Das hat sich die Politik aber nicht getraut“, schrieb Südekum in seiner Stellungnahme an unsere Zeitung.

Neben sozialen bringt die Gasumlage weitere Ungerechtigkeiten mit sich: Einige Versorger wollen sie ihren Kunden nicht berechnen, andere dürfen es aus vertraglichen Gründen möglicherweise nicht. Auch Bezieher von Fernwärme bleiben wohl verschont.

Idee: Subventionierung des Gasgrundverbrauchs

IMK-Direktor Dullien wirbt für ein anderes Konzept: einen Preisdeckel für „einen Grundsockel des häuslichen Gasverbrauchs“. Als Orientierungsgröße nennt das IMK 8000 Kilowattstunden – das sei ungefähr der halbe Jahresverbrauch einer 100-Quadratmeter-Wohnung. Der Grundverbrauch könnte auch nach der Haushaltsgröße gestaffelt werden. Jedenfalls sollte der Staat den Preis für den Sockelverbrauch festschreiben und den Versorgern die Differenz zum Beschaffungspreis erstatten. Für den darüber hinausgehenden Verbrauch müssten die Haushalte voll zahlen, so dass der Anreiz, Energie zu sparen, erhalten bliebe. Dullien hält dieses Konzept für sozial ausgewogen, weil ärmere Menschen im Schnitt über weniger Wohnfläche verfügen und damit auch weniger Gas verbrauchen.