Schilf am Seeufer Foto: dpa

Heizen mit Schilf ist kein Problem, doch verhindert der Ölpreis ein einzigartiges Kraftwerksprojekt.

Allensbach - Heute lässt sich mit so ziemlich allem heizen, was irgendwie gärt. Am Bodensee greift man auf einen Rohstoff mit sehr lokalem Vorkommen zurück: auf Schilf. Doch das Kraftwerksprojekt will nicht so richtig in die Gänge kommen.
Einen großen Nutzwert hatte die Pflanze noch nie. In manchen Gegenden dient sie als Baustoff zum Dachdecken oder zum Dämmen, andernorts werden die Sprossen als Gemüse verzehrt oder zum Brotbacken verwendet. Sonst schmückt Schilf meist nur die Ufer von Seen - oder versperrt den Blick, je nachdem.

In Allensbach am Bodensee ist man einen Schritt weiter. Im Ortsteil Kaltbrunn soll bald das erste Schilfkraftwerk Deutschlands entstehen. Das Dorf liegt in der Nähe von Naturschutzgebieten, in denen zur Pflege der Landschaft seit jeher Schilf geschnitten wird. Ein Abfallprodukt, denn bislang wird die Sumpfpflanze ungenutzt kompostiert, was auch noch Kosten verursacht. Doch wenn alles glattläuft, könnte das Grün in einem halben Jahr als Bio-Rohstoff zum Heizen und womöglich auch noch zur Stromerzeugung dienen.

Die Technik ist simpel: Das gärende Gras erwärmt in einem Nahwärmekraftwerk Wasser, das durch eine 3,8 Kilometer lange Ringleitung in die Häuser der Bewohner von Kaltbrunn strömt und dort für wohlige Wärme sorgt. Theoretisch könnte der ganze Ort mit seinen 900 Einwohnern klimaneutral beheizt werden. Pro Jahr ließen sich so 250.000 Liter Heizöl einsparen. Der Brennwert von Schilf ist nämlich ähnlich hoch wie bei Holz. Ein Ballen entspricht in etwa 140 Liter Heizöl. Vorteil: die Technik muss nicht erst erfunden werden. In Dänemark existiert schon länger ein Verfahren zum Verfeuern von Stroh, das sich auch auf Schilf übertragen lässt.

Das Projekt ist anderthalb Jahre alt

So weit, so gut. Nur hat das Ganze einen Haken: Die Pläne sind bereits anderthalb Jahre alt. Seither kommt das Projekt nicht recht vom Fleck. "Es stagniert", formuliert Gerhard Worm, der Geschäftsführer der Initiative Energie und Landschaftspflege Bodensee (Elabo). Hauptgrund sind ausgerechnet die Bewohner. Noch immer haben sich nicht genügend Teilhaber zusammengefunden, die ihre Häuser an das Nahwärmenetz anschließen lassen wollen. Eigentlich hätte das Kraftwerk schon in diesem Winter CO2-freie Wärme liefern und Kaltbrunn autonom von den großen Versorgern machen sollen. "Wir haben 60 Verträge abgeschlossen, 20 zu wenig", berichtet Worm.

Zu Beginn des Projekts im Sommer 2008 hatten noch 100 von insgesamt 150 Hausbesitzern im Ort ihre Bereitschaft signalisiert, sich für 3000 bis 5000 Euro einen Anschluss legen zu lassen. Doch damals war auch der Ölpreis auf Rekordhoch: Seinerzeit kostete das Barrel 145 Dollar. Heute liegt der Preis um rund die Hälfte niedriger. Ein psychologisches Phänomen, weiß man doch auch am Bodensee, dass der Ölpreis mittel- oder langfristig wieder steigen wird. Die Internationale Energie-Agentur (IEA) rechnet für den Fall einer raschen Erholung der Weltwirtschaft spätestens für das kommende Jahr mit einem "extremen Preissprung".

"Die Leute denken leider nur kurzfristig", bedauert Worm, der sich dennoch nicht entmutigen lässt: Die Zeit sei reif für ein solches Projekt - schließlich bleibe der Preis für eine Kilowattstunde Strom mit circa zehn Cent relativ konstant. Wenn die Ortsbewohner nicht wollten, dann eben mit den großen Energieversorgern, sagen sich die Macher von Elabo.

Interessenten gibt es bereits

Zwei Stadtwerke und Branchenprimus EnBW haben bereits Interesse bekundet. Stiege einer als Investor ein, würde aus dem Wärmekraftwerk zusätzlich ein Stromlieferant. Andernfalls wäre der Betrieb nicht rentabel. Die Initiatoren müssten so jedenfalls nicht länger darauf warten, bis sich genügend Kaltbrunner von ihrer Öl- oder Gasheizung verabschiedet haben. Die Kosten für das Projekt belaufen sich auf zwei Millionen Euro. Bund und Land steuern gemeinsam rund ein Drittel bei. Das Land "stiftet" zusätzlich das Schilf für die nächsten 15 Jahre. Das Stuttgarter Umweltministerium spricht von einem "kleinen Baustein" in der Energieversorgung von morgen. Mit der Subvention werde in erster Linie die Erschließung neuer Energieträger bezweckt, meint ein Sprecher von Umweltministerin Tanja Gönner (CDU). Schilf als Energiespender bleibe aber wohl auf Gegenden mit viel Wasser beschränkt.

Auch die Agentur für Erneuerbare Energien begrüßt Experimente wie jenes mit Schilf. "Sie nehmen den Druck von der Landwirtschaft", meint Philipp Vohrer. Bauern kommen so weniger in die Verlegenheit, etwa Mais als reinen Energielieferanten anzubauen und sich so dem Vorwurf der Lebensmittelvernichtung auszusetzen. Das Schilf von Allensbach will außer den Kraftwerksbetreibern niemand - schon gar nicht zum Essen.