Stefan Blum und Gisela Blum zeigen eine von einem türkischen Händler gekauften Tischdecke. Foto: Paskal

Zeitzeugen berichteten in St. Georgen aus der Zeit des Dritten Reichs. Alle vorhandenen Materialien werden nun aufgelistet und festgehalten.

St. Georgen - Zu einer sehr bewegten Veranstaltung haben sich Zeitzeugen und Interessierte im Theater im Deutschen Haus getroffen. Zum Thema "Das Dritte Reich und Wir" war Clemens Tangerding als Projektmitarbeiter aus Berlin angereist. Im Vorfeld hatten Ute Scholz und Gerhard Mengesdorf bereits mit Betroffenen geredet und erstes Material gesammelt.

So hat Gerhard Mengesdorf von einem am Spittelberg Wohnenden eine Bibel erhalten. An dieser war deutlich ein Einschuss am zerfledderten Buchrücken zu erkennen. Der Besitzer erklärte, dass anrückende Franzosen den Spittelberg hoch kamen. Sein Vater stand hinter der Gardine am Fenster, der Schuss ging an ihm vorbei in den Schrank mit der Bibel.

Äußerst bewegend wurde von einem Anwesenden geschildert, wie Großmutter, Mutter und Tochter von Franzosen im Keller eingesperrt wurden. Die Granate war entsichert und nur ein beherzter Mieter, ein Belgier, der Französisch sprach, konnte den geplanten Wurf verhindern.

Ärztin Zimmermann beweist Zivilcourage

Mehrere Zeitzeugen im gleichen Alter erinnerten sich an Mutige. Lebhaft erinnern sie sich an die Lehrerin, Fräulein Herrgott, später verheiratete von Gültlingen. Sie stammte aus dem Elsass. Sie verhandelte mit den Franzosen im Rathaus und war daher maßgeblich daran beteiligt, dass St. Georgen unbeschadet geblieben ist.

Eine mutige Frau war auch die Ärztin Zimmermann, die oft Zivilcourage bewies und Übergriffe auf Zivilpersonen verhinderte. Stefan Blum war mit seiner Mutter Gisela Blum gekommen und hatte eine glänzende Tischdecke dabei. Diese hatte seine Großmutter von einem türkischen Händler gekauft. Da dieser "plötzlich" nicht mehr auftauchte, blieb diese Decke in Folie eingepackt unbenutzt liegen.

Unterkünfte für Zwangsarbeiter

Da es in St. Georgen etliche Unterkünfte für Zwangsarbeiter gab, wird ein Stadtplan erstellt, auf dem sie zu finden sind. Auch Erinnerungsstätten für Gefallene und Vermisste sollen festgehalten werden.

Als kleiner Bub hatte Hermann Bauknecht erlebt, dass zum Beispiel Zwangsarbeiter aus Russland tun und lassen konnten, was sie wollten. Sie waren nicht eingesperrt und gingen ihrer Arbeit nach. Eine Mutter arbeitete im "Ochsen" gemeinsam mit ihrer 18-jährigen Tochter, der Vater in einer Fabrik. Nach dem Krieg war er Schiffsingenieur und hatte noch lange Kontakte mit Bauknecht.

Clemens Tangerding war erstaunt, dass noch Unterlagen über diese Zeit vorhanden sind. Oft, erklärte er, hätten Besitzer viele davon aus Angst vernichtet. Gerhard Mengesdorf meinte am Schluss der rund zweistündigen Zusammenkunft: "Noch nie ist in St. Georgen so eine Aussprache geführt worden. Ich bin sehr zufrieden." Ute Scholz ermutigte dazu, zu weiteren Treffen zu kommen, zu denen weitere Personen dazustoßen können, damit das "Bild von der damaligen Zeit immer schärfer wird".

Alle vorhandenen Materialien werden nun aufgelistet und festgehalten. Weitere Treffen werden bekannt gegeben.