Zu Besuch im KBF-Kindergarten Staig / Integration funktioniert auf doppelte Art
Von Sabrina Deckert
Hechingen. Ben und Lisa spielen Mutter, Vater, Kind. Sie wollen mit ihrem Kind einen Ausflug in den Spreewald machen. "Ich will den Puppenwagen fahren", sagt Leonie. Aber Ben reagiert nicht. Lautstark macht Lisa ihrem Frust Luft und packt Ben an der Kapuze. Ben schreit zurück, aber Lisa hat sich den Kinderwagen schon erobert. Als sie kurz nicht aufpasst, klaut sich Ben den Puppenwagen wieder zurück. Eine Szene wie sie sich in jedem Kindergarten in Hechingen abspielen könnte – diese Begebenheit aber fand im Integrativen Kindergarten an der Staig statt. Und einer ihrer Akteure, Ben, sechs Jahre alt, hat das Downsyndrom. Im Umgang der Kinder miteinander fällt das aber nicht auf. Er wird genauso behandelt, wie alle anderen Kinder in Nicole Feltnicks Zwergen-Gruppe auch. Und wie in jedem Kindergarten gibt es Streit: um Spielsachen, darum wer mit wem in einer Gruppe spielt, dass die Mädchen ohne die Jungs spielen wollen oder auch darum, dass die eine der anderen die roten Schuhe weggenommen hat. Wer eine Behinderung hat und wer nicht, spielt dabei überhaupt keine Rolle. "Die Kinder lernen voneinander. Das ist für Kinder mit und auch für die Kinder ohne Behinderung ein Vorteil", erklärt Feltnick.
Die Gruppengröße von gerade einmal zwölf Kindern erleichtert den Mitarbeiterinnen die individuelle Förderung eines jeden Kindes. Ben etwa bekommt ein Mal die Woche logopädisches Training und Physiotherapie.
Jedes der Kinder bekam zum Nikolaus eine Überraschung, die der Persönlichkeit des jeweiligen Kindes entsprach. Ein Mädchen durfte in Begleitung mit einer Mitarbeiterin mit Fingerfarben an den Spiegel malen, ein Junge bekam Zeit mit seiner Lieblingsmitarbeiterin in der Turnhalle geschenkt, ein anderer darf mit allen Fahrzeugen im Hof fahren. "So was geht nur, weil die Gruppen so klein sind", sagt Feltnick. Die Kinder haben jede Menge Spaß an ihren Geschenken. Die Mitarbeiterinnen beobachten und schätzen ein, wie entwickelt das Kind ist, wo es Unterstützung und Förderung braucht.
Die Kleinsten sind zweieinhalb Jahre alt, die ältesten sind sechs. Ihre Bedürfnisse gehen manchmal weit auseinander. Wenn die Kleinen nach dem Mittagessen eher einen Mittagsschlaf gebrauchen könnten, toben die Größeren durch die Gruppenräume. Dann liegt es an Nicole Feltnick und ihrem Team, für etwas Ruhe zu sorgen: es wird gepuzzelt und vorgelesen,
"Schau mal, wir lesen jetzt das Buch vom kleinen Eisbären Lars", sagt Feltnick zu einem Mädchen. "Ups, das ist ja das türkische Buch. Das kann ich leider nicht lesen." Das Mädchen lacht.
"Wir haben ein paar Kinder aus anderen Kulturkreisen bei uns hier. Wir funktionieren also doppelt integrativ", erklärt Feltnick. Kinder mit und ohne Behinderung spielen zusammen mit Kindern aus anderen Kulturkreisen – mehr Integration geht nicht. Und wie zur Bestätigung kommen Ben und Mahmud, Hand in Hand mit roten Nikolausmützen durch die Tür gelaufen. Die Kinder lernen Toleranz in zwei Richtungen: gegenüber Menschen mit Handicap und andern Kulturen.