Als Bundestagsabgeordnete auch für den Mittelbereich Hechingen zuständig, als Staatsministerin im Bundeskabinett vorne dabei im Kampf gegen Corona. Annette Widmann-Mauz hat derzeit viel zu tun. Foto: Büro Mauz

Bundestagsabgeordnete Annette Widmann-Mauz schildert ihren aktuellen Alltag im Kabinett und Wahlkreis. Interview

Hechingen/Berlin - Annette Widmann-Mauz sitzt als Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin am Kabinettstisch. Eine Arbeit, die in Corona-Zeiten völlig neue Herausforderungen stellt. Und als CDU-Abgeordnete im Wahlkreis Tübingen/Hechingen ist sie vor Ort wichtige Ansprechpartnerin. Wie läuft das ab im Alltag? Ein Interview.

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Frau Widmann-Mauz, trifft sich das Bundeskabinett in Berlin noch trotz Kontaktverbot?

Ja, sogar häufiger als bisher durch ein zusätzliches Corona-Kabinett. Allerdings in einem größeren Raum mit genügend Abstand. Regelmäßige Treffen sind durch die Vielfalt der neuen Herausforderungen wichtiger denn je. Die Beschaffung von Schutzkleidung und Medizingeräten, die finanziellen Leistungen für Unternehmen und Arbeitnehmer – das alles muss organisiert und geregelt werden, auch in rechtlicher Hinsicht. Gleichzeitig finden natürlich auch viele Gespräche in Videokonferenzen statt.

Kanzlerin Angela Merkel war ja im Homeoffice. Wie lief das denn?

Sie war bei den Konferenzen nur zugeschaltet, weil sie direkten Kontakt zu einem Corona-Infizierten hatte. Ihre Quarantäne ist aber mittlerweile vorbei. Das ist gut. Kolleginnen und Kollegen im Kabinett und ihre Reaktionen bei wichtigen Diskussionen direkt zu erleben, das ist wichtig, auch für sie. Wir sind aber auch froh, dass sie wieder persönlich teilnehmen kann. Sie ist eine maximal disziplinierte Person, ihre meist gute Laune wirkt sich auf alle aus.

Sie sind jetzt für Migration und Flüchtlinge zuständig, waren davor aber lange in der Gesundheitspolitik aktiv. Sind ihre alten Kompetenzen noch gefragt?

Ja, die bleiben ja auch. Die Beschaffung von Schutzkleidung, Beatmungsgeräten, aber auch die Organisation von Notfallbetten und der Versorgung von Kranken insgesamt, das ist für uns alle eine enorme Herausforderung, an der wir uns in der Regierung insgesamt als Team beteiligen. Wer hier helfen kann, tut das auch. Die Probleme sind teilweise unglaublich. Lieferungen mit Schutzmasken, die bereits im Flieger nach Deutschland unterwegs sind, landen plötzlich ganz woanders. Jeder Kontakt zu Unternehmen, ob sie in China wirtschaftlich aktiv sind oder hier bei uns im Land produzieren, wird genutzt. Dazu kommt die Verabschiedung des 750 Milliarden Euro-Hilfe-Schirms für Selbstständige, Unternehmen und Arbeitnehmer, die aktuell durch die Pandemie große finanzielle Probleme haben. Wir alle im Kabinett packen gemeinsam an und managen viele Probleme auch direkt.

Aber Versorgungsengpässe gibt es immer noch. Schutzausrüstung fehlt weiterhin, Geräte auch.

Wir sind stetig dabei aufzuholen und nachzusteuern, wo die bisherigen Anstrengungen noch nicht gereicht haben. Trotzdem steht Deutschland im internationalen Vergleich gut da. Wir liegen vor der Welle, werden noch nicht überrollt. Wir haben etwa 45 Prozent freie Kapazitäten bei Notfallbetten. Und es ist nicht nur herausfordernd, noch mehr Beatmungsgeräte zu beschaffen, auch die Verteilung muss bedacht werden. Nicht jedes Gerät passt in jede Klinik, nicht überall gibt es Personal, das die Geräte auch bedienen kann. Aber glauben Sie mir, Regierung und Behörden arbeiten intensiv an Lösungen.

Die allgemeine Politik ruht derzeit also?

Wir setzen klare Prioritäten. Der Schutz der Bevölkerung steht an erster Stelle. Parteiinterne Fragen nach der Parteiführung und solche Dinge, das ruht. Die CDU arbeitet aber beispielsweise weiter an ihrem Grundsatzprogramm, entwickelt neue Konzepte in der Familienpolitik und berät, welche Maßnahmen notwendig sind, um mehr Frauen in die Parlamente zu bringen.

Als Staatsministerin sind Sie für Flüchtlinge und Migranten zuständig. Gerät das in den Hintergrund?

Absolut nicht, Corona ist ja auch hier ein wichtiges Thema. Es gibt Migranten, die noch nicht so gut Deutsch sprechen und auch häufig nicht-deutsche Medien nutzen. Auch sie müssen über die aktuellen Auflagen und Förderprogramme informiert werden. Denn es kommt auf jeden und jede Einzelne an. Mein Team und ich, wir nutzen intensiv soziale Medien und sind im Austausch mit Radioprogrammen und Zeitungen in unterschiedlichen Sprachen. Auf unserer Homepage bündeln wir gesicherte Informationen der Bundesregierung in bis zu 17 Sprachen. Von Russisch bis Farsi.

Damit sich auch Migranten an das Kontaktverbot halten?

Das auch. Es gibt auch unter ihnen Analphabeten, wie sollen die sonst erfahren, was von ihnen gefordert wird, wenn nicht durch passende, leicht zugängliche Informationen? Wir informieren aber auch den türkischen Kleinunternehmer, wo er finanzielle Hilfe kriegen kann, über andere Förder- und Unterstützungsprogramme. Wir wollen allen durch diese schwere Zeit helfen, soweit das möglich ist.

Dazu kommen ja auch noch die Asylbewerber.

Genau. Auch in den Unterkünften müssen die Vorgaben umgesetzt werden, Abstand zu halten. Und es muss Quarantäne-Kapazitäten geben. Das muss gut organisiert sein. Wir haben glücklicherweise nicht alles, was 2015 geschaffen wurde, wieder abgebaut. Das hilft uns jetzt. Derzeit schwierig ist auch die Durchführung von Asylverfahren. Kontakte zu Anwälten und ehrenamtlich Engagierten sind für die Betroffenen nur wenig möglich, auch die Behörden sind in ihrer Arbeit eingeschränkt. Wir haben geregelt, dass wir ablehnende Bescheide vorrübergehend nicht zustellen, damit kein Asylbewerber wichtige Fristen versäumt.

Können Sie auch einen Teil Ihrer Arbeit im Homeoffice erledigen?

Mir geht es wohl wie vielen. Ich bin jetzt mehr zu Hause. Normalerweise komme ich sonst nur selten vor 23 Uhr heim, aber dann ist eigentlich auch richtig Feierabend. Jetzt bin ich mehr zu Hause, aber arbeite dort viel mehr als sonst. Das verlangt von der Familie viel Verständnis.

Haben Sie überhaupt noch Zeit, sich um die Probleme vor Ort in Ihrem Wahlkreis zu kümmern?

Die nehme ich mir. Ich biete jetzt mehr Sprechzeiten. Die Nachfrage ist auch sehr groß. Verunsicherte Unternehmer, die nicht weiter wissen, Gastronomen, die Angst vor der Insolvenz haben, Menschen, die im Tourismus tätig sind – sie alle machen gerade harte Zeiten durch. Aber auch die Bereiche, die besonders gefordert sind, wie Medizinerinnen und Mediziner, melden sich bei mir. Ich gebe ihnen Informationen und Kontaktadressen, berate sie da, wo ich das kann. Aber es melden sich auch Menschen, die ganz andere Anliegen haben. Ich nehme mir Zeit. Auf meinen Fahrten zwischen Ländle und Berlin habe ich eigentlich durchgehend den Telefonstöpsel im Ohr.

Die sonstigen Kontaktmöglichkeiten zum Volk sind ja auch für Sie eingeschränkt.

Ja, die Veranstaltungen und Feste, auf denen ich mich mit vielen Menschen austauschen konnte – sie fehlen. Dafür beteiligen sich über die Konferenz- und Telefonschaltungen aber auch mehr Menschen am Austausch, die vorher nicht persönlich zu einem Treffen fahren konnten. Das bringt dann auch wieder mehr Kontakt. Ich möchte diese zusätzlichen Möglichkeiten weiter nutzen, auch wenn diese schwere Zeit vorbei ist.

Wird die Corona-Epidemie Deutschland verändern?

Das hängt von uns allen ab. Wir können zeigen, dass wir ein starkes und solidarisches Gemeinwesen sind. Vermieter, die bei Kurzarbeit übergangsweise Nachlässe gewähren, Kunden, die die Online-Angebote ihrer Geschäfte vor Ort nutzen, Menschen, die Senioren in der Nachbarschaft Hilfe anbieten. Wir können uns gegenseitig beweisen, wie stark, kreativ und solidarisch dieses Land ist. Und wenn wir alle dieses Gefühl haben, werden wir auch wieder gut in ein normales Leben zurückkehren können.

Welches Bild wird Ihnen dann wohl von Corona in Erinnerung bleiben?

Wenn man mal die Arbeit und alles, was damit zusammenhängt, weglässt, ist es der Anblick der leeren Straßen in Berlin. Normalerweise ist hier Stau, tausende Radler, Cafes und Kneipen haben offen, Menschen drängeln sich. Und wenn ich hier jetzt abends unterwegs bin, ist alles völlig leer und still. Das ist ein wirklich seltsames Bild. Das vergesse ich sicher nicht mehr. Wie alle anderen hoffe ich wirklich, dass das bald vorbei sein wird.