Mezzosopranistin I-Chiao Shih (rechts) mit dem Liedbegleiter Clemens Müller am Klavier Foto: Beyer. Foto: Schwarzwälder Bote

Kultur: Bei "Fünf-nach-Vier" treten Mezzosopranistin I-Chiao Shih mit Liedbegleiter Clemens Müller auf

"Lieder des Abschieds – jüdische Komponisten in Wien um 1900", so hieß das neuerliche Konzert der Nachmittagsveranstaltungsreihe "Fünf-nach-Vier" in der Alten Synagoge in Hechingen.

Hechingen. Dabei boten die aus Taiwan stammende und international renommierte Mezzosopranistin I-Chiao Shih mit dem Liedbegleiter Clemens Müller am Klavier Kostproben der hier eher selten zu erlebenden Interpretation einer besonderen Form des Kunstlieds, welche um die Wende zum 20. Jahrhundert in der Hauptstadt des österreichischen Kaiserreichs entstand. Gustav Mahler (1860 bis 1911) dürfte den meisten Menschen ein Begriff sein. Vielleicht auch noch Hugo Wolf (1860 bis 1903), aber bei Franz Schreker (1878 bis 1934) und bestimmt bei Erich Wolfgang Korngold (1897 bis 1957) müssen doch so Einige passen, weil deren Werke eher selten zu Gehör kommen.

In der Tat wollten sich viele diese tönend bewegte Rarität nicht entgehen lassen. Der überwiegende Teil der Konzertbesucher kam von auswärts, darunter auch emeritierte Professoren aus der Universitätsstadt Tübingen, was schon andeutet, dass es sich hier um Perlen der Musik geht. Genauer um eine durchaus als einzigartig zu bezeichnende Form des Kunstlieds in den Umbruchzeiten von Spätromantik, Jugendstil und Moderne.

Dank des höchst informativen Moderationsbeitrag von dem aus Hechingen stammenden Liedbegleiter Clemens Müller erschlossen sich den Besuchern auch manche Artefakte beim Vortrag, wie eine besondere Phrasierung oder bestimmte Intervallsprünge.

Verständlichkeit der deutschsprachigen Texte nicht immer eindeutig

Wobei die Sängerin hier auch Oktavsprünge in glockenklarer Intonation anzustimmen vermochte. Mit der Verständlichkeit der deutschsprachigen Texte war es jedoch nicht immer eindeutig, weshalb es hilfreich war, dass diese im Programmheft abgedruckt war. Insbesondere dank Müllers Einfühlungsvermögen gingen der Gesangs- und der Klavierbeitrag eine symbiotisch anmutende Einheit ein, die zum Balsam für die Ohren wurde. Die Textvorlagen für die Komponisten stammten von Leo Tolstoy (1828 bis 1910), Theodor Storm (1817 bis 1888), Eduard Mörike (1804 bis 1875) oder Friedrich Rückert (1788 bis 1866) – um nur die Bekanntesten zu nennen. Über Rückerts "Kindertodtenliedern" erklang eine von Gustav Mahler ersonnene, zu Herzen gehende Komposition, die treffend das Leiden des Dichters über den Tod seiner zwei Lieblingskinder unterstreicht. Rückert beschreibe im Gedicht den Schmerz nach allen Regeln der Trauerphasen, erklärte Clemens Müller. Also die Phasen der Leugnung, des Zorns, des Verhandelns, der Depression und der Akzeptanz – wie sie einst die Psychoanalytikerin Elisabeth Kübler-Ross (1926 bis 2004) beschrieb. "Oft denk’ ich, sie sind nur ausgegangen", heißt es gleich zu Anfang im Rückert-Text, der letztlich die Machtlosigkeit des Vaters beim Verlust der geliebten Kinder verdeutlicht und entsprechend dramatisch, aber großartig passend von Mahler vertont wurde. Im zweiten Lied ("In diesem Wetter") finden sich dann die Selbstvorwürfe des Leidenden, wenn es im Refrain heißt: "In diesem Wetter, in diesem Braus, nie hätt’ ich gelassen die Kinder hinaus. Man hat sie getragen hinaus, ich durfte nichts dazu sagen!"