"Es hat sich was verändert": 70 Vertreter der offenen Jugendarbeit tagten gestern in Bisingen. Das Problem: den Jugendhäusern läuft allmählich die "Kundschaft" weg. Foto: Rath

Sozialarbeit am Scheideweg. Kreisjugendpfleger: "Nur aufschließen reicht nicht mehr".

Bisingen/Hechingen - Offene Jugendarbeit am Scheideweg: Vielen Jugendhäusern läuft offenbar die "Kundschaft" weg. Woran liegt das? Mit diesem Thema befassten sich gestern Sozialarbeiter auf einer Tagung in Bisingen.

Es hat sich was verändert, schleichend. Immer öfter sitzen die Sozialarbeiter alleine oder nur noch mit einem kleinen Häufchen Jugendlicher in ihren Treffs. Florian Sülzle, Stefanie Mesch und Christine Witzemann sind in der offenen Jugendarbeit tätig. Auch sie haben den Trend bemerkt. Ihre Vermutung: "Die Jugendlichen sind mittlerweile zu kaputt dafür." Durch den Trend zur Ganztagsschule hätten sie immer weniger Freizeit. Wer dann noch in einem Verein sei, habe die ganze Woche über "volles Programm". Keine Zeit mehr fürs Jugendhaus? Vom gestrigen Seminar in der Hohenzollernhalle, an dem rund 70 Jugend-Sozialarbeiter aus der Region teilnahmen, erhofften sie sich Lösungen.

Die gab es, wenngleich die Antworten für den einen oder anderen unbequem ausfielen. Alex Schülzle kennt das Problem. Er ist Kreisjugendpfleger des Landratsamts Zollernalb und Organisator der Fachtagung für die Kollegen der offenen Jugendarbeit in den Kreisen Zollernalb, Reutlingen und Tübingen. Referenten schickte die Arbeitsgemeinschaft Jugendfreizeitstätten Baden-Württemberg.

Für Schülzle ist es zu kurz gegriffen, den Besucherschwund in den Jugendhäusern nur auf die Ganztagsschule zurückzuführen. "Es gibt Veränderungen. Darauf muss man sich einlassen und sich drauf einstellen", sagt er. Klar, wenn Jugendliche den ganzen Tag in der Schule verbringen, mache es keinen Sinn, "das Jugendhaus dienstags von 14 bis 18 Uhr aufzumachen". Der Zeitpunkt sei mittlerweile falsch. Trotzdem blieben die Öffnungszeiten oft die alten, was vor allem "ein Problem der Arbeitszeit" sei. Außerdem reiche es nicht mehr aus, das Jugendhaus "einfach aufzuschließen". Offene Jugendarbeit müsste stärker "mit Inhalten" gefüllt werden. Man müsse Jugendlichen "etwas anbieten".

Internetcafés überflüssig

Die Funktion als reinen Treffpunkt hätten viele Jugendhäuser verloren, auch bisherige "Magnete" wie das Internetcafé zögen nicht mehr. Schülzle macht mit dem Zeigefinger Blätterbewegungen in der Luft. "Das hat sich verändert", sagt er, und meint: Wenn praktisch jeder ein Smartphone mit Internetanschluss in der Tasche habe, sind Internetcafés überflüssig. Schnee von gestern, überholt. Jugendliche tummeln sich heute in sozialen Netzwerken wie "facebook". Das ist der neue Treff: das Internet. Sie brauchen dazu keinen Raum mehr.

Dazu komme der Wandel der Gesellschaft, die Zahl der Kinder geht zurück. Das riss auch Bürgermeister Joachim Krüger an. 1000 Kinder und Jugendliche besuchen das Bisinger Schulzentrum, "noch", schränkte er ein. Trotzdem stehe die Gemeinde zur professionellen Jugendarbeit, nicht nur an der Schule. Die Erfahrung: Vor 20 Jahren gab es in Bisingen das erste Jugendhaus, aber nicht lange. Es fehlte ein inhaltliches Konzept, irgendwann gingen genervte Nachbarn mit Erfolg auf die Barrikaden. "Bumms, war die Hütte zu", so Krüger.

Auch Landrat Günther-Martin Pauli legte ein Bekenntnis zur offenen Jugendarbeit ab. "Sie ist erforderlich, und der Kreis wird hier noch mehr investieren", versprach er. In einer "digitalen Welt", die sich rasant verändere und in der "vieles schiefläuft", sei offene Jugendarbeit notwendig. Dabei dürfe es "keine Tabus" geben. "Wir müssen uns den Veränderungen stellen."

Für Alex Schülzle war es eine erhellende Tagung. "Offene Jugendarbeit und Schulsozialarbeit stehen nicht in Konkurrenz zueinander." Dafür seien die Aufgaben auch zu verschieden. Es gebe "Möglichkeiten für Synergieeffekte" und zur Zusammenarbeit. Die offene Jugendarbeit hätte jedoch nach wie vor ihre Existenzberechtigung, müsse sich den neuen Lebenswirklichkeiten allerdings anpassen.