Was ist wirklich geschehen? (Symbolfoto) Foto: andranik123 adobe_stock.de

12-Jähriger bezichtigt Onkel. Im Verlauf von Prozess tauchen immer mehr Widersprüche auf.

Hechingen - Der sexuelle Missbrauch von Kindern ist ein sehr ernstes Thema. Häufig steht dabei Aussage gegen Aussage. Das Landgericht Hechingen verhandelte einen Fall, bei dem ein 12- Jähriger mutmaßlich von seinem Onkel misshandelt wurde. Doch im Verlauf des Verfahrens tauchten immer mehr Widersprüche auf.

Im gleichen Bett geschlafen

Als der Angeklagte den Gerichtssaal betritt, macht er auf den ersten Blick nicht den Eindruck, als wäre er zu dem fähig, was ihm ein 12-jähriger Junge vorwirft. Der Angeklagte soll mit ihm im gleichen Bett geschlafen haben und ihm an den Penis gefasst haben. Anschließend soll der Junge nachts geflohen sein und bei einem Freund übernachtet haben. Doch von Anfang an:

Der Vater des Jungen befand sich zum Tatzeitpunkt beruflich in Italien und übergab den Jungen in dieser Zeit für etwa eine Woche in die Obhut seines Onkels – dem Angeklagten. Da der Angeklagte in einem sehr kleinen Zimmer wohnt, hat er mit dem Jungen im gleichen Bett geschlafen. Dies sei allerdings "nichts besonderes", gab der Angeklagte an. Als er vor einigen Jahren von Rumänien nach Deutschland kam, habe er mit dem Jungen "fünf Monate lang" im gleichen Bett geschlafen. Zum damaligen Zeitpunkt hatte er noch keine eigene Wohnung und daher bei dem Vater des Kindes übernachtet. Der Vater wusste, dass er im gleichen Bett schlafen würde und hatte keine Bedenken.

Geburtstagsparty verboten

An einem Abend lagen sie zu zweit im Bett und schauten zusammen einen "Actionfilm" auf dem Handy des Angeklagten. Der Junge soll hierbei sein Bein über das des Angeklagten gelegt haben, so die Schilderung des Angeklagten. Hierbei habe er gespürt, dass der Penis des Jungen "hart war". Aus Scherz soll er zu dem Jungen anschließend sinngemäß gesagt haben, dass er "langsam zum Mann wird". Dabei soll es aber geblieben sein.

Im Vorfeld hatte der Junge an dem Abend mehrfach den Wunsch geäußert, dass er zu einer Geburtstagsparty eines Freundes gehen wolle. Dies habe der Angeklagte allerdings nach Rücksprache mit dem Vater nicht erlaubt, da er am nächsten Tag bereits um 3.30 Uhr zur Arbeit aufstehen musste. Der Junge hätte ihn hierbei den ganzen Tag über begleiten sollen.

Bevor sie eingeschlafen sind, habe er dem Jungen sein Handy überlassen, damit dieser noch im Internet surfen konnte. Nachts erkannte der Angeklagte schließlich, dass der Junge mitsamt seinem Handy verschwunden war. Er habe einen "großen Schreck" bekommen, da er "für den Jungen verantwortlich" war. Er vermutete, dass der Junge sich zu dem besagten Kindergeburtstag aufgemacht hätte, konnte allerdings nichts tun, da er ohne sein Handy niemanden anrufen konnte. Am nächsten Tag erfuhr er, dass der Junge bei einem Freund übernachtet hatte.

12-Jähriger sagt unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus

Die Aussage des Jungen fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, um die Persönlichkeitsrechte des 12-Jährigen zu schützen. Als weitere Zeugin wurde die Mutter des Freundes vernommen, bei dem der Junge die folgenden Tage übernachtet hatte.

Die Mutter erzählte, dass der Junge abends bei Ihnen klingelte und fragte, ob er bei ihnen übernachten könne. Da sie ihn kaum kannte und auch den Vater nicht erreichen konnte, erlaubte sie es nicht. Anschließend soll er "weniger als zehn Minuten später" wieder gekommen sein und geweint haben. Er soll gesagt haben: "Darf ich übernachten, mein Onkel hat seine Hand auf mein Unterteil gelegt." Die Mutter war überrascht und meinte, dass er so schnell gar nicht zurück zu seinem Onkel gekommen wäre.

Erneut wollte die Mutter seinen Vater kontaktieren. Mit dem Handy des Angeklagten, dass der Junge dabei hatte, konnte sie ihn schließlich erreichen. Vor dem Gespräch soll der Junge mehrmals darum gebeten haben, dem Vater nicht zu erzählen, dass "etwas mit meinem Onkel passiert ist".

Kinder verhielten sich ganz normal

Die folgenden Tage hat er bei der Familie des Freundes verbracht, sich aber laut Aussage der Mutter und ihrer zwei Kinder ganz normal verhalten haben. Der vermeintliche Vorfall kam nicht mehr zur Sprache.

Bei der Vernehmung der Eltern des 12-Jährigen fragte Richterin Irene Schilling auch: "Trauen sie ihrem Sohn zu, dass er gelogen haben könnte?" Die Mutter wusste nicht so recht, wie sie darauf antworten sollte, da sie ihr Kind vor Gericht nicht als Lügner darstellen wollte. Sie sagte aber auch: "Ich muss dazu sagen, dass mein Sohn manchmal ganz übel lügen kann." Sie erzählte von einem Vorfall, bei dem ihr Sohn das Jugendamt angerufen hatte und fälschlicherweise erzählt habe, dass seine Mutter ihn verprügelt habe.

Der Vater formulierte es wesentlich drastischer. Auf die Frage der Richterin, ob sein Sohn lügen würde, antwortete er: "Ja, 100-prozentig!" Nach dem Vorfall habe er seinen Sohn häufig auf den vermeintlichen Missbrauch durch den Onkel angesprochen. Der 12-Jährige sei aber stets ausgewichen und hat gesagt: "Lass es. Das erzähle ich dir schon noch." Nachdem die Beweisführung geschlossen war, hatte der Angeklagte das letzte Wort. Er sagte: "Ich will einfach nur, dass es endlich vorbei ist."

Im Zweifel für den Angeklagten

Am Ende wurde der Angeklagte freigesprochen. In ihrer Urteilsbegründung sagte die Richterin: "Im Ergebnis bin ich weder von dem einen, noch von dem anderen überzeugt. Es gilt allerdings der Grundsatz: In dubio pro reo – Im Zweifel für den Angeklagten." Der Junge soll der Polizei gesagt haben, dass der Onkel ihn im Bett unsittlich berührt hätte. Später erzählte er allerdings, dass er unter der Dusche belästigt worden sei. Beide Eltern trauten dem Kind außerdem die Lügen zu. Darüber hinaus würde es für die Glaubwürdigkeit des Angeklagten sprechen, dass er die kuriose Situation mit dem erigierten Glied des Kindes angesprochen habe. Ein Sexualstraftäter würde eine solche Situation nicht freiwillig schildern, da es ihn eher selbst belasten würde. "Es gibt einfach zu viele Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Kindes", so das Fazit der Richterin.