Maxi und Axel Ruoff vor den Wohnwagen der Schausteller-Familie. Hier leben sie, seit der Shutdown ihr Geschäft völlig zum Erliegen brachte. Sie werden am Donnerstag in Stuttgart demonstrieren, denn sie befürchten das Zusammenbrechen einer ganzen Schausteller-Branche durch die Corona-Auswirkungen. Foto: Stopper

Eine ganze Branche geht auf den Abgrund zu. Nicht nur Betrieb, sondern auch Familiengeschichte.

Hechingen - Mit ihrem "Jaguar" wären sie jetzt eigentlich ständig auf Achse. Aber stattdessen sitzt die Hechinger Schausteller-Familie Ruoff zu Hause fest, lebt in den Wohnwagen in der Fahrzeughalle und hofft nun, dass wenigstens die Weihnachtsmärkte stattfinden.

Immerhin: An diesem Donnerstag sind Axel, seine Frau Cornelia und Tochter Maxi mal wieder mit dem großen Kran-Truck unterwegs, der sonst ihre Fahrgeschäfte durch die Gegend schleppt. Ziel ist eine Schausteller-Demo in Stuttgart. Forderung: Die Politik darf die Schausteller und all die anderen Berufe, die von diesen abhängig sind, nicht weiterhin einfach vergessen. "Wir brauchen eine Perspektive", sagt Axel Ruoff bestimmt.

Auch in Berlin wurde demonstriert

Wie ernst es ihnen ist, zeigt sich daran, dass sie vor einer Woche bereits in Berlin bei einer großen Schausteller-Demo waren. 1500 Zugfahrzeuge haben die Hauptstadt eine Zeit lang lahm gelegt. "Dabei waren wir eigentlich fast zu brav", meint Maxi Ruoff. Aber Schausteller seien eben an extreme Disziplin gewöhnt, das schüttle man nicht einfach ab.

Vier Monate ist es jetzt her, dass ihr gesamtes Leben von einem auf den anderen Tag aus den Fugen geriet. Nach der Weihnachts- und Eisbahnsaison legt die Familie bis Ende Februar immer eine Winterpause ein und ist dann auch wirklich mal ein paar Wochen am Stück in Hechingen. Und dann das, als es wieder los gehen sollte: Shutdown wegen Corona. Volksfeste und große Veranstaltungen waren das erste, was abgesagt wurde, gleich versehen mit der Ansage, dass sie wohl auch als eine der letzten Branchen wieder loslegen dürfen.

Unverständnis, wenn man in Supermärkte schaut

"Eigentlich komisch", sagt Maxi Ruoff. Ihr Essensstand und auch der "Jaguar", eine 40 Jahre alte Wellenbahn, die auch schon traditionell auf dem Hechinger Irma-West-Kinder- und Heimatfest aufgebaut wird – all das seien Freiluft-Attraktionen, wo die Ansteckungsgefahr eher gering sei "und im Kaufland in Hechingen geht es zu bestimmten Zeiten mindestens so turbulent und eng zu wie während der drei Tage auf dem Weiherfestplatz."

Klar, ein Einkaufszentrum gilt als "systemrelevant", aber "die Leute unterschätzen leicht, was für ein Wirtschaftsfaktor die Volksfeste sind", erklärt Axel Ruoff. Da müsse man nur mal frühmorgens auf so einen Rummelplatz schauen, wenn Getränkelaster, Metzgereien, Bäckereien und Werkstattfahrzeuge anrollen. Alles im Morgengrauen, denn zum Öffnungstermin muss ja alles wieder tipptop aussehen. Nicht zu vergessen die Dienstleister wie Security-Firmen, Sanitäter, Werbefirmen, Medien, sonstige Helfer. Fünf Angestellte hat alleine die Firma Ruoff, "und dann rechnen Sie das mal hoch mit all den Fahrgeschäften, die da rumstehen."

Fallen Weihnachtsmärkte aus, wird es für viele Schausteller ganz eng

Klar sei, die Sommer- und Herbstsaison habe man bereits abgeschrieben, "aber wenn auch die Weihnachtsmärkte noch ausfallen, wird es für viele Schausteller ganz eng", erklärt Axel Ruoff. Er hat die vergangenen Wochen daran getüftelt, die Gastrohütte der Ruoffs coronamäßig auf Vordermann zu bringen. Schweißen, anmalen, Abstandsmöglichkeiten schaffen. "Die Kosten hat man jetzt, die Einnahmen sind aber ungewiss", sagt er.

Und die Hilfe vom Staat sei kaum der Rede wert gewesen. "Unbürokratisch, wurde uns versprochen, da lache ich", sagt Cornelia Ruoff. Zwölf Seiten Formulare, "die man von vorne bis hinten kaum verstanden hat". Ohne ihren Steuerberater hätte sie da keine Chance gehabt, den relativ geringen Betrag zu erhalten, der die Ausgaben für etwa einen Monat gedeckt habe.

Aber es geht ihnen weniger um Zuschüsse, "wir wollen unser eigenes Geld verdienen", sagen sie. Ganz wichtig wäre den Ruoffs und allen anderen Schaustellern, dass die Politik ein klares Signal geben würde, dass man bis zum Winter solche Veranstaltungen wieder erlaubt, "wenn es halt irgend geht." Klar, wenn eine neue Infektionswelle über das Land schwappe, sei wohl nichts zu machen, "aber man darf sich die Entscheidung zum Absagen dann wirklich nicht leicht machen, da hängen Existenzen dran", sagt Axel Ruoff.

Nicht nur Betrieb, sondern auch Familiengeschichte

Und das seien dann unwiederbringliche Verluste, ergänzt seine Frau Cornelia. Manche Schaustellerfamilien könnten ihre Geschäfte über hunderte Jahre zurückverfolgen, die Ruoffs selber kommen leicht auf fünf Generationen Schaustellertradition, "ein bissle Zirkus ist da auch dabei", sagt sie stolz. Wer da einen Betrieb aufgeben müsse, für den breche nicht nur ein Einkommen weg, sondern dann ende eine ganze Familiengeschichte.

Bei den ersten, denen die Luft ausgeht, seien sie zwar wohl nicht, betont Familie Ruoff. Ihre Halle und ihre Fahrgeschäfte sind abbezahlt. Das können längst nicht alle Schausteller sagen. Aber sie wollen auch einfach wieder raus. "Mein ganzes Leben lang war ich noch nie so lange an einem einzigen Ort", sagt Cornelia Ruoff. Natürlich seien sie auch richtige Hechinger mit vielen Freunden und Bekannten in der Stadt. Aber es gibt auch ihre zweite Heimat, den Rummelplatz, wo sie Kollegen treffen, verwandte Schausteller. "Das ist ein hartes Leben mit wenig Schlaf und viel Arbeit, aber für mich ist es ein perfektes Leben", betont Maxi Ruoff. Und auch dafür, dass sie das wieder leben kann, wird sie am Donnerstag in Stuttgart demonstrieren.