Im Prozess gegen Azad K. und seine Kumpanen sagte nun die Geschädigte des Raubüberfalls vor dem Tübinger Landgericht aus. Foto: Begemann

Frau wird noch immer von Albträumen geplagt. "Bodyguard" von Azad K. entschuldigt sich.

Rottenburg/Hechingen/Tübingen - Im Prozess gegen Azad K. und Kumpanen sagte nun das Opfer des Raubüberfalls aus. Die Aussage lässt an der Angabe der Täter zweifeln, dass sie den Plan im Kokainrausch fassten.

Anna S. (Name von der Redaktion geändert) ist noch heute anzumerken, was ihr vor fast einem Jahr passiert ist. Sie wurde in ihrer eigenen Wohnung in Hechingen-Sickingen ausgeraubt. Nun sitzen die beiden Männer nur wenige Meter von ihr entfernt. Die Täter möchte sie bei ihrer Aussage im Gerichtssaal nicht anschauen. Immer wieder kommen ihr die Tränen.

Die 21-Jährige berichtet von ihrer Schreckensnacht. Es ist der 19. April 2018. Der Freund von Anna S. hat Nachtschicht. Eigentlich hatte sie den Bruder ihres Freundes erwartet. Um zirka 22 Uhr klingelt es an der Tür. Anna S. wird davon geweckt. Sie rechnet mit dem angekündigten Besuch. Doch dann stehen plötzlich zwei maskierte Männer vor ihr. "Sie drückten mich in die Wohnung und der eine hielt mir gleich die Waffe an den Kopf. Ich solle still sein, sonst würden sie mich erschießen. Dann wurde ich auf den Boden gedrückt, meine Arme wurden verdreht", berichtet sie weinend. Doch die junge Frau macht es den Tätern nicht so leicht. "Ich habe dem, der mich festhielt, dann ins Geschlechtsteil gegriffen. Er hat vor Schmerzen aufgestöhnt. Außerdem habe ich geschrien, aber niemand der Nachbarn kam zur Hilfe." Während der eine Täter – mutmaßlich Azad K. – mit ihr rang, geht der andere, bewaffnete Täter – wohl Mazlum E. – ins Wohnzimmer und holt zielstrebig eine kleine Geldkassette aus einer Schublade. Etwas mehr als 2000 Euro und andere Wertsachen seien dort drin gewesen. Woher sie wussten, dass es dort was zu holen gibt? Eine gemeinsame Freundin hatte Azad K. und seinen Bruder einmal an einem Abend mitgebracht. Dort hatten sie zufällig die Kassette entdeckt und ständig nachgefragt, was da drin sei.

Seelischer Schmerz ist groß

Größerer Verletzungen habe es nicht gegeben, so der ärztliche Befund: eine Schramme am Arm, Verspannungen im Bereich der Halswirbelsäule. "Ich hatte starke Schmerzen im Schulterbereich, konnte mich nur schwer an- und ausziehen", erzählt die Frau. Der seelische Schmerz ist aber weitaus größer, obwohl der vom Weißen Ring vermittelte Psychologe kurz nach dem schrecklichen Vorfall keine langfristigen Auswirkungen annahm. Doch im Gerichtssaal schildert das Opfer die langwierigen Qualen seelischer Art. Immer wieder habe sie Alpträume. Seitdem sie wisse, dass sie aussagen und den Tätern gegenübertreten müsse, hätten die Alpträume massiv zugenommen. "Ich versuche, diese Geschehnisse zu vergessen." Das sei aber sehr schwer.

Nur zwei der fünf Angeklagten aus Hechingen, Mössingen und Rottenburg haben wohl – davon gehen Jugendkammer und Staatsanwalt aus – etwas mit dem Raubüberfall in Hechingen-Sickingen zu tun gehabt. Der Hauptangeklagte der Gruppe, Azad K., und sein "Bodyguard", Mazlum E. Beide haben am vorherigen Verhandlungstag den Überfall gestanden. Dieser sei unter erheblichen Einfluss von Alkohol, Cannabis und Kokain passiert. Noch heute hätten die beiden Männer Entzugsprobleme. Deshalb haben ihre Rechtsanwälte eine Unterbringung in einer Entzugsklinik beantragt.

Der anwesende Gutachter, der wahrscheinlich am kommenden Montag seine Expertise abgeben wird, überprüft die Glaubwürdigkeit dieser Aussagen. Denn möglicherweise würde sich der Drogenrausch strafmildernd auswirken. Doch das Opfer konnte keine Rauschwirkung bei den Tätern erkennen: "Sie haben auf mich einen nüchternen Eindruck gemacht." Sie ging hinterher, als sich die Räuber aus dem Staub machten. Dort seien sie sehr schnell weggelaufen und zielstrebig gewesen.

Während Azad K. die Aussage regungslos verfolgt, wirkt Mazlum E. schuldbewusst. Er ergreift das Wort: "Ich möchte mich für das, was wir getan haben, entschuldigen. Ich wünsche viel Glück für die Zukunft."

Richterin Sigrid Höchst möchte Anna S. nicht länger mit Fragen quälen. Das Angebot, den Prozess weiterzuverfolgen, lehnt die junge Frau ab: "Nein, ich gehe." Dann steht sie schnell auf, ohne den angeklagten Männern noch einmal in die Augen zu blicken. "Diese Augen verfolgen mich in meinen Träumen."

Am kommenden Montag wird voraussichtlich der Gutachter berichten

Info: Falschgeld

In der Verhandlung wurde auch die Expertise der Bundesbank zum Falschgeld bekannt gegeben. Azad K. hatte dieses Falschgeld laut Staatsanwaltschaft besorgt und dann versucht in Umlauf zu bringen. So sollten Muhammed C. und Burat B. die 500-Euro-Scheine bei der Kreissparkasse in Rottenburg umtauschen, was scheiterte. Die Maschine stoppte. Auch verlief Farbe bei der Prüfung durch das Geldinstitut. Dennoch wird die Fälschung als gut eingeschätzt. Die Herstellung der Geldscheine war wohl aufwendig. Zwei faserreiche Spezialpapiere wurden aufeinandergeklebt, Wasserzeichen und ein Streifen aus Kunststoff kamen dazwischen. Im Offset-Hochdruck-Verfahren wurden die Scheine gedruckt. Die Folie wurde im Dot-Matrix-Verfahren hergestellt. Dass Azad K. nicht selbst für die Herstellung verantwortlich war, wird dadurch unterstrichen, dass diese Art von Scheinen schon länger im Umlauf sind. Zum ersten Mal tauchten diese Scheine 2015 in Erfurt auf.