Polizei und Feuerwehr sichern im vergangenen Oktober die Unfallstelle an der B 32. Foto: Witte

Frontalzusammenstoß im Oktober 2019 forderte zwei Tote. Wieso fuhr Mann auf Gegenfahrbahn?

Hechingen - Im Oktober vergangenes Jahr ereignete sich auf der B 32 ein Frontalzusammenstoß. Die Folge: zwei Tote. Wieso fuhr der Angeklagte auf der Gegenfahrbahn? Wich er einem Lkw aus oder wollte er einfach nur schnell zur Arbeit kommen? Die Aufarbeitung vor Gericht soll Licht ins Dunkel bringen.

Es geschah um sieben Uhr morgens auf der B 32 zwischen Hechingen und Schlatt. Ein ganz normaler Dienstagmorgen, es regnet und ist - typisch für die Jahreszeit - noch dunkel. Viele sind auf den Straßen unterwegs zur Arbeit. So auch der Angeklagte und seine drei Mitinsassen. Sie sind Maler und auf dem Weg zu ihrer Baufirma. An der Anschlussstelle Hechingen fährt ein LKW vom Beschleunigungsstreifen auf die B 32 auf. Der Angeklagte sieht das Fahrzeug nicht und muss auf die Gegenfahrbahn ausweichen, damit es nicht zum Zusammenstoß kommt. So weit die Version des Angeklagten und seiner Mitinsassen. Im Gegenverkehr prallt er anschließend mit dem Kleinwagen einer 20-Jährigen zusammen. Sie stirbt wenige Tage später im Krankenhaus - wie auch einer der Mitfahrer im Auto des Angeklagten.

Angeklagter kann sich nicht erinnern

Was war wirklich geschehen an diesem Morgen? Trifft den LKW-Fahrer Schuld? Hat er sich nicht an die Verkehrsregeln gehalten und war die anschließende Reaktion des 29-jährigen Angeklagten nur eine unglückliche Folge einer möglichen Vorfahrtsmissachtung? Oder hat der Angeklagte den LKW trotz Überholverbot fahrlässigerweise überholen wollen? Der Prozess im Hechinger Landgericht soll Antworten auf diese Fragen geben.

Der Angeklagte wird von einer rumänischen Dolmetscherin begleitet, die sowohl für ihn, als die Mitinsassen, die in dem Verfahren als Zeugen geladen sind, übersetzt. Ihm wird vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs, fahrlässige Körperverletzung und fahrlässige Tötung in zwei Fällen vorgeworfen. Richter Desmond Weyl fragt ihn nach seiner Version der Geschichte.

"Ich bin über die B 32 gekommen und an der Einmündung ist der LKW ausgeschert und ich bin etwas nach links gekommen, danach weiß ich es nicht mehr", übersetzt seine Dolmetscherin. Er war mit seinen Mitinsassen zur Arbeit unterwegs gewesen, kannte die Strecke und sei nicht müde gewesen. Sie hätten auch keinen Zeitdruck gehabt, ihr Arbeitsbeginn sei nicht konkret festgelegt gewesen. Viele Detailfragen lässt der Angeklagte über seine Dolmetscherin mit "Weiß nicht" oder "Kann mich nicht mehr erinnern" beantworten. Am Ende der Befragung ringt er um Fassung. Er stehe immer noch unter Schock, es tue ihm Leid, dass zwei Menschen gestorben sind. Er bereue es und würde seine Strafe akzeptieren.

Fragen des Richters laufen ins Leere

Auch zwei seiner Mitinsassen, die den Unfall überlebt haben, sind als Zeugen geladen. Ihre Ausführungen bringen allerdings wenig Licht ins Dunkel. Teilweise verstricken sie sich auch in Widersprüche. Der Beifahrer gibt zuerst an, er habe geschlafen. Anschließend will er den LKW aber doch gesehen haben. Viele Fragen des Richters laufen ins Leere. Auf die Frage, ob der Angeklagte überholt habe oder nur ausgewichen ist, antwortet der Zeuge: "Er ist ausgewichen, normal, klar."

Die Aussagen des LKW-Fahrers sind dagegen schon aufschlussreicher. Er gibt an, dass er den Aufprall gehört habe, allerdings erst "etwa 300 Meter" nachdem er auf die B 32 aufgefahren ist. Er dachte zunächst, dass ihm ein Reifen geplatzt sei. Das Fahrzeug des Angeklagten habe er trotz Schulterblick beim Auffahren nicht gesehen. Er sei mit "30 bis 40 km/h" aufgefahren und habe dann auf "50 bis 60 km/h" beschleunigt, erst dann habe er den Aufprall gehört. Diese Aussage widerspricht der des Angeklagten deutlich.

Die Ausführungen des geladenen Sachverständigen bestätigen schlussendlich die Version des LKW-Fahrers. Als Gutachter war er nur kurze Zeit nach dem Unfall vor Ort und hat zahlreiche Fotos vom Unfallort und den beteiligten Fahrzeugen gemacht. Es ist erstaunlich, mit welcher Präzision heutzutage Unfälle bis ins Detail rekonstruiert werden können. Mittels Beschädigungen an der Fahrbahn, die durch den massiven Aufprall zustande kamen, kann er metergenau den Aufprallort rekonstruieren. Auch die brutale Energie, die bei einem solchen Unfall freigesetzt wird.

Angeklagter kommt gimpflich davon

"Der Aufprall für die 20-Jährige war so stark wie ein Aufprall mit 90 km/h und 60 Prozent Verdeckung auf eine Betonmauer", erklärt der Sachverständige. Der Aufprall war außerdem so heftig, dass der Motor ihres Autos herausgeschleudert wurde. Auf der Drohenaufnahme ist zu sehen, dass der komplette Bereich der Motorhaube nicht mehr vorhanden war. Seine Rekonstruktionen ergeben außerdem, dass der Angeklagte "zwischen 100 und 110 km/h" gefahren sei und dennoch, selbst wenn er dem LKW hätte ausweichen müssen, noch genug Zeit gehabt hätte, auf seine Fahrbahn zurück zu wechseln. Schlussendlich kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit überholen wollte und dem LKW nicht ausweichen musste. Auch der hohe Geschwindigkeitsunterscheid von etwa 50 km/h zwischen den Fahrzeugen spricht für diese Version.

Schlussendlich kommt der Angeklagte dennoch glimpflich davon. Da er keine Vorstrafen hat, fällt das Urteil vergleichsweise mild aus: Ein Jahr auf Bewährung. Außerdem muss er, über acht Raten verteilt, 2400 Euro an die Verkehrswacht Zollernalbkreis zahlen. "Es ist ein tragischer Vorfall für alle. Kleine Fehler haben riesige Auswirkungen mit schrecklichen Folgen. Mein Eindruck ist: Sie waren unaufmerksam und haben den LKW zu spät gesehen. Anschließend haben sie eine falsche Entscheidung getroffen und überholt, statt abzubremsen", merkt Richter Weyl nach der Urteilsverkündung an.