Justiz: Bizarrer Prozess am Hechinger Landgericht / 33-Jähriger versucht "Heilmittel" herzustellen

Ein 33-Jähriger sitzt im Hechinger Landgericht wegen diverser Vergehen auf der Anklagebank. Neben Sachbeschädigung und Besitz von Betäubungsmitteln bestellte er sich auch 45 Kilogramm Schwefel auf Amazon – um damit ein "Heilmittel" herzustellen.

Hechingen. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus sind allgegenwärtig. So auch am Hechinger Landgericht. Wichtige Prozesse, wie beispielsweise Strafsachen, finden weiterhin statt – unter entsprechenden Abstandsvorschriften. So wird im Zuschauerbereich beispielsweise viel Platz zwischen den einzelnen Sitzplätzen gelassen. Darüber hinaus sind laut vorsitzendem Richter Volker Schwarz auch aktuell zwei Kammermitglieder, darunter der psychiatrische Sachverständige, in häuslicher Quarantäne. Ihr Corona-Testergebnis sei aber negativ.

Der 33-jährige Angeklagte ist aktuell wegen einer paranoiden Schizophrenie in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Er sitzt heute wegen unterschiedlichen Straftaten auf der Anklagebank.Unter anderem wegen Sachbeschädigung in zwei Fällen.

Als das Auto nicht weggefahren wurde, schlug er mehrmals auf die Motorhaube

Das eine Mal hat er Mitte vergangenen Jahres alkoholisiert mit einem stumpfen Gegenstand mehrmals auf die Motorhaube eines parkenden Autos geschlagen und einen Sachschaden von 500 Euro verursacht. Im Vorfeld habe er zuhause alleine zwei Flaschen Sekt getrunken. "Wieso sind sie dann raus?", will Richter Schwarz wissen. Das Auto habe auf einem Privatparkplatz gestanden, meint der Angeklagte. Er habe einen Zettel geschrieben, dass er "woanders hinfahren" sollte. Als dies nicht geschah, demolierte er das Auto.

Vier Tage später ereignete sich eine weitere Sachbeschädigung, die der Angeklagte unter Alkoholeinfluss verübt haben soll. Diesmal schmiss er laut Anklage eine verschlossene Sektflasche aus dem Fenster. Als die Flasche auf dem Boden aufkam, löste sich der Korken und die Flasche schoss gegen parkende Autos. Die Folge: 1000 Euro Schaden.

"Ich war einfach so wütend und in mich gekehrt", lies der Angeklagte verlauten. "Aber wieso?", will Schwarz wissen. "Es war Liebeskummer. Ich hatte eine Freundin, aber wir sind nicht richtig zusammengekommen. Das ging eine ganze Zeit lang so und ich wurde hingehalten", so die Erklärung des Angeklagten.

Bis hierhin ist der Prozess nicht besonders ungewöhnlich. Fälle wie diese verhandeln Gerichte in Deutschland praktisch jeden Tag. Doch es geht noch weiter. Die nächsten zwei Anklagepunkte beschäftigen sich mit der Affinität des Angeklagten zu Chemikalien – im besonderen Schwefel.

Diesen erwarb er im großen Stil laut eigenen Angaben über Amazon. Insgesamt 45 Kilogramm soll er davon bestellt haben. "Das sind irrsinnige Mengen. Wieso so viel?", fragt Schwarz. "Das verbraucht sich unglaublich schnell", entgegnet der Angeklagte.

Er hat über Google recherchiert und das Experimentieren wie ein Hobby angesehen

Er habe versucht, mit Hilfe des Schwefels ein "Heilmittel" gegen seine Kurzatmigkeit herzustellen. Eine Ausbildung als Chemiker besitze er nicht. Er habe "über Google recherchiert". "Ich habe das wie ein Hobby angesehen", erklärt er.

Als er den Schwefel auf seinem Küchenherd erhitzte, entstanden giftige Dämpfe, die sich über den Flur des Mehrfamilienhauses verteilten. Zwei Personen, die sich zu diesem Zeitpunkt im Treppenhaus aufhielten, mussten sich übergeben und ärztlich behandelt werden. Die Polizei und Feuerwehr stoppte schließlich das "Experiment".

"Hatten Sie denn keine Bedenken?", fragt Schwarz. Dadurch, dass alles legal erhältlich gewesen sei, habe er sich keine Gedanken darüber gemacht.

Zu einem anderen Zeitpunkt verteilte er verschiedene Substanzen auf offener Straße. Darunter Rohrreiniger, Dünger und Öl. Wieso er das getan hat, wisse er nicht mehr. Schlussendlich wurde der Angeklagte zu einer anderen Gelegenheit auch noch mit 15 Gramm Amphetamin aufgegriffen. Dies habe er "zufällig erworben".

Angesicht dessen, dass er seitdem einige Zeit in einer psychiatrischen Klinik verbracht hat, möchte Richter Schwarz wissen: "Wie geht es Ihnen heute?" Er würde sich mittlerweile "sehr gefestigt und stark" fühlen, gibt der Angeklagte an. Ihm sei nun bewusst, dass er mit seinen Taten andere Menschen in Gefahr gebracht hat. Dafür entschuldigt er sich. Außerdem gibt er am Schluss zu: "Ich weiß, dass ich meine Medikamente brauche."

Da sich der zuständige psychiatrische Sachverständige aktuell wegen Corona in häuslicher Quarantäne befindet, wird der Prozess am Montag, 20. April, fortgesetzt.