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"Krise als Chance":Gilt das auch in Zeiten der Corona-Epidemie?

Schulen dicht, Eltern wochenlang nicht gesehen, Angst um Angehörige und Freunde mit Vorerkrankung, Lagerkoller, Zukunftsangst. Der neue Alltag macht unruhig und traurig. Aber nicht nur. Wir haben mit Menschen gesprochen, die Menschen in Krisensituationen aller Art erleben und erlebt haben, oder die selbst schon in schlimmen Phasen steckten. "Krise als Chance" – gilt das auch jetzt?

Hechingen. Peter Duttweiler, Pastoralreferent aus Hechingen, sagt: Jetzt haben die Menschen die Chance, zur Ruhe zu kommen. Man fragt sich: Bin ich auf dem richtigen Weg, beruflich und privat? Ich selbst merke gerade, wie lange ich brauche, um "runterzukommen". Allgemein kann man sagen, Krisen geben stets die Chance, das Leben von einer anderen Perspektive aus zu betrachten. Denn im "Hamsterrad", in dem man sonst steckt, ist das eher unmöglich.

Wolfgang Markowis, ehemaliger Geschäftsführer des Vereins für gemeindenahe Psychiatrie Hechingen, hat mit seinen Kollegen stets mit Menschen in Krisensituationen gearbeitet. Er erzählt: Ob diese Zeit für Menschen mit psychischen Erkrankungen eine Chance sein kann, hängt von dem Einzelnen ab. Für die Patienten ist es zurzeit noch schwerer: Die Werkstatt ist zu, es gibt keine ambulanten Angebote, Beratung geht nur telefonisch. Der Vorteil wäre, in der Nachbarschaft mehr aufeinander zu achten. Das wäre für psychisch Erkrankte gut, weil sie sich dadurch als Teil der Gesellschaft empfinden können. Wenn die gemeinsame Erfahrung von Gesunden und Erkrankten über die Krise hinaus trägt – das wäre schön.

Mustapha Jabbi, stammt aus Ghana, lebt in Hechingen, und er erzählt: Ich hatte Zeiten in meinem Leben, die von Angst und Ungewissheit geprägt waren und in denen ich nicht wusste, wie es weitergehen soll. Trotzdem habe ich nie aufgehört, an das Gute zu Glauben. Denn ich bin überzeugt, dass hinter jedem Schlechten auch etwas Gutes stecken kann. Ich denke, dass die Menschen aus einer Krise lernen können: Wir zeigen uns solidarisch und wachsen in schlechten Zeiten über uns hinaus. Ich sehe die Chance darin, eigene Kräfte zu entdecken und das Vertrauen in uns selbst und in unseren Mitmenschen zu stärken.

Zurzeit hat die Natur "Verschnaufpause"

Gert Rominger, ehemaliger Vorsitzender des NABU Hechingen, kümmert sich um die Natur, in der es kriselt, die ächzt und stöhnt. Er sagt: Das mag zynisch klingen, aber auf das Klima wirkt sich wenig Mobilität und weniger Konsum positiv aus. Zurzeit hat die Natur "Verschnaufpause". Ich fürchte aber, das "umweltfreundlichere Verhalten" der Menschen ist nur eine Momentaufnahme, und dass danach alles "nachgeholt" wird. Ich hoffe, dass wenigstens ein Teil der Menschen jetzt versteht, dass es auch ohne ständige Fernreisen geht, dass man nicht "Abwechslung" im Ausland suchen muss.

Matthias Holzmann, Projektleiter Afrika beim Hechinger Verein "Kinder brauchen Frieden", hat schon viel Elend gesehen. Holzmann meint: Ich war erst kürzlich in Ruanda, und für mich ist es verblüffend schwer, die Hysterie hier nachzuvollziehen. Man hat sich hier daran gewöhnt, jedes Bedürfnis sofort befriedigt zu bekommen, bei Tag und bei Nacht. Ich glaube fest daran, dass die Angst zu verhungern unnötig ist.

Das alles führt zu einer starken Entschleunigung

Wir haben hier so viel, dass wir keinen Mangel leiden werden. Leider glaube ich nicht daran, dass der Lerneffekt aus dieser Krise groß sein wird. Man sollte jetzt seine Prioritäten reflektieren. Im Übrigen finde ich es schön, keine Kondensstreifen am Himmel zu sehen.

Horst Jungbauer, Pfarrer in Hechingen, hat beruflich ebenfalls oft mit Menschen in Krisensituationen zu tun. Er meint: Grundsätzlich bietet sich zurzeit die Chance, das eigene Leben und die Lebenszeit bewusst wahrzunehmen, weil es weniger Kontakte gibt. Und die, die es gibt, sind intensiver. Das bemerke ich auch an mir selbst. Die ganze Situation führt zu einer unglaublichen Entschleunigung.