Musik, die die Zuhörer geistig auf Reisen schickt, hat das Ärzteorchester am Dienstag in der Stadthalle gespielt. Foto: Maute Foto: Schwarzwälder Bote

Ärzteorchester: Ensemble bietet in Stadthalle ein außergewöhnliches Programm

Musik kann den Geist auf Reisen schicken, wie das Tübinger Ärzteorchester in der Stadthalle klangvoll unter Beweis gestellt hat.

Hechingen. Die raue Schönheit der vor Schottland liegenden Hebriden-Inseln, ihre felsigen Küsten, ihre Sandstrände – all das hat Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) zu seiner "Hebriden-Ouvertüre" inspiriert. Klang und Instrumentierung setzen darin eine einzigartige Atmosphäre in Szene. Das Ärzteorchester interpretierte sehr schön die Wellenbewegung, die sich in der Weite verliert, und das immer wiederkehrende fanfarenartige Motiv, das den Augenblick feiert.

100 Jahre später findet diese Stimmung in einem Werk ihren Ausdruck, das, wie der musikalische Leiter des von Norbert Kirchmann 1984 gegründeten Tübinger Ärzteorchesters, Ulrich Bürck, die Zuhörer wissen ließ, von einem ganz anderen musikalischen Stil geprägt ist – im "Concerto dell`albatro" (1945) des italienischen Komponisten Giorgio Federico Ghedini (1892-1965). "Es ist faszinierend wie Ghedini Stimmungen erzeugt", schwärmte Bürck, der den Anwesenden gleichzeitig eine Premiere ankündigte: "Es erwartet sie nun eine Hechinger Erstaufführung." Denn das "Concerto dell`albatro" sei noch nie in der Region aufgeführt worden.

Mit auf der Bühne standen am Dienstag die drei jungen Profimusiker Miriam Klüglich (Violine), Hugo Rannou (Cello) und Harald Sinot (Piano). Das deutsch-französische Trio lernte sich 2017 an der Musikhochschule Stuttgart kennen. Das 30-minütige Concerto von Ghedini umfasst fünf Sätze. Am Anfang stehen Einöde, Horizont, grauer Himmel. Es ist die Ruhe vor dem Sturm, die im ersten Satz dominiert, bevor im zweiten allmählich Bewegung aufkommt. Der Wind beginnt sein Spiel, treibt Wolken vor sich her. Ganz intensiv ist sie zu spüren, ‒ die Einsamkeit, die sich im dritten Satz wie ein Schleier über die Szenerie legt. Und dann bricht er mit aller Stärke los: Der Sturm des vierten Satzes, den die Posaunen schließlich zur Ruhe singen.

"Ich entsinne mich des ersten Albatrosses, den ich jemals gesehen habe. Es war während eines lang anhaltenden Sturmwinds. An Gewässern hart an den arktischen Meeren", erklang die Stimme von Ingemar Koerner. Mit Worten, die aus einer Passage des Romans "Moby Dick" stammen, beschrieb er das, was die Musiker bei ihrem Konzert mit dem Titel "Blick übers Meer" meisterhaft in Melodien kleideten: Die "wundersamen Anfälle von Flattern und Beben", den Flügelschlag des wie auf "Erzengelschwingen" entschwindenden königlichen Tieres.

Mozart ein musikalisches Denkmal gesetzt

Die existenziellen Fragen, die Ghedinis Werk aufwirft, gipfeln in der "Maurerischen Trauermusik", KV 477 (479a), die Wolfgang Amadé Mozart (1756-1791) für die Wiener Freimaurerloge komponiert hat, in der Beschäftigung mit dem Thema Tod. Der "jenseitige Aspekt des Blicks über das Meer" wird auch in Joseph Haydns (1732-1809) "Sinfonie Nr. 98 in B-Dur" thematisiert, in deren Adagio er Mozart ein musikalisches Denkmal gesetzt hat.