Die Künstlerin Mina Gampel las aus ihrer Biografie vor. Foto: Beyer Foto: Schwarzwälder Bote

Kultur: Zusätzlich zur Vernissage liest die Stuttgarter Künstlerin auch aus ihrer Autobiografie vor

Hechingen. Die Szenen und Menschen aus dem Schtetl, die Kultur des osteuropäischen Judentums – sie sind verschwunden. In der Werkschau mit Gemälden von Mina Gampel lebt in der Alten Synagoge diese Welt wieder derart auf, das ihre Präsenz geradezu spürbar ist.

Die musizierenden Klezmorim auf ihrem Bild im Hintergrund, las die Künstlerin nun am gleichen (Erinnerungs-) Ort aus ihrer Autobiographie "Meine vier Leben" - eine Rückschau auf ein Leben in Entbehrung und der Flucht im Angesicht des Grauens durch den Völkermord an den europäischen Juden, der Shoa. Kiew, Stalingrad, Pinsk, Frunse, das polnische Wort für Stettin, aber auch Stuttgart und weitere in kyrillisch und lateinisch geschriebene Lettern auf dem Bild mit dem Koffer markieren die Station der Malerin – in einem Leben von Flucht und Vertreibung. Das Werk symbolisiert wie kein anderes der Exponate den Zustand, keine Heimat zu haben. Die hat Gampel aber bereits seit langem in der Landeshauptstadt, wo sie lebt, malt und neben weiteren Engagements auch in der Lehre tätig ist.

Heimat für längere Zeit waren in Gampels Leben auch die Länder Weisrussland, Polen, Israel und Deutschland, dem Untertitel von "Meine vier Leben", aus dem die Künstlerin zunächst aus der Einleitung las. Ihre Enkelin Jessica spielte als passende Einstimmung zudem ein im ruhig verhaltenen Gestus erscheinende "Nocturne" von Chopin.

Flucht im Bombenhagel beim Vorrücken der deutschen Wehrmacht

Im Prolog geht es bereits um die Flucht in einem Boot im Bombenhagel beim Vorrücken der Wehrmacht, als Mina ein Jahr alt war. Dort ist auch die Widmung des Werks an ihre Familienmitglieder vermerkt, darunter auch die Opfer der Shoa, aber auch die "Zehn Gebote", die aus ihrer Lebenserfahrung heraus rühren. Aus dem vorgelesenen Resümée seien hier nur genannt: "Nicht aufgeben" und "nicht klagen, Neues wagen, alles mit Liebe machen ..."

Es folgten weitere Rezitationen aus verschiedenen Kapiteln, wie eine weitere Flucht ohne den Vater, da dieser in die Sowjetarmee eingezogen wurde. Dann Stettin, wo Gampel in ihrer Kindheit und Jugend "die schönste Zeit verbracht" hat. Hier lebte sie in einem Viertel, dass von vielen, jiddisch sprechenden Juden bewohnt war. Das ist ihre Muttersprache, wobei sie auf gleichem Niveau auch Polnisch, Russisch, Hebräisch und Deutsch beherrscht - sowie mit der Fähigkeit zur Konversation weitere Sprachen.

Auf ein kurz im Buch beschriebenes, dunkles Kapitel dieser Zeit in Stettin ging die Referentin nicht ein: Die Pogrome inklusive willkürlicher Ermordungen durch die Polen. Im persönlichen Gespräch war dann später zu erfahren, dass der Antisemitismus in Polen eine lange Tradition habe. Es folgten weitere Rezitationen über ihre Zeit in Israel und schließlich die lang überlegte Entscheidung, sich in Deutschland niederzulassen, wo sie, älter geworden, derzeit regelmäßig in der Stuttgarter Uni Philosophie-Kurse besucht, die ihr sehr viel geben, wie sie bekannte.

Im Epilog der Biographie lässt die Autorin ihren "Homo politicus" zu Worte kommen, mit dem auch ihre Ängste ausgedrückt werden, unter anderem vor einer "neuen Welle des Nationalismus in Europa."

Am Ende stellte Gampel eine Frage ("Wie konnte so ein intelligentes Volk wie die Deutschen derart barbarisch sein?"), für deren Beantwortung neben fundierter Kenntnis der geschichtlich-politischen Historie auch die der analytischen Massenpsychologie erforderlich ist. Deshalb blieb sie an diesem Abend unbeantwortet.