Doris Muth Foto: Beyer Foto: Schwarzwälder-Bote

Doris Muth zeichnet in Vortrag die Entwicklung vom Verlagssystem zur Großproduktion nach

Von Willy Beyer

Hechingen. Die Initialzündung für die Entstehung der Textilindustrie auf der Schwäbischen Alb und in Albstadt kam aus Hechingen.

Diese These vertrat am Sonntag die Historikerin Doris Muth in ihrem Vortrag "Jüdische Textilbetriebe in Hohenzollern und Hechingen". Der Vortrag war Teil der wissenschaftlichen Tagung des Gedenkstättenverbunds im Bildungshaus St. Luzen (wir berichteten).

Doris Muth, Mitarbeiterin der Stauffenberg-Gedenkstätte in Lautlingen und des Kreisarchivs Sigmaringen, behandelt die Geschichte der jüdischen Textilbetriebe Hechingens im Rahmen ihrer Dissertation. Sie legte dar, dass die Hechinger Firmen aus Handelshäusern hervorgegangen sind, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Verlagssystem arbeiteten und Textilien von Heimarbeitern in weitem Umkreis herstellen ließen. Als sie zu industrieller Produktion übergingen, machte sich ein Teil der Heimarbeiter auf der Alb selbstständig und gründete eigene Unternehmen, die Vorläufer der teils heute noch bestehenden Textilfirmen wurden.

Die früheren jüdischen Textilhändler wurden Ende des 19. Jahrhunderts in Hechingen bedeutende Arbeitgeber und ihre Firmen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Sieben von 13 Hechinger Fabriken um die Jahrhundertwende waren Textilbetriebe und sechs davon in jüdischem Besitz, zählte Doris Muth auf. In der Zeit der Weimarer Republik beschäftigte die Hechinger Textilindustrie bis zu 2500 Arbeiter. Das jüdische Unternehmertum habe Hechingen zu einem der erfolgreichsten Industriezentren Deutschland gemacht, so die Referentin.

Die sogenannte Arisierung während des Nationalsozialismus setzte dem Aufschwung ein Ende. Die verbliebenen jüdischen Textilbetriebe fielen erzwungenen Verkäufen zum Opfer.

Die Referentin machte mit einer ganzen Reihe dieser Betriebe näher bekannt. Das größte Unternehmen war die Firma Baruch, von weltweiter Bedeutung auch die Nähfadenfabrik Julius Levi. Sie gingen im Dritten Reich an die Süddeutsche Baumwollindustrie und die Reutlinger Firma Anner über. Carl Löwengards Trikotwarenfabrik wurde Teil der Bisinger Firma Heinrich Maute und Hermann Levys Firma von der Burladinger Trikotwarenfabrik Gebrüder Mayer übernommen, der heutigen Trigema.

Der die Tagung moderierende Vorsitzende des Vereins Alte Synagoge, Karl-Hermann Blickle, machte nach dem Vortrag auf die "historische Spur" aufmerksam, die Doris Muth gelegt habe. Er regte an, die These weiter zu erforschen, nach der Hechingen die Keimzelle für die Textilindustrie auf der Alb schlechthin war.