Die Alsos-Truppe vor dem Weißen Häusle. Das Foto oben zeigt das Gelände, wo das Grotz-Gebäude stand, in dem die deutsche Atomforschung ihr Zentrum hatte. Foto: ©Stadtarchiv Hechingen Foto: Schwarzwälder Bote

Hechingen blieb trotz Atomforschung weitgehend unzerstört

Es war Sonntag, als in Hechingen der Zweite Weltkrieg endete. Am 22. April rückten kampflos US-Spezialtruppen ein. Dass die Stadt zuvor nicht bis auf die Grundmauern zerbombt wurde, verdankt sie eventuell ihren Atomforschern, die wie Schutzengel wirkten, und guter US-Spionage.

Hechingen. Die Stadt wurde unspektakulär erobert, denn die Wehrmacht hatte sich noch rechtzeitig in Richtung Alb abgesetzt. Allerdings hatten die deutschen Soldaten zuvor Brücken der Umgehungsstraße über die Eisenbahnen gesprengt, die Eisenbahnkreuzung bei der Walkenmühle und die Brücke, die in der Nähe der Domäne über die Bahn führte. Ironie der Geschichte: Genau diese Brücken hatten Tage zuvor bereit alliierte Bomber angegriffen. Was ihre Gegner dabei nicht zerstören konnten, erledigte nun die Wehrmacht selber.

Die Straßenbrücke über die Starzel in der Unterstadt allerdings blieb heil, und so rollten die Amerikaner relativ problemlos in die Stadt, deren Gebäude zum allergrößten Teil heil die Kriegszeit überstanden hatten. Bomben waren nur wenige auf Hechingen gefallen. Teilweise war es nicht verwendete Munition, die von Kampfflugzeugen auf dem Rückflug ohne große Präzision hier abgeladen wurde. Trotzdem waren viele Hechinger im Krieg gestorben. Allerdings auf den Schlachtfeldern im Osten und Westen.

Und das ist auf Anhieb erstaunlich. Viele Städte und Gemeinden in der Umgebung waren bombardiert worden. Bisingen hatte etwa viele Tote durch einen Luftangriff zu beklagen, der der Bahnbrücke galt.

Und Hechingen hätte leicht ein zentrales Ziel für die Alliierten Luftwaffe werden können, denn bei oberflächlicher Betrachtung musst es als die gefährlichste Stadt in ganz Deutschland gelten. Hier forschte ab 1943 der Physik-Nobelpreisträger Werner Heisenberg mit vielen weiteren namhaften Naturwissenschaftlern an der Kernspaltung. Zu diesen Anlangen zählte auch der Versuchsreaktor in Haigerloch. Wurde hier nicht an der Hitlers Atombombe geforscht, über die er in den letzten Kriegsmonaten als "Wunderwaffe" für den "Endsieg" gerne faselte?

Konnte die Hechinger Forschung wirklich vor den Alliierten geheim bleiben? Dass dies nicht der Fall war, hat spätestens im März 2019 ein Kolloquium vom Hohenzollerischem Geschichtsverein, Heimatverein Bisingen-Steinhofen und Volkshochschule Bisingen gezeigt. Quellen belegen, dass ein aus Burladingen in die Schweiz geflüchteter Kaplan mit der US-Spionage Kontakt hatte und auch über die Anwesenheit der Forscher in Hechingen berichtete.

US-Truppen waren über Hechinger Forscher genau informiert

Fragt sich nur, warum die Alliierten dann nicht unverzüglich Hechingen in Schutt und Asche gebombt haben, wenn sie Belege hatten, dass hier Atomforschung stattfindet. Andere Städte mit eher geringer Bedeutung für die Rüstung wurden ohne Rücksicht auf zivile Opfer zerstört.

Einfache Antwort: Die US-Truppen wussten genau, dass das, was Heisenberg und Kollegen in Hechingen trieben, mit Bombenbau nichts zu tun hatte. Die deutschen Forscher, 1933 noch Weltspitze, waren durch die Isolation der Nazizeit so weit abgeschlagen, dass sie zum Kriegsende gerade mal kurz davor waren, eine Kernspaltung in Gang zu setzen.

Ihr letztes Experiment einer längeren Reihe, das im Versuchsreaktor im Haigerlocher Bierkeller stattfand, scheiterte knapp. Gott sei Dank, muss man heute sagen, denn die Forscher hatten sich nicht allzu viel Gedanken gemacht, wie sie die Kettenreaktion wieder hätten stoppen können.

Dass es mit der deutschen Atombombe nichts werden kann, wusste auch die deutsche Nazi-Führung bereits seit 1942. Heisenberg hatte damals Rüstungsminister Albert Speer erklärt, dass er bei maximalem Ressourcen-Einsatz allerfrühestens in vier Jahre eine Bombe auf Grundlage der Kernspaltung bauen könnte. Und Albert Speer wusste da bereits, dass dem Reich so viel Zeit nicht bleiben wird. Man ließ die Physiker weiterforschen, allerdings mit wenig Unterstützung. Heisenberg soll ganz froh über diesen Verlauf gewesen sein. Und nachdem die Forschungsanlagen in Berlin 1943 vor den Bomben nach Hechingen umgelagert wurden, schrieb er in einem Brief: "Hier kann ich endlich meine Physik machen."

Die US-Amerikaner, die 1942 noch Angst vor dem deutschen Atom-Erfindergeist hatten, setzten zu diesem Zeitpunkt fast unbegrenzte Mittel für die Entwicklung ihrer eigenen Atombombe ein. Sie brauchten etwa dreieinhalb Jahre bis zum zweifelhaften Erfolg. Auch deutsche Forscher, die vor den Nazis flüchten mussten aus politischen Gründen oder weil sie Juden waren, trieben die Forschung entscheidend voran. Von 1942 an arbeiteten zeitweise über 300 000 Menschen an diesem Projekt. Allein die Anlagen, die zur Urananreicherung nötig waren, bildeten einen Industriekomplex. Durch Spionage und durch Luftaufklärung konnten die US-Amerikanern bald sehr sicher sein, dass ähnliches nirgends in Deutschland stattfand und stattfinden konnte.

Dennoch entwickelten sie selbst ihre Bombe mit Hochdruck weiter. Im Juli 1945 fand der erste erfolgreiche Test statt, am 6. August 1945 zündete die Atombombe über Hiroshima. Eigentlich war sie für Deutschland vorgesehen gewesen. Die Kapitulation rettete Deutschland vor diesem Schicksal.

Atomforschung wäre lohnendes Ziel für die Bomber gewesen

Aber selbst wenn die USA wussten, dass die Hechinger Forschung ihnen nicht gefährlich werden kann, wäre das Zentrum der deutschen Atomforschung doch eigentlich ein lohnenswertes Ziel für die alliierten Bomberstaffeln gewesen. Andere Städte wurden aus wesentlich nichtigeren Gründen geradezu ausgelöscht. Aber die Amerikaner wollten die Hechinger Forscher bewusst schonen. Diese Vermutung war jedenfalls beim Kolloquium in Bisingen vertreten worden. Heisenberg und Kollegen wären damit fast eine Art Schutzengel für die Stadt gewesen Die US-Streitkräfte wussten: So lange diese unbehelligt in Hechingen leben, konnte man sie bei der Eroberung leicht einfangen und ihre Unterlagen erbeuten.

Nicht weil die USA die deutschen Ergebnisse besonders interessiert hätten. Sie waren den Deutschen technisch längst weit voraus. Aber sie hatten Angst, dass auch Forscher einen verheerenden Luftangriff überleben könnten, und dass diese samt ihren Unterlagen zu den Russen fliehen würden. Ob aus politischer Freundschaft oder finanziellen Interessen.

Wie auch immer: Auf jeden Fall ließ man die Wissenschaftler in Hechingen in Ruhe vor sich hinforschen, bis die Front die Stadt erreichte. Am 22. April rückte dann eine hochmobile Spezialtruppe in die Stadt ein, Alsos genannt, die den Auftrag hatte, deutsche Wissenschaftler und ihre Ergebnisse einzusammeln. Eigentlich hatten die Franzosen die Aufgabe übernommen, an vorderster Front, Süddeutschland zu erobern. Aber in Hechingen wurden sie energisch zurückgepfiffen, bis die Amerikaner ihre Arbeit beendet hatten.

Der Rest besteht aus Anekdoten. Die Atomforschungsunterlagen sollen einer mündlich überlieferten Geschichte nach in der Staig in einem wasserdichten Stahlbehälter in der Latrinengrube eines Hauses versenkt worden sein, in dem Heisenberg gewohnt hatte. Die Bergung dürfte eklig gewesen sein. Heisenberg hatte sich vorher bereits mit dem Fahrrad zu seiner Familie abgesetzt, wurde aber später gefasst.

Gebäude der deutschen Atomforschung wurde erst 2019 zerstört

Das Haus, das eine Zeit lang Zentrum der deutschen Atomforschung war – das Grotz-Gebäude in der Haigerlocher Straße beim Europakreisel – blieb noch Jahrzehnte unbeschadet stehen. Erst 2019 rückte dann die Abrissfirma Hipp an, seither ist hier eine große Schotterfläche. Und wieder gibt es ein Geheimnis um den Platz: Was wird hier wohl mal gebaut werden?