Für viele Hechinger hat der Volkstrauertag am Sonntag noch eine tiefe Bedeutung, davon ist Adolf Vees überzeugt. Foto: Stopper Foto: Schwarzwälder Bote

Volkstrauertag: Für Adolf Vees hat dieser Feiertag bis heute seine wichtige Funktion behalten

Hechingen. Am Sonntag ist Volkstrauertag. Wir sprachen drüber mit Adolf Vees, der in Hechingen als Vertreter des Volksbunds deutscher Kriegsgräberfürsorge diese Feier wesentlich mitgestaltet.

Herr Vees, am Sonntag ist Volkstrauertag. Wer trauert nach so vielen Jahren noch um gefallene Soldaten?

Ja, es sind 73 Jahre, seit der Zweite Weltkrieg zu Ende ist. Aber noch immer trauern viele. Auch in Hechingen. Ich denke da an eine Frau in der Gutleuthausstraße. Hochbetagt, doch immer, wenn ich mit meiner Sammelbüchse für die Kriegsgräber an ihrer Tür stehe, dankt sie mir, dass ihr Bruder nicht vergessen ist. Es gibt den älteren Herrn, nunmehr ein Vater und Großvater, der seinen Vater nicht kennlernen durfte. Doch am Volkstrauertag "besucht" er ihn. Da steht er schweigend und sucht seinen Namen auf der großen Gedenktafel.

Wann werden die seelischen Wunden aus diesen Kriegen verheilt sein?

Vielleicht wird es einmal so sein, dass dieses Leid vergessen ist. Derzeit aber habe ich das Gefühl, dass nur ein dünner Schleier die alten Wunden zudeckt, auch in Hechingen. Wer die Namen der Gefallen und Vermissten im Hechinger Gedenkbuch liest, der erschrickt, dass beinahe jede Familie einen Sohn oder Bruder verloren hat, viele aber haben zwei oder gar drei verloren. Ganze Familien sind erloschen, allein die verlassenen Häuser zeugen noch von dem Elend. Verwaiste Gasthäuser, Apotheken, die nicht weitergeführt werden konnten, aufgegebene Bauernhöfe.

Kann ein Volkstrauertag ein Trost sein?

Ja, das gemeinsame Trauern und Gedenken kann ein Trost sein. Allein zu trauern, ist schrecklich. Beieinander zu stehen und mit dem Nächsten zu fühlen, hilft sehr.

Für andere Menschen, die tragisch bei Unfällen ums Leben kamen, gibt es solche Gedenkfeiern nicht.

Ja, das ist richtig. Das geht mir auch oft durch den Kopf. Doch im Gegensatz zu jenen Unglücklichen starben unsere Soldaten durch bewusste staatliche Entscheidungen und Befehle. Und was dabei besonders traurig ist: Viele von ihnen glaubten, ihr Tod sei notwendiges Opfer.

Haben Sie das selber auch so erfahren?

Ich bin Jahrgang 1937. Im Krieg war ich ein Kind. Als Abiturient hatte ich einen zehn Jahre älteren Freund, der glaubte bis zum 8. Mai 1945 an den Endsieg. Mit dem aus acht Männern bestehenden Rest seiner Kompanie wollte er den Alpenaufgang bei Bischofshofen verteidigen. Er wollte Hitlers Bergnest retten. Als ihm die Kapitulation der Wehrmacht gemeldet wurde, brach er zusammen. Er fühlte sich betrogen. Alles war umsonst gewesen: Die Mühen, der Kampf, der Tod seiner Kameraden, umsonst. Er hat dann Theologie studiert. Er suchte etwas, das Bestand hat.

Nachdenken über den Krieg und seine Ursachen ist ja auch Ziel des Volkstrauertages.

Für mich auf jeden Fall. Ich denke dabei an die Opfer, an die Menschen. Ich suche ihre Namen und ihre Gesichter. Hinter dem Begriff der Nation, hinter "Franzosen", "Russen", "Juden" verbergen sich ja Menschen mit eigener Geschichte, mit Träumen und Hoffnungen, mit Glück und Leid. Dem will ich nahe kommen. Ganz unfasslich ist mir die Verfolgung und Vernichtung unserer jüdischen Bürger, ebenso wie der Zigeuner, der Zeugen Jehovas und wie sie alle hießen, die Minderheiten, die plötzlich nichts mehr galten.

Sie haben dieses Ziel auch in ihrem Einsatz für die deutsch-französische Partnerschaft verfolgt.

Ich war bei der Gründung unserer Jumelage dabei. Die gemeinsame Messe in Reims von De Gaulle und Adenauer hatte mich in meiner Studentenzeiten elektrisiert. 1975 bat mich Bürgermeister Roth mit einer Hechinger Delegation nach Joué zu reisen. Mein Vater, damals ein Siebziger, fragte mich, ob er mitkommen könnte. Ja, warum nicht, sagte ich. Und dann waren wir in Joué und waren eingeladen in die sagenhaften Keller am Ufer der Loire und wurden geehrt mit den besten Jahrhundertweinen und dem großartigsten Essen, das ich je gesehen hatte. Aber das Schönste war die Herzlichkeit unserer Gastgeber.

Es gab eine bewegende Szene mit ihrem Vater.

Mein Vater ist damals in Tränen ausgebrochen. Mit welchem Irrtum, ja mit welcher Lüge bin ich aufgewachsen! rief er. Sein Vater war vor Verdun zum Krüppel geschossen worden. Seitdem war "der Franzose" in der Familie der Feind, der Erbfeind. Und nun diese Herzlichkeit. Wir wohnten bei einer alten Dame. Sie nannte uns "mes deux garcons", also "meine beiden Jungs".

 Fragen von Klaus Stopper