Der kleine Saal des Hechinger Amtsgerichts. Eine 80-Jährige hat hier mit ihrem hilfsbereiten und geradlinigen Wesen alle Prozessbeteiligten zutiefst beeindruckt. Alles andere als ein Freispruch wäre wohl herzzerreißend gewesen. Foto: Stopper

Strafbefehl wegen Fahrerflucht wird zurückgenommen. Ehrenamt als tiefe Freude. 

Hechingen - Ein Gerichtsverfahren, das alle rührte. Richterin, Staatsanwältin, Angeklagte und Anwalt. Und es endete mit einem Happy-End: einem Freispruch. Aber wer hätte dieser freundlichen älteren Dame mit dem goldenen Herzen auch widerstehen können?

Freuen werden sich über den Freispruch übrigens auch einige einsame Bewohner eines Hechinger Altenheims, die von der 80-Jährigen viermal pro Woche besucht werden. Ehrenamtliche Betreuung, einfach nur, weil sie Freude daran hat. Für manche Heimbewohner ist sie fast der einzige Kontakt nach "draußen". Und auf diesen Besuch hätten sie einige Zeit verzichten müssen, wenn die Verurteilung wegen Fahrerflucht gegen die 80-Jährige Bestand gehabt hätte. Denn die Strafe war automatisch mit einem Fahrverbot verbunden.

Wer sich nicht nur beruflich über den Freispruch freute, war auch ihr Anwalt. Denn zu seiner Mandantin hat er ein freundschaftliches Verhältnis, in einer Betreuungssache arbeiteten die beiden zusammen, das zutiefst hilfsbereite und zugleich hellwache Wesen der älteren Dame ist ihm sympathisch. Das war zu spüren.

Nach schlimmem Anruf etwas durcheinander

Und der Anwalt war in gewisser Weise sogar der Anlass, dass sie vergangenes Jahr wegen Fahrerflucht angeklagt wurde.

Was war passiert? Im vorigen Jahr habe sie einen Anruf ihrer Schwester erhalten, die sehr schwer krank ist, erzählte sie vor Gericht, da sei sie "ziemlich durcheinander" gewesen. Vielleicht sei sie etwas in Gedanken gewesen, als anschließend Auto fuhr und dabei ein geparktes Fahrzeug am Straßenrand streifte. Da sie direkt an der Stelle nicht anhalten konnte, bog sie bei einem etwas entfernten Parkplatz ab, "dann musste ich mich kurz sammeln und bin dann richtiggehend zurückgerannt", erzählt sie. Was in ihrem Alter halt als rennen durchgeht. Als die Frau am Unfallort war, war der Besitzer des anderen Fahrzeugs schon wieder weg. Dann hatte sie den dringenden Termin in Tübingen beim Anwalt und fuhr - mit dem Zug übrigens - dorthin. Anlass war auch hier auch eine ehrenamtliche Tätigkeit. Als sie wieder zurück in Hechingen war, ging sie sofort zur Polizei. Da war die Anzeige aber schon am Laufen.

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Dass sie Strafe zahlen musste, war der älteren Dame eigentlich egal, das Fahrverbot schmerzte sie hauptsächlich, weil sie dann die von ihr betreuten Senioren für Wochen nicht mehr hätte besuchen können. Vor allem aber störte sie, dass nach einem 80-jährigen unbescholtenen Leben, in dem sie als Bilanzbuchhalterin gearbeitet hat, in dem sie nie einen Unfall hatte, sie am Ende noch "vorbestraft" sein soll.

Strafbefehl wird aufgehoben

Spätestens an dieser Stelle war der Staatsanwältin klar, dass hier Milde die einzige Option für eine gerechte Behandlung der Sache ist. Der Fall liege ohnehin "an der Grenze der Notwendigkeit der Strafverfolgung", erklärte sie, und empfahl die Aufhebung des Strafbefehls. Die Richterin folgte diesem Vorschlag. Eine Geldauflage von 1000 Euro aber muss die ältere Dame zahlen. Damit zeigte sie sich auch völlig einverstanden.

Nicht vorbestraft, kein Fahrverbot - mit strahlendem Lächeln verließ sie den Gerichtssaal, untergehakt bei ihrem Anwalt, der auch ganz gerührt dreinblickte. "Wissen Sie, das ist für mich das schönste Weihnachtsgeschenk überhaupt, das ich mir vorstellen kann. Es hätte Tränen im Altenheim gegeben, wenn ich nicht hätte kommen können", erzählte sie zum Abschied, "ich freue mich so, dass ich die Leute jetzt nicht im Stich lassen muss."