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Besetztes Haus in Berlin wird geräumt - Randalierer suchen die Konfrontation mit Polizei.

Berlin - Eine der letzten Bastionen der Berliner Hausbesetzer-Szene ist nach langem Rechtsstreit gefallen. Seit Wochen hatte die Szene mobilgemacht – gestern sicherten 2500 Polizisten die Räumung ab.

Die Bierflasche ist als solche nicht zu erkennen, irgendein Gegenstand also fliegt in halbhohem Bogen herbei, streift die Schulter und zerbirst mit einem Knall auf dem Straßenpflaster. Ein Polizist schnappt sich den erstbesten jungen Mann auf dünnen Beinen neben sich und will ihn in den Schwitzkasten nehmen. Der entwindet sich dem Griff und kann Boden gutmachen. Der Polizist rennt ihm hinterher, gefolgt von fünf Kollegen, doch die Verfolgungsjagd endet an einer Reihe parkender Autos, hinter der der Junge abtaucht. Die Menge grölt und applaudiert dem Flüchtenden hinterher. Den Polizisten brüllen sie nach: „Ich bin nichts! Ich kann nichts: Gebt mir eine Uniform!“

Jagdszenen im Berliner Bezirk Friedrichshain an einem Tag, an dem doch nur ein besetztes Haus geräumt wird. Seit Tagen schaukelt sich die Konfrontation auf. Die Polizei schickt 2500 Beamte – für ein Haus, als Amtshilfe für den Gerichtsvollzieher. Der kommt früh um acht in die Liebigstraße14, wo seit drei Jahren etwa 25 Menschen ohne Mietvertrag leben. Die Bewohner öffnen nicht. Polizeibeamte verschaffen sich über Dach und Fenster Zugang ins Gebäude. Sie stoßen auf Falltüren im Treppenhaus, mit Stahlträgern verstärkte neue Mauern, verbarrikadierte Wohnungen. Mit Äxten und einem Rammbock rückt die beamtete Baubrigade dem Altbau zu Leibe. Im Parterre treffen die Polizisten auf offene Stromkabel, die aus mit Flüssigkeiten gefüllten Wannen ragen. Kriminaltechniker rücken an: doch nur Wasser, kein Flüssigsprengstoff, aber in Kontakt mit Strom lebensgefährlich.

Aus dem Haus gegenüber nervt ein ohrenbetäubender schriller Dauersirenenton, durch einen Verstärker auf höchste Dezibelwerte geschraubt. Alternativer Psychoterror. Im zweiten Stock des besetzten Hauses leisten neun Bewohner Widerstand – die sechs Männer und drei Frauen werden festgenommen. Insgesamt wurden 32 Personen vorläufig festgenommen. Nach fünf Stunden ist das Haus endlich geräumt.

Das Ende eines alternativen Wohnprojekts: 1990 wurde das leerstehende Haus besetzt. Hier ging ein und aus, wer Lust auf ein „selbstbestimmtes Leben“ hatte, sagen Nachbarn. Später erhielten die Bewohner Mietverträge, die gekündigt wurden, als Privatleute das Haus Ende der 90er Jahre kauften. Zuletzt lebten hier 25 Menschen zwischen 19 und 40 Jahren. Der Besitzer will die Liebigstraße 14 sanieren und schicke Wohnungen auf den Markt werfen. Gentrifizierung heißt das Phänomen im Jargon der Gegner: Alteingesessene Gesellschaftsgruppen und alternative Kneipen oder Künstler müssen wegziehen, weil sie die Mieten nicht mehr bezahlen können. Investoren und Stadtplaner halten dagegen: Neue Gesellschaftsgruppen siedeln sich an, mit ihnen kommen Geschäftsleute, und die Gegend wird aufgewertet. Am Montag scheiterten die Hausbesetzer mit einem Eilantrag, zuvor hatten schon zwei Instanzen die Ungültigkeit ihrer alten Mietverträge festgestellt.

Je näher der Räumungstermin rückte, um so rüder ihre Ansagen: Wir bleiben alle! Das Projekt spaltet die Politik. Innenminister Ehrhart Körting (SPD) sagt: „Es geht hier nicht um alternative Wohnformen, sondern darum, hier nicht auf Kosten des Eigentümers zu leben.“ Der grüne Bezirks-Bürgermeister Franz Schulz räumt ein, „dass den Bewohnern keine echten Alternativen angeboten wurden“, die dem Anspruch des alternativen Wohnprojekts gerecht würden.

Die „Liebig 14“ war eins der letzten von etwa 20 besetzten Häusern Berlins. Die Szene hält die traditionsreiche Bewegung aus Frankfurt und Hamburg hoch: In Berlins Innenstadtteilen Mitte, Prenzlauer Berg, Kreuzberg und Friedrichshain begehren Anwohner – unterstützt von linken Politikern, linken Sympathisanten und gewaltbereiten Extremisten – seit jeher dagegen auf, dass Menschen verdrängt werden. Im Westberlin der 80er Jahre waren bis zu 160 Häuser besetzt. „Weil sonst für die kein Platz mehr ist, die zuerst hier waren“, sagt die Frau vom Mieter-Rat Liebig 14. „Kauf schlägt nicht Miete“, doziert sie mit frierenden Fingern an Zigarette: „Wer ein Haus kauft, der muss auch für die Mieter sorgen.“

„Jeda soll doch mach’n könn’n, wassa wüll“

Die Dame skandiert in einer Parallelstraße mitten auf einer großen Kreuzung mit etwa 400 Punks und Autonomen: „Reißt ihr unsere Häuser nieder, sehen wir uns in euren wieder!“ Und: „Freiräume statt Investorenträume“. Die gestauten Autofahrer hupen nicht einmal. Eine Geste der Sympathie oder des Danks für gute Unterhaltung? Eine zugekiffte Grufti-Tänzerin auf nassem Asphalt hält ihre Rauchtüte in eine Polizeikamera und gibt mit schwerer Zunge ein politisches Bekenntnis ab: „Jeda soll doch mach’n könn’n, wassa wüll“ – in einem Einsatzwagen lachen Beamte schallend. Doch die entwaffnende Art hält nicht lange vor.

2500 Polizisten aus zehn Bundesländern sind im Einsatz. 2500 gegen „alle, die bleiben“. Vor allem gegen jene, die die Gelegenheit nutzen, um sich mit der Polizei anzulegen, ihrem angeblichen Staatsfeind Nummer eins. Linksextreme versuchen die Auseinandersetzung um die „Liebig 14“ zu nutzen, um Krawalle ähnlich jenen des 1. Mai schon jetzt loszutreten. In einem Video imitieren sie die Entführung von Innensenator Körting im Stil der Schleyer-Entführung. Ein halbes Jahr vor der Landtagswahl im September will der Senat Gewalt vermeiden – und doch nicht nachgeben.

Es stinkt nach verbranntem Kunststoff, weil Randalierer immer wieder Mülltonnen in Brand setzen. Sie werfen Knallkörper und Steine, blockieren Straßen mit Hausrat und Müllcontainern. Für einen kurzen Moment wirkt der junge Polizist wie entrückt. Gerade noch hatte er sich den Kinnriemen seines Helms festgezurrt und geprüft, ob der Schlagstock richtig sitzt – ob er ihn also schnell genug aus dem Jackenhalfter ziehen kann. Als wäre er diese Trockenübung leid, lässt er unter der schwarzen Kampfmontur die Schultern fallen: „Irgendetwas läuft in der Politik schief. Es kann doch nicht sein, dass wir wie in Gorleben und Stuttgart dauernd gegen die eigene Bevölkerung in Stellung gebracht werden und auf beiden Seiten die Nerven blank liegen.“ Fast entschuldigend stürzt er los, als sein Einsatzleiter den Sammelbefehl über das Pflaster brüllt.

„Ihr seid nur ’ne Hundertschaft – wir sind ein bisschen mehr!“, grölen umstehende junge Männer, etwa im Alter der Polizeibeamten. Schwarz gekleidet auch sie, mit Kapuzen, Bierflaschen und Sonnenbrillen bewehrt. Einer bringt sich in Position, zeigt mit dem Finger auf die Sicherheitskräfte, die auf Stativen Kameras in die Luft recken, um die Szene zu filmen. Er rempelt seine Kumpel an und biegt sich schier vor lachen. „Euer Karma wird euch noch alle bestrafen“, ruft er herüber.

Ein Knallkörper explodiert, Rauch steigt auf. Flink spurten die schwarz gekleideten jungen Leute mit Kapuze den schwarz gekleideten jungen Leuten mit Helmen hinterher. Die Demonstranten wollen, die Polizisten müssen zuerst da sein, wo es knallt. Katz-und-Maus-Spiel zwischen Randalierern und Ordnungskräften. Oder Berliner Krawall-Folklore wie so oft zum 1. Mai in Kreuzberg? In einer Seitenstraße fahren Wasserwerfer und ein Räumpanzer auf. Die Polizei rüstet sich für die Nacht.