Mitteilung über die "Unfruchtbarmachung" eines 17-jähriges Mädchens aus HausachRepro: Hensle Foto: Schwarzwälder Bote

Historie: Auch in Hausach wurden in der NS-Zeit Menschen zwangssterilisiert

Zu den Gräueltaten des NS-Regimes gehörte auch die Zwangssterilisation von Menschen, die der Ideologie nach "erbkrank" galten. Auch in Hausach gab es solche Fälle. Hausachs Stadtarchivar Michael Hensle entsprechende Dokumente gefunden.

Hausach. In seiner berühmten Rede von 1985 nannte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker den 8. Mai 1945, den Tag der deutschen Kapitulation, auch ein "Tag der Befreiung" vom "menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft". Ein früher Bestandteil dieses "menschenverachtenden Systems" ist nahezu in Vergessenheit geraten, obwohl er Hunderttausende betraf: die Zwangssterilisationen.

Bereits kurz nach der Machtergreifung hatten die Nationalsozialisten das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" verabschiedet, das die "Unfruchtbarmachung" so genannter "Erbkranker" aber auch "Trunksüchtiger" vorsah. Der laut NS-Ideologen "fortschreitende Verlust wertvoller Erbmasse" müsse aufgehalten werden. In der Einleitung des Gesetzes, das zum 1. Januar 1934 in Kraft trat, werden die Nationalsozialisten konkreter: "Während die gesunde deutsche Familie, besonders der gebildeten Schichten, nur etwa zwei Kinder im Durchschnitt hat, weisen Schwachsinnige und andere erblich Minderwertige durchschnittlich Geburtenziffern von drei bis vier Kindern pro Ehe auf." Hinzu komme, "daß für Geistesschwache, Hilfsschüler, Geisteskranke und Asoziale jährlich Millionenwerte verbraucht werden, die den gesunden, noch kinderfrohen Familien durch Steuern aller Art entzogen werden."

Gerichte entscheiden ohne Öffentlichkeit

Es ging also letztlich um eine Nützlichkeits-Rechnung. Über die "Unfruchtbarmachung" entschieden so genannte Erbgesundheitsgerichte unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Um den Anschein einer Rechtsförmigkeit zu wahren, waren diese Erbgesundheitsgerichte mit einem Amtsrichter und zwei Ärzten besetzt. Der Antrag auf Zwangssterilisation konnte beispielsweise durch den Amtsarzt oder auch durch einen Anstaltsleiter erfolgen. In Hausach betraf dies nachweislich vier Menschen. Darunter war ein 17-jähriges Mädchen, das in der St. Josef-Anstalt in Herten untergebracht war. Auch der volljährige Karl W. wurde Opfer der Zwangssterilisation. Er war wegen "Schizophrenie" in die Anstalt Illenau bei Achern eingewiesen worden. Aus beiden Anstalten wurden geistig und körperlich behinderte Patienten im Rahmen des NS-Euthanasie-Programms in Grafeneck ermordet.

Das Perfide bei den Zwangssterilisationsverfahren bestand auch darin, dass versucht wurde, die Angehörigen an den Kosten zu beteiligen. So im Fall des volljährigen Karl W., dessen Vater eine Kostenschuldanerkennung mit der Begründung verweigerte, "sein Sohn sei infolge der Sterilisation rückfällig krank geworden". Daraufhin schrieb der Direktor der Anstalt Illenau: "Die Ansicht des Vaters ist natürlich durchaus unrichtig. Es liegt im Wesen des schizophrenen Prozesses, dass diese Geisteskrankheit in sogenannten Schüben, das heißt akuten Verschlimmerungen auftritt. Es ist daher sein Sohn krank geworden, nicht etwa weil er die begreiflichen Erregungen des Verfahrens und des Eingriffs zur Unfruchtbarmachung durchmachte, sondern weil er ein an Schizophrenie Erkrankter ist, bei dem ein Schub des Krankheitsprozesses jederzeit neu auftreten kann."

Die Zeilen lassen erahnen, wie viel Leid die Betroffenen erlitten haben. Und deren Zahl bis Kriegsende 1945 war enorm: Rund 400 000 Menschen wurden zwangssterilisiert, wovon schätzungsweise 5000 an den Folgen des Eingriffs verstarben. Laut Grundgesetz ist "die Würde des Menschen unantastbar". Aber die bundesrepublikanische Nachkriegsgesellschaft tat sich schwer im Umgang mit dem Thema "Zwangssterilisation". Erst 1998 hob der Bundestag so genannte "Unrechtsurteile" auf, und 2007 explizit auch die der Erbgesundheitsgerichte.

Die Opfer der Zwangssterilisationen wurden nicht als Verfolgte des Nationalsozialismus anerkannt und ihnen eine Entschädigung somit versagt. Am 6. Juli 2020 wurde am Gesundheitsamt Stuttgart eine Gedenktafel für die Opfer der Zwangssterilisationen durch Gesundheitsamt und Stadt Stuttgart enthüllt.