Literaturvermittlerin und Lyrikerin Daniela Seel sprach zum Abschluss des "Versopolis-Kick-off-Meetings" unter anderem über das Arbeiten als Lyriker in Deutschland. Foto: Störr Foto: Schwarzwälder Bote

Versopolis: Daniela Seel referiert über die Beudeutung der deutschen Dichtung in der Gegenwart

Zwei arbeitsreiche Tage haben hinter den Teilnehmern des "Versopolis-Kick-Off-Meetings" in Hausach gelegen. Zwei Tage, in denen sie Ideen und Konzepte zur weiteren Entwicklung und Verbreitung der Lyrik in Europa besprachen.

Hausach. Leselenz-Kurator José F. A. Oliver zeigte sich glücklich, dass nicht nur über Organisatorisches gesprochen wurde, sondern dass auch das deutschsprachige Gedicht und seine Bedeutung seinen Platz fanden. Der Donnerstagabend stand unter dem Motto: "German poetry today", was ins Deutsche übersetzt in etwa "die deutsche Dichtung in der Gegenwart" bedeutet.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern sei es in Deutschland möglich, vom Dichten finanziell zu leben, erklärte die Literatur-Vermittlerin und Lyrikerin Daniela Seel den internationalen Gästen in der Hausacher Mediathek. Allerdings sei es notwendig, neben den eigenen Projekten auch Aufträge anzunehmen: Dazu gehören beispielsweise das Schreiben von Reden, das Veröffentlichen von Beiträgen in Zeitungen oder Magazinen sowie das Auftreten bei Lyrik-Festivals.

Damit sei es möglich, vom Schreiben zu leben, auch wenn die Bücher in kleiner Auflage veröffentlicht werden, so Seel. Der Arbeitsaufwand und die Zeit des Organisierens hätten aber enorm zugenommen: Jeder Dichter müsse auch sein eigener Manager sein.

Nachdem die großen Verlage ihre Lyrik-Programme sehr reduziert hätten, sei in den vergangenen 15 Jahren ein beeindruckender Anstieg von neuen, auf Lyrik fokussierten und unabhängigen Klein-Verlagen und Plattformen entstanden – getragen von der Begeisterung und der Notwendigkeit, Gedichte zu verbreiten, erklärte Seel. Auch sei ein großer Anteil der Infrastruktur von den Poeten selbst ins Leben gerufen worden, beispielsweise mit Lese-Reihen oder Lyrik-Festivals.

Was in der deutschen Lyrik fehle, ist laut Seel ein ausgesprochener Feminismus oder die Berücksichtigung der Gender-Debatte. Die gängige Literaturszene sei zu einseitig und bisweilen sexistisch – aber doch nicht ganz so vielgeschlechtlich ausgeprägt, wie das in anderen Teilen der Kunst sei. Der weibliche Anteil bei Auszeichnungen liege bei etwa 30 Prozent und es scheine zu gelten: je prestigeträchtiger ein Preis ist, desto geringer sei der weibliche Anteil der Prämierten.

Als eine neue Herausforderung gelte es sogenannte "Follower" und Räume im Internet für sich zu gewinnen. Die deutsche Lyrik werde im Augenblick auch wieder politischer und gesellschaftlich engagierter, gerade unter den jüngeren Dichtern unterschiedlicher Herkunft.

Dennoch ist die Lyrik-Szene lebendiger als jemals zuvor. Allein für den bedeutendsten deutschen Lyrik-Preis, den Peter-Huchel-Preis, gebe es in diesem Jahr eine Vorschlags-Liste von mehr als 100 Neuerscheinungen.

Für Versopolis-Initiator Aleš Steger stellte sich die Frage, ob die sprachlichen Unterschiede in den deutschsprachigen Ländern eine wesentliche Rolle spielten oder ob es eine Angleichung in Inhalt und Form gebe. Für Seel war klar, dass Übersetzungen bedeutend seien. Allerdings werde es immer schwieriger, Übersetzer für Randsprachen zu bekommen, weil mit zunehmend englischer Sprache das Training für die kleineren Sprachen fehle. So gebe es beispielsweise große georgische Dichtungen, für die sich kaum Übersetzer finden ließen.

José F.A. Olive r fand es schwierig, von "der" Schweizer Dichtung zu sprechen, weil es in der Schweiz vier Sprachen gebe. Allerdings werde dort der Dichtung durch Förderer, wie der Helvetia-Stiftung, mehr Gewicht verliehen.

Seine Frage galt dann Daniela Seel als Verlegerin von "Kookbooks", wie sich Klein-Verlage noch stärker behaupten können. Die Literaturvermittlerin erklärte, dass es einen engen Austausch unter kleinen Verlagshäusern gebe. Außerdem seien in den vergangenen Jahren mehr Literaturpreise ausgelobt worden. Es werde viel Hintergrundarbeit geleistet, eine staatliche Förderung gebe es nicht. Die Kurt-Wolf-Stiftung sei eines der positiven Ergebnisse in der Zusammenarbeit von bis zu 100 unabhängigen Verlagshäusern in Deutschland