Hans-Michael Uhl (links) moderierte die Diskussionsrunde mit Jürgen Grässlin. Foto: Kleinberger Foto: Schwarzwälder Bote

Vortrag: Friedenspreisträger Jürgen Grässlin informiert über Folgen der deutschen Rüstungsexporte

Hausach - Den Opfern eine Stimme geben: Das will der Friedensaktivist Jürgen Grässlin. Zu seinem Vortrag, zu dem Awo, die beiden Kirchengemeinden und die SPD eingeladen hatten, kamen gut 70 Zuhörer ins Hausacher Pfarrheim.

Zunächst begrüßten Pfarrer Christoph Nobs und Hausachs SPD-Fraktionssprecherin Brigitte Salzmann die Anwesenden und warfen bereits Fragen auf, die in das Spannungsfeld "Frieden und Waffenhandel" einführten. Die musikalische Gestaltung des Vortrags lag in den Händen von Matthias Demmel und Edgar Laug, die mit Stücken unter anderem von Bob Dylan einen würdigen Rahmen boten.

"Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten": Unter diesem Titel beschäftigte der Freiburger Aktivist sich schwerpunktmäßig mit dem Handel und den verheerenden Auswirkungen von Kleinwaffen. Grässlin ist unter anderem Sprecher der Kampagne "Aktion Aufschrei – stoppt den Waffenhandel" (mehr zu Grässlin siehe Info) und hatte kürzlich mit einer Klage gegen Heckler & Koch insofern Erfolg, als dass das Unternehmen zu 3,7 Millionen Euro Strafe wegen illegaler Waffenlieferungen nach Mexiko verurteilt wurde.

Die mit Abstand tödlichsten Waffen seien die Kleinwaffen: "Rund 95 Prozent der in Kriegen getöteten Menschen" kämen durch diese um. Zu den Kriegstoten kommt allerdings noch eine Vielzahl Überlebender, deren teils dramatische Schicksale Grässlin in Hausach an einem jungen Mann aus dem Norden Somalias verdeutlichte: Dieser habe bei einem Massaker während des Bürgerkriegs, das mit G 3-Gewehren ausgeführt wurde, einen Kopfschuss erlitten. Er überlebte – ist aber nicht mehr ansprechbar. "Viele, die beschossen werden, überleben. Aber sie genesen nicht", machte Grässlin die harte Realität der Kriege deutlich, für die seinen Ausführungen zufolge auch deutsche Firmen Waffen liefern. Fundiert recherchiert stellte er die komplizierten Verflechtungen da, mit denen auch Rüstungsfirmen wie Rheinmetall und Sig Sauer international operieren.

Detailliert ging Grässlin auf die Zusammenhänge zwischen Waffenhandel und Flucht ein. Dabei verdeutlichte er auch, dass unter Beteiligung deutscher Firmen inzwischen Abfangzäune gebaut werden. "Wir hätten aus der innerdeutschen Grenze lernen können", befand er. Stattdessen würden beispielsweise südlich der Maghreb-Staaten, Tunesien ausgenommen, Zäune gebaut, die das Weiterkommen von Flüchtlingen verhindern sollen: Sechs Meter hoch, streng bewacht, gespickt mit Nato-Draht. Rund um Saudi-Arabien würden Grenzzäune gebaut, "die am Bodensee entwickelt werden".

Grenzzäune "werden am Bodensee entwickelt"

Nach diesem Vortrag beantwortete Grässlin im zweiten Teil eine Frage, die sich wohl allen Anwesenden aufdrängte: Was tun? Lösungen könnten sein, Organisationen wie dem globalen Netzwerk "Stop the Arms Trade" beizutreten, Aktien von Rüstungsunternehmen zu zeichnen, um die Hauptversammlungen mitbestimmen zu können oder sich Abgeordneten gegenüber stark zu machen.

In einer anschließenden Fragerunde, die von Hans-Michael Uhl moderiert wurde, diskutierte Grässlin mit den Anwesenden. Eine Rückmeldung, der Vortrag sei zu sehr "Schwarzweißmalerei" gewesen, ließ der Friedensaktivist stehen. Die Frage, ob er nur gegen illegale oder gegen alle Waffenexporte sei, beantwortete Grässlin mit einer niederschmetternden Feststellung: Das Argument, nur "die Guten" würden beliefert, sei ad absurdum geführt. "Waffen wandern." Seiner Ansicht nach brauche Deutschland die Waffenexporte nicht.

Zum Dank für den Vortrag und mit Blick auf Grässlins unermüdlichen Einsatz schenkte Bernd Salzmann ihm am Ende einen großen Holzbohrer: "Zum Dicke-Bretter-Bohren".

Jürgen Grässlin, Jahrgang 1957, gilt seit den 90er-Jahren als Deutschlands profiliertester Rüstungsgegner. Der hauptberufliche Lehrer ist Autor mehrerer Bücher über die Rüstungsindustrie. In der von ihm begründeten "Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel", deren Sprecher er ist, engagieren sich inzwischen mehr als 100 Organisationen. Mit dem "Global Net – Stop the Arms Trade" informieren Grässlin und seine Mitstreiter über besonders verwerfliche Fälle von Waffenhandel. 2016 erhielt er den Stuttgarter Friedenspreis.

Weitere Informationen: www.juergengraesslin.com

Kommentar von Lisa Kleinberger "Erschütternd"

Ist es Schwarzweißmalerei, wenn ein ausgewiesener Friedensaktivist bei einem Vortrag darlegt, welche verheerenden Folgen der Waffenhandel auf die Menschen in Kriegsgebieten hat? Bei einem Thema wie Kriegswaffenexport ist es schwer, Grauzonen zuzulassen – und dafür steht Jürgen Grässlin, der in der Diskussionsrunde in Hausach verdeutlichte, dass er für einen Stopp aller Waffenexporte ist, auch nicht. Eine Position, die nach den erschütternden Fakten, die er lieferte, durchaus nachvollziehbar ist. Immerhin ist alles, worüber Grässlin berichtete – Flüchtlingsströme, Statistiken, die (illegalen) "Wanderungen" von Waffen, wenn sie einmal in der Welt sind – bekannt. Sie in diesem großen Zusammenhang zu sehen und zu verstehen, wie deutsche Kriegswaffenexporte zum Elend in der Welt beitragen, ist trotzdem erschütternd. Grässlin verband den zweiten Teil seines Vortrags mit einem Aufruf: "Geht nicht nach Hause und sagt: ›Die Macht der Anderen ist zu groß.‹ Sagt: ›Ich ertrage das nicht‹ und tut etwas." Ob die von Grässlin gelieferten Fakten und Bilder rund um den Waffenexport und seine Folgen unerträglich sind, wird jeder der Zuhörer mit sich selbst ausmachen müssen. Die moralische Verantwortung bei diesem komplexen Thema wiegt jedoch schwer.