Gaia Ginevra Giorgi sprengte den literarischen und musikalischen Rahmen. Foto: Haberer

Kultur: Gaia Ginevra Giorgi entwirft eigenständiges Konstrukt

Hausach - Zum Abschluss der zweiten Festivalausgabe hat der Leselenz noch einmal ein Literaturfenster geöffnet. Die Italienerin Gaia Ginevra Giorgi hat Klangcollagen und Gedichtfragmente zusammengeführt und so das Feld der Avantgarde bestellt.

Der Auftritt der 1992 geborenen Italienerin, mit der erstmals das "Literatourfenster Italia" geöffnet wurde, hat die Hörgewohnheiten des Publikums herausgefordert und doch auch eine erfrischende Duftmarke gesetzt.

José F. A. Oliver, als Lyriker und Festivalmacher gleichermaßen von einem ungebändigten, aufrührerischen Geist durchdrungen, hat mit dem Schlussakkord des diesjährigen Festivals auch ein kleines Versprechen für die um ein Jahr verschobene Jubiläumsausgabe zum 25-Jährigen abgegeben. In Hausach wird Literatur immer wieder neu gedacht, manifestiert sich ein Selbstverständnis, dass nicht zuletzt aus einem Netzwerk umtriebiger Akteure schöpft, die neue Formate austesten und auf den Weg bringen. Das Festival beeindruckt aber auch mit dem festen Willen, mit dem es nun bereits zum zweiten Mal erfolgreich der Pandemie mit all ihren Einschränkungen getrotzt hat.

Bevor die 1992 geborene Gaia Ginevra Giorgi in Hausach aufschlug, wurde noch einmal eine der Spezialitäten des Hausacher Leselenz deutlich. Die einzelnen Formate und Lesungen werden von Hochkarätern betreut und moderiert. Der Schriftsteller und Lyriker Mikael Vogel, 2019 auch Stadtschreiber in Hausach, tauchte tief in die Mythologie ein – Gaia, die personifizierte Erde und erste aus dem Chaos geborene Gottheit. Die Eltern der von ihm vorgestellten Künstlerin haben offensichtlich hoch gepokert. Mikael Vogel sinnierte und entwarf ein literarisch eigenständiges Konstrukt, bevor er die Bühne für die Künstlerin freigab.

Dann wurde das Publikum mit einer Performance konfrontiert, die den literarischen und musikalischen Rahmen gleichermaßen sprengte. Elektronische Klangcollagen und Alltagsgeräusche, ein fragmentierter Beat, der die junge Frau auf der Bühne grooven ließ, stellte die Zuhörer vor eine Herausforderung, weil er sich melodischen und rhythmischen Mustern verweigerte. Das Gleiche galt für die Lyrik der Italienerin, die Versbausteine, scheinbar unvollständig und chiffriert, bisweilen archaisch und dunkel, durchsetzt war. Die Stimme wurde verfremdet und in Loops multipliziert. Das Publikum konnte sie nur dechiffrieren über die deutsche Übersetzung, die Mikael Vogel auf eine Leinwand neben der Bühne projektierte. Es konnte sich aber auch einfach zurücklehnen, die Vorpremiere des neuen Gedichtzyklus, der neuen Bühnenperformance von Gaia Genevra Giorgi auf sich wirken lassen. Lyrik muss sich nicht immer auf Anhieb erschließen, sie kann und darf auch auf einer anderen, einer sinnlichen Ebene ihren Charme entfalten. Auch das zählte zu den Erkenntnissen, die beim Hausacher Leselenz deutlich wurden und immer wieder neu beeindrucken.

Gaia Ginevra Giorgi wurde 1992 in Alessandria geboren. Sie machte an der Universität von Turin in Philosophie einen Abschluss. Nachdem sie mehrere Jahre mit Musik und Literatur herumexperimentiert hatte, veröffentlichte sie 2016 unter dem Pseudonym Edizioni ihre erste poetische Arbeit mit dem Titel "Sisifo". Momentan studiert sie an der Theaterschule "Alessandria Galante Garrone" in Bologna.