Das politische Sachbuch stand im Fokus der Rathauslesung mit Wolfgang Niess. Foto: Haberer Foto: Schwarzwälder Bote

Literatur: Wolfgang Niess liest aus "Die Revolution 1918/1919"

Ein Interview mit Bürgermeister Wolfgang Hermann hat dem Leselenz ein neues Format beschert: "Im Fokus" nimmt das politische Sachbuch ins Visier. Zum Einstieg hat Michael Serrer mit Wolfgang Niess über die Revolution von 1918/1919 diskutiert.

Hausach. Seine Liebe gelte dem politischen Sachbuch, hatte Hermann in einem Interview im Vorfeld der Hausacher Bürgermeisterwahl erklärt. Er hatte damals keine Ahnung, dass er José F.A. Oliver damit eine Steilvorlage für die Neuausrichtung der Rathauslesung liefern würde.

Wolfgang Niess hat 2017 ein Buch unter dem Titel "Die Revolution 1918/1919 – Der wahre Beginn unserer Demokratie" vorgelegt. Im Gespräch mit Michael Serrer beschäftigt er sich am Sonntagnachmittag mit der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, die vor allem mit dem Ende des Kaiserreichs und dem Scheitern der Weimarer Republik, Aufstieg der Nationalsozialisten und Hitlers Machtergreifung in Verbindung gebracht wird.

Die bürgerliche Demokratiebewegung von 1848/1849 ist stecken geblieben. Die Einführung der ersten Demokratie in Deutschland bleibt den Arbeiter- und Soldatenräten vorbehalten, die im November 1918 in wenigen Tagen das Kaiserreich hinwegfegen. Die Matrosen der deutschen Kriegsflotte geben den ersten Impuls, weil sie sich nicht sinnlos verheizen lassen wollen. Ihr Aufstand greift um sich und schafft die Republik, die erstmals demokratische Normen in Deutschland setzt. Niess skizziert auf rund 450 Seiten die Ereignisse jener Zeit und zeigt auf, warum die Republik scheitert, das Land in die größte Katastrophe aller Zeiten schlittert.

Niess und sein Gesprächspartner Serrer tauchen tief in die Materie ein. Sie beleuchten dabei auch das spätere Scheitern, das von vielen Faktoren begünstigte Erstarken der Nationalsozialisten, die ganz bewusst die Dolchstoßlegende um die Verräter von 1918 strickten. Die Diskussion streift aber auch die Gegenwart, in der erneut eine vergleichsweise kleine Minderheit Volkes Stimme erhebt und alle Andersdenkenden mit Hass überzieht. Wieder wirkt eine Regierung getrieben und buhlt um die Wähler am rechten Rand. Niess mahnt zur Wachsamkeit, fordert ein Eintreten für die Demokratie.

Mit einem eher beiläufigen Abstecher in die damals eher konservative badische Provinz liefert Niess ungewollt eine Steilvorlage für Stadtarchivar Michael Hensle. Die Revolution sei in Hausach "eher unauffällig" verlaufen, es gebe kaum Hinweise im Archiv, so Hensle. Aus Angst vor der Enteignung seien die Fürstenberger, die Herren von Hausach, aber nach vorne gestürmt (siehe Info).

Den Lehnsbauern wurden 1918/1919 laut Niess umfangreiche Ländereien angeboten. Das Fürstenhaus sei aber schnell wieder zurückgerudert. Hausach selbst wurde zum Nutznießer und kaufte die Ländereien für viel Geld auf. Die Stadt entwickelte sich prächtig, weil der Schuldenberg später durch die Inflation pulverisiert wurde.