Viele Menschen machten sich in Nagold am Montag wieder auf zum Corona-"Spaziergang". Foto: Fritsch

Im Interview sprechen ein Vertreter des Staatsschutzes und die Chefin der Calwer Kripo über die "Spaziergänger" in der Region und die Zunahme von Hass im Internet.

Nordschwarzwald - "Die Teilnehmer sind weitgehend dem bürgerlichen Spektrum zuzuordnen." Das sagt Ullrich Arzt, Leiter der Inspektion Staatsschutz bei der Kriminalpolizeidirektion mit Sitz in Calw zu den von den Teilnehmern als "Spaziergänge" bezeichneten Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen und eine mögliche Impfpflicht.

Gleichwohl gelte es die Szene aufmerksam zu beobachten. Zumindest bei den Demonstrationen in der Region Nordschwarzwald, wo zuletzt allein in Nagold mehr als 1000 Teilnehmer gezählt wurden, könne von einer Steuerung durch rechtsextreme Gruppen nicht gesprochen werden, sagt Sandra Zarges, Leiterin der Kriminalpolizeidirektion in Calw. Das mag in anderen Regionen Deutschlands, so die Kripo-Chefin, anders aussehen. "Das kann sich auch bei uns ändern, die latente Gefahr besteht grundsätzlich. Dennoch ist ein Denken in Schubladen fehl am Platz. Man muss das differenziert und aufmerksam beobachten", sagte Zarges im Gespräch mit unserer Zeitung.

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Die Struktur ist heterogen

"Die Teilnehmer haben sich teilweise bei den Demos kennengelernt und in der Folge miteinander vernetzt", erläutert Arzt. Die Struktur sei recht heterogen. Manche Demonstranten kommen offenbar aus dem Bereich gewisser christlicher Gemeinschaften, andere zeigen sich besorgt um ihre Kinder. Medizinskeptiker befinden sich anscheinend genauso darunter wie Verschwörungstheoretiker oder Esoteriker.

Die Corona-Pandemie und die Auseinandersetzungen um eine Impfpflicht spielen bei der Hasskriminalität im Internet eine zunehmende, wenn auch bei weitem nicht die alleinige Rolle. Die Zahl der registrierten Delikte in diesem Bereich stieg in den ersten drei Quartalen in Baden-Württemberg nach Angaben des Innenministeriums um 10,1 Prozent auf 478.

Hasspostings beschäftigen Kripo zunehmend

Hass-Postings im Netz beschäftigen auch die Kriminalpolizeidirektion in Calw in zunehmendem Maß. Corona ist dabei laut Zarges ein eher kleiner Teilaspekt. Oft handelt es sich um gruppenbezogene Vorurteile. Da kann die sexuelle Orientierung genauso eine Rolle spielen wie die Hautfarbe oder eben das Impfen. Hass-Mails richten sich oft gegen Kommunalpolitiker und andere Vertreter des öffentlichen Lebens. Dabei spielen, so Arzt, Emotionen eine große Rolle. So kann es sich auch um Nachbarschaftsstreitigkeiten handeln. Ein ideologischer Ursprung sei nicht immer erkennbar.

Zunahme der Verrohung ist erschreckend

Erschreckend sei die Zunahme der Verrohung, wie Zarges und Arzt betonen. Im Internet gehe das einfach, bequem und schnell. Gleichwohl gebe es Grauzonen, betont die Kripo-Chefin. Denn die Meinungsfreiheit, ein hohes Gut in einer Demokratie, erlaube Polemik und grundsätzlich auch überzogene Kritik. Zudem gelte es zwischen vagen und konkreten Bedrohungen zu unterscheiden. Allein der Hinweis "Ich weiß, wo du wohnst" rechtfertige beispielsweise per se kein polizeiliches Vorgehen. Erst beim Anfangsverdacht einer Straftat oder beim Vorliegen einer entsprechenden Gefahr könnten die Beamten tätig werden.

Entwicklung in der Region "noch überschaubar"

Auch wenn die Entwicklung im Nordschwarzwald "noch überschaubar" ist, so Zarges, stelle der Hass im Netz eine große Herausforderung dar. Das dürfte in naher Zukunft schon deshalb weiter zunehmen, weil zum 1. Februar das reformierte Netzwerkdurchsuchungsgesetz in Kraft tritt. Dann müssen soziale Netzwerke strafbare Handlungen melden. Das Bundeskriminalamt (BKA), wo eine zentrale Meldestelle eingerichtet wird, rechnet mit jährlich 250 000 NetzDG-Meldungen, die etwa 150000 Strafverfahren nach sich ziehen werden, wie ein Sprecher der Behörde sagte. Auch wenn die US-Internet-Konzerne Facebook und Google beim Verwaltungsgericht Köln Anträge auf einstweilige Anordnungen gestellt haben und deshalb vorerst keine mutmaßlichen Delikte an die Polizei melden werden, geht das BKA davon aus, dass "weitere soziale Netzwerke mit mindestens zwei Millionen registrierten Nutzerinnen und Nutzer der gesetzlichen Meldeverpflichtung nach dem NetzDG zum 1. Februar unterliegen."

Internet ist kein rechtsfreier Raum

Rund 200 Beamtinnen und Beamte werden in der Zentralen Meldestelle des BKA für strafbare Inhalte im Internet arbeiten und die Vorfälle über die Landeskriminalämter an die jeweils zuständigen Polizeipräsidien weiter leiten. In dem Gesetz sieht Zarges "einen wichtigen Baustein für unsere Arbeit". Denn dann dürfte ihrer Auffassung nach auch deutlicher werden, "dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist und bei entsprechendem Verhalten mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen ist".