Foto: Schwarzwälder Bote

Gesellschaft: Auch Kommunalpolitiker werden immer häufiger Opfer von Beleidigungen und Drohungen

Nach dem Mord an dem ehemaligen Kasseler Regierungspräsidenten ist auch der Hockenheimer Oberbürgermeister Dieter Gummer Opfer eines Gewaltanschlags geworden. Sinkt die Hemmschwelle auch gegenüber den lokalen Politikern?

Mittleres Kinzigtal. Dass Spitzenpolitiker bedroht werden, ist traurig, aber nicht ungewöhnlich. Vor allem im Internet und den sozialen Medien entlädt sich immer wieder Hass, Gewaltfantasien werden formuliert und beleidigende E-Mails verschickt.

Doch der Ton ist nicht nur im Spitzenpolitik, sondern generell rauer geworden, heißt es von Seiten der Kinzigtäler Vertreter immer wieder. Nach den jüngsten Gewalttaten hat der Schwarzwälder Bote einige Lokalpolitiker nach ihren Erfahrungen mit Beleidigungen, Drohungen und Gewalt gefragt.

Kordula Kovac: Die stellvertretende Kreisvorsitzende der CDU Ortenau und ehemalige Bundestagsabgeordnete sieht in den Bedrohungen auch ein Stück weit Berufsrisiko. "Es gehört zu diesem Job dazu. Ich kann damit leben, muss aber wachsam sein", so Kovac. Bundespolitik sei anders zu bewerten als Lokalpolitik. "Als Abgeordnete des Bundestags habe ich noch mehr auf mich aufgepasst als sonst", erklärt die 61-Jährige.

Es gebe gesellschaftliche Veränderungen, die die Gewalt begründen würden. "Die Menschen sind aggressiver geworden. Ich selbst bin allerdings noch kein Opfer körperlicher Gewalt geworden", führt die Politikerin weiter aus.

Kovac lässt sich von Beleidigungen und Bedrohungen auch nicht verbiegen. "Meine Arbeit werde ich nicht ändern, denn ich gehöre nicht zu den ängstlichen Menschen."

Siegfried Eckert: Der langjährige Bürgermeister von Gutach kann mit seiner politischen Erfahrung einen Vergleich zwischen Früher und Heute herstellen. "Früher hat ein Bürgermeister Achtung genossen. Das hat sich geändert. Wir wollen den Respekt, den wir anderen entgegen bringen, leben jedoch in einer Ellenbogengesellschaft, die das erschwert", bedauert Eckert. Er kritisiert zudem die fehlende Härte der Justiz. "Bei der Verurteilung solcher Straftaten stelle ich leider fest, dass die Gerichtsbarkeit in vielen Fällen versagt. Die Bestrafungen, die dort häufig verhängt werden, sind lächerlich. In Deutschland kannst du machen was du willst – dieser Eindruck entsteht bei mir", so der Bürgermeister, der selbst bislang "nur" mit Beleidigungen zu kämpfen hatte.

Er bestreitet, dass es Menschen gebe, mit denen nicht mehr zu reden sei. "Ich bin mir sicher, dass man jeden wieder überzeugen und für die friedliche Demokratie zurückgewinnen kann." Für ihn sei das Amt des Bürgermeisters immer noch ein Traumberuf.

  Sandra Boser: Die Abgeordnete der Grünen im Landtag für den Wahlkreis Lahr-Wolfach kann die negative Entwicklung ebenfalls bestätigen. "Die Wertschätzung und Anerkennung für die, die sich politisch engagieren, hat in den vergangenen Jahren abgenommen. Viele politische Diskussionen werden absichtlich aufgeheizt, was dazu führt, dass der Ton immer rauer wird und Beleidigungen und Bedrohungen zunehmen", stellt Boser fest. Sie ärgert sich über ein falsches Verständnis von Politik. "Demokratie lebt von unterschiedlichen Meinungen, von der Diskussion und auch von einer guten Streitkultur. Das wird aber inzwischen verwechselt mit ›wer am lautesten schreit, findet am meisten Gehör‹".

Boser kennt die Gefahr auch persönlich. "Ich war auch schon Androhungen von Gewalt ausgesetzt, weshalb ich Strafanzeige gestellt habe." Wolfgang Hermann: Hermann kann glücklicherweise von keinen Bedrohungen oder gar ausgeübter Gewalt gegen ihn berichten. Zumindest nicht, seitdem er Bürgermeister in Hausach ist. "Im meiner Zeit im Ordnungsamt in Calw wurde mir schon einmal Gewalt angedroht, aber passiert ist nichts."

Er beobachte allerdings, dass der "Respekt und die Grenzen sich verschoben haben", wie er sagt. "Da wird auch mal nachts bei mir geklingelt und damit die ganze Familie geweckt." Er stelle eine "fordernde Art und Weise" fest, sei aber bisher immer mit einem gewissen Respekt behandelt worden. "Das ist vielleicht aber ein bisschen Glück und weil ich mich noch nicht mit keiner Angelegenheit befassen musste, die extremes Konfliktpotenzial hat."

Insgesamt gab es im vergangenen Jahr laut Bundeskriminalamt 1256 Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger, darunter 43 Gewaltdelikte. In den vergangenen drei Jahren kam es laut dem Baden-württembergischen Innenministerium im Land zu 500 Straftaten auf Amts- und Mandatsträger. 222 davon hatten ein rechtsextremes Motiv, 57 Fälle gingen auf das linke Spektrum zurück. Die meisten Straftaten davon sind Beleidigungen. Der ehemalige Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke wurde Anfang Juni erschossen. Hockenheims Oberbürgermeister Dieter Gummer wurde vor wenigen Tagen zusammengeschlagen. Er erlitt Gehirnblutungen, einen Kieferbruch, Prellungen und muss auf der Intensivsation behandelt werden.