Solidarität: KAB-Vorsitzender sieht die Krise auch als Chance / Lokale Strukturen gewinnen Stärke

Haslach. Die Corona-Krise bringt viele Einschränkungen und Vorgaben mit sich. Der Vorsitzende der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) und ehemalige Gewerkschaftssekretär bei Verdi, Gotthard Vetter, sieht aber auch Chancen für eine neue Werteorientierung, wenn die Krise überstanden ist. Der Schwabo hat nachgefragt.

Herr Vetter, wie sehen Sie die aktuelle Situation?

Die Corona-Krise macht deutlich, dass wir uns weltweit in überhitzten und empfindlichen politischen, sozialen sowie wirtschaftlichen Wohn- und Lebenssituationen befinden. Das Wesentliche fürs Leben, die existenzielle Sicherheit, die gesunden Begegnungen der Menschen und in Beziehungen eingebunden zu sein, sind in den Hintergrund geraten.

Welche Fragen stellen sich aus Ihrer Sicht?

Zunächst:Wie wird es gelingen, die an Covid-19 erkrankten Menschen zu versorgen und wie können die noch gesunden Menschen vor dem Virus geschützt werden? Darüber hinaus stellen sich für die Zukunft auch ganz grundsätzliche Fragen. Muss ich wirklich alles haben, was mir angeboten wird? Muss ich alle meine Bedürfnisse mit dem Auto erledigen? Muss ich Waren billigst aus Übersee beziehen, die einen enormen Energieverbrauch erfordern und aus Ländern stammen, in denen die Menschen Hunger leiden? Und muss ich mich mit Lebensmitteln ernähren, deren Produktionsbedingungen gesundheitsschädlich für die Beschäftigten in den Anbauländern sind und die unter prekären Arbeitsbedingungen hergestellt werden?

Wo sehen Sie mögliche Alternativen?

Wir brauchen für unser Gemeinwohl dezentralisierte, regionale und lokale Strukturen in der Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Kirche, Sport und Freizeit. Örtliche Gruppierungen können dem Erfahrungsaustausch in allen Lebenslagen dienen. Sie fördern das Vertrauen, geben existenzielle Sicherheit und führen zu einem verantwortungsvollen Gemeinwohldenken. Solidarität und vertrauensvolle Gespräche sind der wertvollste Lebensrahmen für jeden Menschen.

Wie stellen Sie sich die Umsetzung vor?

Unsere Strukturen müssen überschaubar sein und eine Beteiligung der Menschen ermöglichen. Besonders bei Planungen jeglicher Art und bei Projekten, von denen die Menschen persönlich betroffenen sind. Beispielsweise bei der Gestaltung des ÖPNV, bei einem neuen Baugebiet, beim Straßenbau oder dem Fuß- und Radwegebau.

Wie stellen Sie sich die Zukunft nach der Krise vor?

Im Vordergrund unseres Denkens und Handelns muss eine nachhaltige Wertorientierung stehen, die besagt, dass jedes menschliche Tun und Handeln zum Wohl aller Menschen beiträgt. Habgier von einzelnen Menschen oder von ganzen Gruppen darf nicht mehr ermöglicht werden.

Was bedeutet das für die Raumschaft Haslach?

Unsere fruchtbare Natur ist sehr wertvoll für den Anbau von Lebensmitteln und muss deshalb geschützt und gepflegt werden. Eine ökologisch ausgerichtete Landwirtschaft schafft einen positiven Lebensraum für den Menschen und eine vielfältige Tierwelt. Diese ist für einen nachhaltigen Naturkreislauf wichtig. Und für diese harte Arbeit sowie tariflich faire Löhne der Mitarbeiter gilt es, den Landwirten einen existenzsichernden Preis für ihre Produkte zu bezahlen. Es muss neben dem Wochenmarkt und den Hofläden aber auch örtliche Einkaufsmöglichkeiten für den täglichen Bedarf geben, die zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV erreichbar sind. Denn der Einkauf vor Ort bedeutet mehr, als nur den Warenbedarf zu decken. Er ermöglicht Begegnung von Menschen, was gegen die Einsamkeit und Vereinzelung in der Gesellschaft ganz wichtig ist. Fragen: Christine Störr

Die Wurzeln der Katholischen Arbeitnehmerbewegung Haslach gehen bis ins Jahr 1921 zurück, wie auf der Internetseite der Seelsorgeeinheit zu lesen ist. Die übergeordnete Zielsetzung der KAB Deutschlands ist die Gestaltung einer gerechten und solidarischen Gesellschaft, in der allen Menschen die gesellschaftliche Teilhabe und Teilnahme ermöglicht wird.