Stuttgart - Er hält nichts davon, "das eigene Land mit einem Zuckerguss zu überziehen". Hans Dürig, der neue Schweizer Generalkonsul in Baden-Württemberg, möchte "mithelfen die Beziehungen zu vertiefen". Dazu gehört es aus seiner Sicht, Probleme offen anzusprechen.

Herr Dürig, die ersten 100 Tage in Baden-Württemberg liegen hinter Ihnen. Wie sind Ihre Eindrücke?

Sehr positiv. Stuttgart war auch mein Wunschposten.

Das klingt sehr freundlich. Wenn Sie mit Deutschen zu tun haben, sind Sie dann freundlich oder höflich?

Sind Sie angesichts der Griechenlandkrise froh, noch den Franken zu haben?

Der Hintergrund der Frage ist folgender Satz: "Die Deutschen meinen, die Schweizer seien freundlich, dabei sind sie nur höflich. Daher kommt die Begeisterung der Deutschen für die Schweiz. Dass die Deutschen uns mögen, ist die Folge eines Missverständnisses."

Wer hat das geschrieben?

Andreas Thiel in der "Weltwoche".

Ach ja, der Satiriker. Ich würde es nicht so ausdrücken. Richtig ist: Zwischen Deutschen und Schweizern gibt es kulturelle Unterschiede. In der Schweiz gehen die Menschen vielleicht etwas sanfter miteinander um. Wir sind kompromiss- und harmoniebedürftig. Es gibt auch einen gewissen Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem großen Bruder im Norden.

Hochdeutsch als erste Fremdsprache

"Deutsche sind für Schweizer verbale Bodybuilder." Noch ein Bonmot. Sehen Sie das auch so?

Hochdeutsch ist unsere erste Fremdsprache. Deshalb drücken wir uns nicht so eloquent aus. Wir formulieren umständlicher. Wir haben auch nicht so eine direkte Art.

Die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei SVP hat aber eine sehr direkte Aussprache. Siehe die Debatte um das Minarettverbot.

Natürlich gibt es auch bei uns politische Diskussionen. Die werden in der Regel aber nicht mit Härte geführt. Die SVP hat ein klares Programm, damit eckt sie auch an.

Mögen die Schweizer die Deutschen?

Sie mögen sie schon. Sie bewundern sie auch.

In der Schweiz sind viele kritische Kommentare über den großen Nachbarn zu hören - nicht erst seit der Steuer-CD-Debatte. Hat das damit zu tun, dass Schweizer das Gefühl haben, Deutsche nehmen ihnen die Arbeitsplätze weg? 250000 deutsche Einwanderer, 43000 Pendler. Es werden immer mehr . . .

Ich glaube nicht, dass das eine Rolle spielt. Allenfalls kommen die kulturellen Unterschiede stärker zum Tragen, wenn viele Deutsche in einem bestimmten Bereich arbeiten. Das Inselspital Bern etwa hat 1600 Ärzte - rund 25 Prozent sind Deutsche.

Deutsche Professoren als Mehrwert

Entzündet hat sich die Diskussion an dem angeblichen deutschen Filz an Schweizer Unis.

Das ist abgeklungen. Schlussendlich hat sich bei uns die Meinung durchgesetzt, dass deutsche Professoren für unsere Hochschulen einen bedeutenden Mehrwert darstellen.

Nicht abgeklungen ist der Streit um den Kauf der Steuer-CD. Wie erleben Sie die Debatte?

Wir sind der Ansicht, dass man das nicht so machen sollte. Es sind gestohlene Daten, der Staat kann deshalb als Hehler bezeichnet werden. Auf der anderen Seite gab es in Deutschland 15000 Selbstanzeigen, allein in Baden-Württemberg rund 5000 . . .

. . . der Finanzminister kann sagen: "Alles richtig gemacht."

Das kann er. Wir sind dennoch anderer Meinung. Deutschland und die Schweiz sind derzeit dabei, ein Doppelbesteuerungsabkommen zu schließen. Ein Teil der Daten hätten die deutsche Seite auch aufgrund dieses Doppelbesteuerungsabkommens erhalten. Es ist der Eindruck entstanden, jeder Deutsche, der Geld in der Schweiz angelegt hat, handelt illegal. Das halte ich für vermessen. Ich denke, es gibt viele Deutsche, die versteuertes Geld in der Schweiz angelegt haben, weil das ein sicherer Hafen ist.

Wie will die Schweiz ihr Image als Fluchtburg für Steuerbetrüger und Anlageplatz für Diktatoren loswerden?

Wir haben eines der strengsten Geldwäschegesetze - das wird oft nicht gesehen. Beim Bankkundengeheimnis sitzen wir im gleichen Boot wie Österreich und Luxemburg. Aber natürlich wird in der Schweiz jetzt intensiv über den Finanzplatz diskutiert. Man hat ja auch signalisiert, dass man die Unterscheidung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug aufweichen will. Was in der Vergangenheit passiert ist, können sich Großbanken heute nicht mehr erlauben.

Gestritten wird nicht nur um die Steuer-CD. Stichwort Fluglärm. Seit 2003 dürfen jährlich maximal 100 000 Maschinen den Flughafen Zürich von deutschem Gebiet aus anfliegen. Sie wollen das nicht hinnehmen.

Das ist unser ernsthaftestes bilaterales Problem mit Baden-Württemberg. Wir würden uns wünschen, dass der Flughafen Zürich aus einer grenzüberschreitenden Perspektive betrachtet wird und die Anrainer gleich behandelt werden. Eine Lärmmessung hat ergeben, dass die Lärmbelastung auf Schweizer Seite bedeutend größer ist als in Südbaden. Aber Lärm ist natürlich ein sehr emotionales Thema. Derzeit laufen intensive Gespräche; es wird hart verhandelt. Man geht davon aus, dass bis Ende des Jahres Eckpunkte stehen.

Niemand will nukleare Abfälle

Ein weiterer Streitpunkt: Ihre Endlagersuche. Vier der sechs möglichen Standorte liegen entlang der 316 Kilometer langen Grenze. Das beunruhigt viele Baden-Württemberger.

Ich kann die Deutschen verstehen. Auch hier sind viele Emotionen im Spiel. Unsere Philosophie ist es, das Ganze möglichst transparent zu machen. Wir binden die deutschen Gemeinden in jeden Schritt mit ein. Das Problem ist doch, dass niemand die nuklearen Abfälle will. Auch innerhalb der Schweiz ist das ein großes Problem.

So nah und doch so fern. Was tun, damit sich Schweizer und Deutsche besser verstehen?

Wir sollten die Kontakte noch intensivieren. Ich denke an Gesprächsrunden mit Schweizern, die hier leben, und Baden-Württemberger, die in der Schweiz wohnen. Aber es passiert schon jetzt unheimlich viel. Wir haben etwa 40 Städtepartnerschaften: Reutlingen -Aarau, Heilbronn-Solothurn, Ostfildern- Reinach. Die Baden-Württemberger stellen ein Drittel aller Gäste in der Schweiz. Umgekehrt haben die Besuche von Schweizern 2009 um fünf Prozent zugenommen. Baden-Württemberg ist zudem der viertwichtigste Handelspartner der Schweiz.

Sind Sie angesichts der Griechenlandkrise froh, noch den Franken zu haben?

Die Eurokrise bedroht uns direkt. Zwei Drittel unserer Exporte gehen in Euroländer. Würde der Schweizer Franken noch stärker, bekämen wir Probleme - auch im Tourismus, der eine wichtige Einnahmequelle darstellt. Das Ganze beunruhigt uns also eher. Aber klar ist, der Vorschlag der EU beizutreten und den Euro einzuführen, hätte bei uns im Moment keine Chance.

Sie sind ein weit gereister Diplomat. Was gefällt Ihnen hier besonders gut?

Schweizer und Baden-Württemberger können alles, außer Hochdeutsch. Aber Spaß beiseite: Wir sind uns in vielem sehr ähnlich - Schweizer und Baden-Württemberg sind bescheiden, zurückhaltend, arbeitsam, diszipliniert. Und die Landschaft ist hier ebenfalls sehr schön. Ihr habt natürlich nicht 48 Viertausender, aber ihr habt den Feldberg.

Das war jetzt freundlich und höflich . . .