Martin Kind wurde als Profifußball-Chef bei Hannover 96 abgesetzt. (Archivbild) Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Martin Kind geht gegen seine Abberufung als Profifußball-Boss bei Hannover 96 vor. Der Konflikt zwischen Vereins- und Kapitalseite existiert in diesem Traditionsclub schon lange. Nun ist aber mit womöglich drastischen Folgen eskaliert.

Nachdem der langjährige Boss von Hannover 96, Martin Kind, abgesetzt wurde, steht Hannover 96 vor der wohl härtesten Zerreißprobe einer ohnehin schon turbulenten Vereinsgeschichte. Eine gerichtliche Auseinandersetzung zwischen dem ausgegliederten Profifußball-Bereich und dem großen Breitensportverein droht. Denn Kind zweifelt die Rechtmäßigkeit seiner Abberufung als Geschäftsführer der Hannover 96 Management GmbH an und lässt diese nun juristisch prüfen.

Während sich Kind und seine Mitgesellschafter mit ihren Anwälten beraten, versuchen seine Gegner an der Spitze des Muttervereins Hannover 96 e.V. längst, die Nachfolge des Hörgeräte-Unternehmers zu organisieren. Interimsmäßig könnte nach Informationen der „Bild“-Zeitung der Aufsichtsrat und frühere 96-Kapitän Carsten Linke übernehmen. Kandidat für eine Dauerlösung ist der erfahrene Manager Andreas Rettig, der im deutschen Fußball unter anderem für den FC St. Pauli, FC Augsburg und SC Freiburg arbeitete und seit seinem Ausscheiden beim Drittligisten Viktoria Köln im Mai auch verfügbar wäre. Die „Neue Presse“ hatte zuerst darüber berichtet.

Rettig räumte am Donnerstag sogar mehrere Kontakte mit den 96ern in den vergangenen zwei Wochen ein - allerdings habe er dabei mit Kind und nicht mit dem e.V.-Präsidenten Sebastian Kramer gesprochen. „Ich schätze Martin Kind sehr. Für mich ist Hannover 96 ganz eng mit Martin Kind und seinen Gesellschaftern verbunden“, sagte Rettig der Deutschen Presse-Agentur. „Eine Nachfolgeregelung ist mir aber weder von Martin Kind noch von der Vereinsseite angeboten worden.“

Tiefe Gräben zwischen Kapital- und Vereinsseite und äußerst komplizierte Struktur

Möglicherweise ist die Einigung auf einen Geschäftsführer-Kandidaten die einzige Chance für den ambitionierten Aufstiegskandidaten der 2. Bundesliga, um ohne nachhaltige Schäden wieder aus diesem Machtkampf herauszukommen. Rettig ist eng mit dem e.V.-Aufsichtsrats-Chef Ralf Nestler verbunden und genau wie die aus dem Fan-Lager stammende Vereinsspitze ein Befürworter der 50+1-Regel im deutschen Fußball. Der 59-Jährige hat aber kein grundsätzliches Problem mit Investoren, weshalb er beim FC Augsburg und Viktoria Köln bereits eng mit den Mäzenen Walther Seinsch und Franz-Josef Wernze zusammenarbeitete.

Allerdings ist die Unfähigkeit beider Lager, sich seit mehr als zwei Jahren auf einen solchen gemeinsamen Kandidaten zu einigen, einer der Gründe, warum der Konflikt am Mittwochabend so eskalierte. Und zu den tiefen Gräben zwischen Kapital- und Vereinsseite kommt bei Hannover 96 noch eine äußerst komplizierte Struktur hinzu.

Die Profifußball-KGaA gehört zu 100 Prozent der Hannover 96 Sales&Service GmbH&Co. KG, deren Gesellschafter Martin Kind (mehr als 50 Prozent) sowie der Drogerie-Unternehmer Dirk Roßmann und der Immobilien-Unternehmer Gregor Baum sind. Diese Gesellschafter haben durch ihr finanzielles Engagement die Verluste der Corona-Zeit ausgeglichen, die Zweitliga-Lizenz gesichert und auch den aktuellen Etat mit auf die Beine gestellt, der die Verpflichtung von elf neuen Spielern und des begehrten Trainers Stefan Leitl ermöglichte. Kind wird als Mehrheitsgesellschafter selbst dann noch großen Einfluss haben, wenn er nicht mehr Geschäftsführer der KGaA ist.

Auf der anderen Seite schreibt die 50+1-Regel im deutschen Fußball vor, dass der Stammverein immer die Stimmenmehrheit in einer ausgegliederten Kapitalgesellschaft besitzen muss. Und deshalb werden die Geschäftsführer der KGaA bei 96 von einer Management GmbH bestimmt, die wiederum zu 100 Prozent dem Hannover 96 e.V. gehört.

Vertragsbruch durch Kinds Abberufung?

Das ist der Grund, warum die seit 2019 von Kind-Gegnern dominierte Vereinsseite glaubte, den Geschäftsführer von Management GmbH und KGaA abberufen zu können. Kind wiederum argumentiert: Das darf laut Satzung nur der Aufsichtsrat der Management GmbH, der mit je zwei Vertretern der Kapital- und Vereinsseite besetzt ist und der über die Entscheidung am Mittwochabend nicht informiert wurde. Das Aufsichtsratsmitglied Roland Frobel bestätigte dies bei „t-online.de“.

Deshalb prüft der 78 Jahre alte Kind nun juristische Schritte und verweist auch auf eine weitere Besonderheit bei diesem Club: den sogenannten 96-Vertrag von 2019, der im Kern zwei Dinge regelt: Der angeschlagene Mutterverein hält sich aus dem Profifußball heraus und wird im Gegenzug aus dessen Millionen-Geschäft mitfinanziert. Dieser Vertrag wurde durch die Abberufung Kinds offensichtlich gebrochen, weshalb der Kind-Vertraute und 96-Rekordtorjäger Dieter Schatzschneider schimpfte: „Wenn dieser Vorstand jetzt die Profis übernimmt, ist das das Ende des Profifußballs von Hannover 96.“