Handwerkspräsident Rainer Reichhold fordert eine raschere Ausstattung der Schulen in Lande mit Geräten für den IT-Unterricht. Foto: Lichtgut - Oliver Willikonsky

Das Handwerk kritisiert die Unklarheit bei den Plänen für ein Fahrverbot und fordert lange Übergangsfristen. Die gute Konjunktur bei Meistern und Gesellen könnte für die Kunden zu längeren Wartezeiten führen.

Stuttgart – - Der baden-württembergische Handwerkspräsident Rainer Reichhold beklagt, dass für Handwerker noch keine Elektroautos angeboten werden. Falsch findet er auch, dass mit dem IT-Unterricht zuerst in Gymnasien angefangen wird. Dabei könnte seiner Ansicht nach die Digitalisierung gerade auch das Handwerk für junge Menschen attraktiver machen.
Herr Reichhold, auch Sie gehören zu den zahlreichen Besuchern aus Baden-Württemberg, die zur Internationalen Handwerksmesse nach München gekommen sind. Sind Sie mit einem Diesel an die Isar gefahren?
Ja, mit einem Diesel der Euro-6-Norm.
Mit diesem Auto haben Sie ja dann kein Problem. Aber die meisten Handwerker machen sich Sorgen wegen des von der Landesregierung für kommenden Herbst angekündigten Fahrverbots für Dieselautos. Handwerkerfahrzeuge sind ja in der Regel Diesel.
Die Dieselproblematik macht uns als Handwerk natürlich schon Sorgen. Im Gegensatz zu meinem Dienstwagen gibt es bei den Transportern, also den klassischen Handwerkerfahrzeugen, bis jetzt ja kaum eine Möglichkeit, ein Auto mit Euro-6-Motor zu kaufen.
Glauben Sie, dass das Handwerk die von ihm geforderten Ausnahmeregelungen bekommt?
In der Ankündigung für die Fahrverbote heißt es, dass das Handwerk von den Verboten ausgenommen werden soll. Was die Landesregierung letzten Endes beschließt, wissen wir aber nicht. Fakt ist, dass das Handwerk nicht mit Fahrverboten leben kann. Wir müssen zum Kunden, wir müssen auf die Baustelle, wir müssen mit unseren kleinen Nutzfahrzeugen fahren können und wenn wir dies nicht mehr können, können wir auch nicht mehr arbeiten.
Es gibt Überlegungen, bestimmte Plätze in Stuttgart als Umladestationen auszuweisen, damit es weniger Verkehr gibt. Findet man denn solche Plätze in Stuttgart überhaupt?
Das weiß ich nicht, das ist für das Handwerk aber auch indiskutabel. Es geht nicht darum, dass wir das Material an einem bestimmten Tag nicht anliefern könnten, sondern wir müssen mit der Fahrzeugausrüstung, mit den Maschinen und den Werkzeugen im Fahrzeug auf die Baustelle kommen. Das Verbot soll ja im Herbst kommen, und bis jetzt wissen wir nicht, wie die Ausnahmeregelung funktionieren soll. Erst seit iim Laufe des Jahres 2016 konnte man die Fahrzeuge für Handwerker auch mit der Euro-6-Norm kaufen.
Bräuchten Sie dann nicht nur Ausnahmeregelungen, sondern auch Übergangsfristen für die Beschaffung neuer Fahrzeuge?
Die Fahrzeugflotte der Handwerker ist im Schnitt zehn Jahre lang im Einsatz. Die Fahrzeuge sind wenig unterwegs, die meiste Zeit stehen sie. Die Fahrzeuge kommen in der Regel auf eine Fahrleistung von 10 000 Kilometern im Jahr. Es dauert also zehn Jahre bis zum Austausch. Und weil wir Sondereinbauten haben, handelt es sich auch um gekaufte Fahrzeuge, wir können sie also nicht schnell wieder zurückgeben. Das bedeutet, für ein Fahrzeug, das er 2015 angeschafft hat, braucht ein Handwerker eine Ausnahmegenehmigung bis 2025. Wir haben 2015 Fahrzeuge im besten Wissen gekauft, damit die Vorschriften des Gesetzgebers einzuhalten. Sie nicht mehr benutzen zu dürfen, läuft auf eine Enteignung hinaus. Dagegen wehren wir uns.
Würde die Umstellung auf neuere Fahrzeuge schneller gehen, wenn Handwerker für den Kauf von Elektroautos eine Prämie bekämen?
Für Handwerker sind leider noch kaum Elektrofahrzeuge am Markt.
Wann wird es mehr davon geben?
Da müssen Sie vielleicht in Untertürkheim fragen.

Der Handwerkspräsident über die Wirtschaft 4.0

Die Landesregierung droht nicht nur mit Fahrverboten. Sie hat auch das Amt eines Technologiebeauftragten geschaffen.
Der Technologiebeauftragte ist ernannt. Wir hatten bis jetzt noch kein Gespräch mit ihm, obwohl wir natürlich sofort die Bereitschaft zu einem Gespräch signalisiert haben, mit der Bitte um kurzfristige Realisierung. Es steht nun für nächste Woche auf dem Plan. Es ist auch an der Zeit, dass man so langsam in die Gänge kommt.
Der Technologiebeauftragte wird sich ja sicher auch um Themen wie Industrie 4.0 kümmern. Es gibt ja Untersuchungen nach denen die kleinen und mittleren Unternehmen da hinterherhinken. Ist das beim Handwerk auch so?
Ich rede ungern von Industrie 4.0. Ich rede viel lieber von Wirtschaft 4.0, denn wir sind alle davon betroffen. Ich glaube nicht, dass das Handwerk hinterherhinkt, ganz im Gegenteil. Wir nutzen digitale Medien schon seit langem, haben aber vielleicht vergessen zu sagen, was wir alles schon machen.
Geht das über reine Büroarbeit hinaus?
Ja. Ein Beispiel: ein Handwerker kommt an eine Steuerung, etwa für eine Heizung, und muss dort die Programmierung verändern. Früher hat er sich über Handbücher informiert. Heute steht auf dem Bauteil ein Code, er fotografiert den ab, geht mobil ins Internet und bekommt seine Daten geliefert. Wir brauchen aber vor Ort auch einen Zugang zu einem schnellen Internet, sonst nützt die ganze Technologie nichts. Wir brauchen eine flächendeckende Breitbandverkabelung in Glasfasertechnik und ein Mobilfunknetz, das den Namen auch verdient. Nicht so wie heute, wo das Gespräch selbst in der Region Stuttgart dreimal abbricht, weil ich in ein Funkloch gerate.
Kann die Digitalisierung Arbeit erleichtern? Kann der Bäcker nachts vom Bett aus seine Backofen steuern statt um vier Uhr in der Backstube stehen zu müssen?
Den Backofen kann er schon lange vom Bett aus steuern. Allerdings möchte der Kunde auch frische Brötchen, nicht irgendwelche aufgebackenen Rohlinge. Der Bäcker wird also schon weiter in die Backstube müssen.
Was ist denn bei der Digitalisierung die größte Herausforderung für das Handwerk?
Die junge Generation ist mit dem Smartphone aufgewachsen und die spielerische Nutzung des Smartphones wird absolut beherrscht. Jetzt müssen wir schauen, wie wir dieses Wissen in unsere Betriebe einbinden. Und wir müssen dafür sorgen, dass wir die Mitarbeiter mitnehmen, die zwar Berufserfahrung haben, aber mit dem Smartphone nicht zurrechtkommen. Das Gleiche gilt natürlich auch für den Inhaber und für den Geschäftsführer eines Betriebs.
Nach den Plänen der baden-württembergischen Kultusministerin soll IT-Unterricht erst mal an den Gymnasien eingeführt werden. Dort sind aber nicht unbedingt die Schüler, die später ins Handwerk gehen.
Ich hoffe natürlich, dass der eine oder andere auch ins Handwerk geht. Insgesamt ist dies aber ein völlig falscher Ansatz. Die Auszubildenden im Handwerk kommen in erster Linie aus Werkrealschulen, aus Gemeinschaftsschulen und aus Realschulen. Damit, dass es IT-Unterricht zunächst nur an Gymnasien gibt, wollen und können wir nicht leben. Wir können mit dem Thema Digitalisierung nicht umgehen, als wäre dies eine Sache, die sich über die nächsten 20 Jahre hinzieht. Die Halbwertszeit bei digitalen Themen ist ein Jahr oder weniger. Wir müssen also auch bei der Ausstattung der Schulen deutlich schneller werden. Es fehlt an Geräten, es fehlt an Lehrern.
Kann die Digitalisierung helfen, den Mangel an Fachkräften zu vermindern?
Es gibt sicher Arbeitsschritte, die wir vereinfachen können. Ein Zimmerman kann seinen Datensatz aus der Planung des Architekten übernehmen er wird dann über eine CNC-gesteuerte Maschine seine Zuschnitte machen. Es wird eindeutig so sein, dass die Berufe für junge Menschen interessanter werden. Sie sehen, wie innovativ und modern das Handwerk sein kann.

Worauf sich die Handwerkerkunden einstellen müssen

Die Konjunktur in Ihrem Wirtschaftszweig ist gut. Sie rechnen dieses Jahr mit einem Umsatzplus von zwei Prozent. Das ist schön für das Handwerk. Aber worauf müssen sich die Kunden einstellen? Auf längere Wartezeiten? Auf höhere Preise?
Der Verbraucher, der seinen Handwerker vor Ort kennt, wird auch in einem akzeptablen Zeitraum bedient werden können. Die Störung bei der Heizung muss am selben Tag behoben werden, bei einem Maler gibt es sicher eine gewisse Vorlaufzeit. Aber das kann man ja auch längerfristig planen. Ich denke, im Schnitt ist ein Vorlauf von drei bis vier Monaten durchaus realistisch. Zu den Preisen kann man nichts Generelles sagen, da ist die Lage sehr unterschiedlich.
Es gibt nicht nur Facharbeitermangel, es gibt auch eine große Zahl von Betrieben, die in den nächsten Jahren einen Nachfolger brauchen. In bestimmten Bundesländern gibt es Hilfen, so etwa in Brandenburg eine Prämie für die Gründung eines Meisterbetriebs. Würden Sie derartiges für Baden-Württemberg auch wünschen?
In Baden-Württemberg fordern wir einen Zuschuss, um den Meister machen zu können. In Bayern gibt es dies schon.
Wen es anderswo etwas gibt, wollen Sie es dann in Baden-Württemberg auch haben?
Es gibt keinen Grund, es in Baden-Württemberg nicht zu machen. Zumal es ja eindeutig so ist, dass wir zu wenig Interessenten für Betriebsübernahmen haben. Das ist ein gravierendes Problem. Und dies verschärft sich, wenn wir zu wenig junge Menschen haben, die in eine Ausbildung gehen.
Zusammen mit dem baden-württembergischen Wirtschaftsministerium arbeitet das Handwerk an einer Zukunftsperspektive unter dem Titel Handwerk 2025. Wie wird das Handwerk dann aussehen?
Es wird sicher einen gewissen Strukturwandel geben. Es kann auch Bereiche geben, die wichtiger werden und solche, die weniger wichtig werden. Aber eine präzise Vorhersage ist natürlich schwierig. Wir erleben ja immer wieder, dass selbst scheinbar ausgestorbene Bereiche wieder eine Renaissance erleben. Das ist etwa bei den Korbmachern so, aber auch bei den Schmieden. Pferde werden heute zwar nicht mehr als Zugpferde oder auf dem Acker gebraucht, aber eben beim Reitsport. Erste Ergebnisse der Arbeitsgruppen für die Perspektive 2025 werden wir Ende März zusammen mit der Wirtschaftsministerin vorlegen.
Und Sie glauben nicht, dass die Verbraucher sich Dinge, die bisher vom Handwerker kommen, einfach mittels 3-D-Drucker selbst herstellen können?
Selbst wenn dies bei einigen Komponenten möglich sein sollte, muss sie wahrscheinlich jemand noch zusammenfügen, ein Ganzes draus machen. Und außerdem sind viele Dinge für Laien ja auch gefährlich. Ich sage nur Strom, Gas und Wasser. Hier ist der Fachmann gefragt. Dem Handwerk wird die Arbeit nicht ausgehen.