Stuttgart - Die Handball-Bundesliga biegt auf die Zielgerade ein. Es bleibt spannend: Vorne – und hinten, wo der Tabellenvorletzte TVB Stuttgart am diesem Freitag (19.45 Uhr) in der ausverkauften Scharrena Gummersbach empfängt.

Herr Baur, in einer Saison der Handball-Bundesliga gibt es für jeden Verein 34 Partien. Ist es zu hoch gegriffen, wenn man gegen Gummersbach vom wichtigsten Spiel der Saison für den TVB spricht?
Zumindest weil es das nächste ist. Natürlich ist es sehr wichtig für uns, wir haben nur noch drei Heimspiele und treffen nun auf eine Mannschaft, die vom Platz und den Punkten her in unserem Umfeld ist.
Das Ziel war es ja eigentlich, sich an Mittelfeld ranzutasten?
Von wem? Wir haben nicht gesagt, dass wir locker Richtung Mittelfeld marschieren, weil wir von Anfang an gewusst haben, dass wir um den Klassenerhalt kämpfen müssen. Und ich habe auch erwartet, dass das bis zum Schluss der Fall sein wird, und wir dann den Aufbau machen, um in den nächsten Jahren nichts mehr damit zu tun zu haben. Jetzt gilt es, das erste Ziel zu erreichen. Dafür brauchen wir am Freitag einen Sieg.
Dennoch: warum ist es nicht gelungen, zuletzt eines der Heimspiele gegen Erlangen, Melsungen oder Wetzlar zu gewinnen?
Nüchtern betrachtet war Erlangen das einzig mögliche Spiel, alle anderen sind einfach stärker als wir. Wir haben es aber auch nicht geschafft, den ein oder anderen Genickschlag zu verpassen, um Punkte zu machen. Wir waren manchmal nah dran, das lag dann auch an unseren Fehlern, aber auch an der Qualität des Gegners wie Wetzlar, das uns im entscheidenden Moment spielerisch auseinander genommen hat. Manchmal hat auch das Quäntchen Glück gefehlt, das müssen wir uns erarbeiten, damit wir mal ein Spiel für uns entscheiden, auch wenn wir auf einzelnen Positionen etwas schwächer aufgestellt sind.
So wie in Kiel und Magdeburg bei den knappen Niederlagen mit einem Tor. Machen die Mut?
Auf jeden Fall, vor allem wenn man sieht, was wir dort geleistet haben. Das Quäntchen Glück hat in Kiel mehr gefehlt als in Magdeburg, wo wir keine wirkliche Ausgleichschance hatten. Aber wir brauchen solche Spiele, damit man spürt, wir haben eine Chance, wenn jeder seine Aufgaben erfüllt. Irgendwann wird sich das auszahlen – dafür ist es jetzt an der Zeit.

Mimi Kraus übernimmt Verantwortung

Zuletzt entstand der Eindruck, dass – zumindest im Angriff – zu viel Last auf Michael Kraus liegt.
Das ist richtig. Im Mannschaftssport kommt es häufig vor, sich an ein, zwei, drei Führungsspielern zu orientieren. Funktionieren die, dann funktionieren die anderen auch; funktionieren die nicht, funktioniert auch die Mannschaft nicht. Aber das ist schon viel besser geworden. Jeder weiß, was sein Job ist und kann nicht verlangen, dass den ein anderer mitmacht. Es sind noch genügend Spiele, in denen wir uns realistisch etwas ausrechnen können.
Der TVB hat seine Pflichtsiege ja weitgehend geholt. Das Problem ist diese Saison, dass fast alle Konkurrenten überraschende Punkte machten?

Am Anfang nach dem Sieg gegen Hannover dachte ich, da haben wir einen Bonuspunkt. Aber das ist nicht der Fall, weil gegen die im Augenblick jeder gewinnt. Und Lemgo siegt noch gegen Kiel, der BHC in Berlin, das sind Dinge, die den Unterschied ausmachen. Deshalb müssen wir auch mal einen Ausrutscher nach oben schaffen.

Letztmals steigen drei Mannschaften ab, nächste Saison kommt der neue TV-Vertrag mit Sky. Wie wichtig sind diese Faktoren für das Projekt Stuttgart?
Ich weiß nicht, ob der Vertrag mit Sky für uns eine große Rolle spielt, das ist nicht der ausschlaggebende Punkt für unsere Entwicklung. Wichtiger ist die Abstiegsregelung, weil es künftig leichter wird, die Klasse zu halten – und schwieriger wieder aufzusteigen. Deshalb werden wir alles dafür tun, um drin zu bleiben.

Baur bleibt auch bei Abstieg

Selbst im Falle des Abstiegs bleibt der Trainer – und der Kader weitestgehend zusammen. Allerdings bisher ohne die zentralen Figuren Kraus und Torwart Jogi Bitter. Wie wichtig wäre es im worst case beide überzeugen zu können, weiterzumachen?
Wir haben den Kader zunächst einmal so ausgelegt, um bestehen zu können – unabhängig von der Liga. Natürlich wäre es mir am liebsten, wenn beide den Weg weitergehen, weiß aber auch, dass es vom Etat her extrem schwierig ist. Ich gehe aber davon aus, dass der worst case nicht eintritt.
Man könnte ja auch sagen, statt Kraus und Bitter nehme ich das Geld und stelle mich breiter auf. Wäre das der bessere Weg gewesen?
Wenn ich zwei solche Säulen haben kann, ist das absolut perfekt. Als ich kam, hatte ich auch keine Einflussmöglichkeiten. Jetzt habe ich mir Einblicke verschafft und versuche, den einen oder andern einzubauen, wie mit Manuel Späth die nächste Korsettstange im Hinblick auf die wichtige Achse Torwart- Mittelmann-Kreis.
Trügt es, oder übernimmt Michael Kraus immer mehr Verantwortung?
Er hat einen schwierigen Beginn gehabt. Es hat eine Weile gedauert, bis er richtig drin war. Aber er hat sich reingebissen und identifiziert sich voll mit Projekt. Am Anfang war er manchmal eher deprimiert, inzwischen nimmt er die anderen mit, er hat ohne Frage nochmals eine Entwicklung gemacht. Aber er spielt erstmals auch in einem Verein, bei dem es nicht um Titel geht.
Wie schwer wiegen die Probleme bei den Linkshändern nach M’Bengues Ausfall, Lobedanks und Celebis Verletzungen?
Das ist schlichtweg eine Katastrophe. In gerade mal fünf von 25 Spielen haben alle mitgemacht, davon haben wir noch drei oder vier gewonnen. Das sagt alles.

Nach wie vor Verletzungssorgen

Kann man in der jetzigen Phase der Saison als Trainer überhaupt noch gravierend einwirken?
Ja. Wir versuchen jedem Sicherheit zu geben, um sich im Spiel auf seine Aufgaben zu konzentrieren. Wir versuchen einem Dominik Weiß mehr Freiheiten im Angriff zu geben, so dass Viorel Fotache etwas mehr in der Abwehr übernehmen muss. Oder auch Mimi Kraus etwas Erholung zu verschaffen wenn möglich, so dass er im Angriff den klaren Kopf behält. Wir investieren mehr Zeit neben dem Trainingsfeld – das tut jedem Einzelnen gut.
Wie sieht’s personell aus? In Magdeburg hat Lobedank gefehlt, Schweikardt, Weiß und auch Baumgarten haben nur wenig gespielt.
Jetzt hoffen wir, dass alle dabei sind.
Beim Sponsorenabend am Montag war die Mannschaft nicht wie gewohnt dabei, also ist Gummersbach doch kein Spiel wie jedes andere?
Wir wissen, dass es extrem wichtig ist, aber der Trainingsplan hat auch keine andere Möglichkeit zugelassen.
Nebenan ist der VfB auf dem Weg zurück in die Bundesliga…
…und wir sindauf dem Weg, drin zu bleiben. Wir nehmen uns den VfB als Vorbild, der auch Phasen gehabt hat, in denen es nicht so lief. Die haben das gut gemeistert - und dem wollen wir nacheifern.