Auf dem Haiterbacher Fluggelände möchte die Bundeswehr ein Absetzgelände mit Militärflugplatz einrichten. Foto: Fritsch Foto: Schwarzwälder Bote

Bürgerbeteiligung: Staatsrätin Gisela Erler hofft auf praktischen und fairen Umgang mit den Informationen des Landes

Haiterbach. Die Bürgerbeteiligung hat sich das Land Baden-Württemberg auf die Fahnen geschrieben. Theoretisch eine tolle Sache, in der Praxis jedoch oft schwierig, wie man auch in Haiterbach beim Thema Absetzgelände sieht. Wir sprachen darüber mit der zuständigen Staatsrätin Gisela Erler aus dem Staatsministerium in Stuttgart.

Frau Erler, Sie sind für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung zuständig. Wie sind sie denn in Haiterbach mit dem Stand der Beteiligung zufrieden?

Mein Ziel ist es, gerade bei strittigen Projekten, dafür zu sorgen, dass in die Entwicklung und Planung die Bürgerwünsche und Meinungen gut einbezogen werden. Wir haben in Haiterbach sehr viel getan an Information und Veranstaltungen, aber auch mit unserem Beteiligungsportal. Die Haiterbacher Bürgerinitiative ist wie jede Bürgerinitiative kritisch und greift wichtige Fragen der Bürger auf. Sie ist in vieler Hinsicht jedoch kaum dialogbereit. Das kritisiere ich nicht. Das ist auch deren Funktion.

Aber ich hoffe, dass die vielen Menschen, die, sagen wir mal, eine differenziertere Position haben, sich in unseren Aktivitäten auch wiederfinden. Darum freuen wir uns, dass es inzwischen Personen gibt, die sich in der Begleitgruppe einbringen. Wir sind in Nagold und Haiterbach gut aufgestellt, was die Beteiligung angeht. Es gibt aber durchaus ein großes Problem. Nämlich, dass Haiterbach durch seinen Bürgerentscheid die Hände gebunden sind. Das ist ein wenig wie im Brexit. Bürgermeister und Gemeinderat können keine  Vorschläge einbringen, weil sie ja gehalten sind, sich negativ zu diesem Absetzgelände zu verhalten.

Was kann oder was wird diese Begleitgruppe aus Ihrer Sicht vor Ort in Haiterbach leisten?

Wir haben in Haiterbach und Nagold eine Begleitgruppe. Deren Aufgabe ist es, dazu beizutragen, dass die Bürger sich einbringen und beispielsweise sagen können, was für sie im Zusammenhang der Prüfung des Standorts wichtig ist. Wir setzen uns dann als Landesregierung dafür ein, dass diese Fragen vom Bund beantwortet werden. Sie entscheiden nicht über das Ob, sondern sie können zum Wie Vorschläge machen und vor allem die nächsten Schritte mitgestalten. Beispielsweise kam von den Begleitgruppen der Wunsch, dass in Renningen eine Sprung-Übung stattfinden soll. Nun ist das leider ausgefallen, aber es wird selbstverständlich nachgeholt. Wir haben die Bundeswehr gebeten, uns Termine zu nennen.

Sie haben das Verhältnis zu einem Teil der Bürger angesprochen. Eben jenen, die sich in der Bürgerinitiative engagieren. Das könnte man ja als angespannt bezeichnen. Sehen Sie da noch Wege für eine konstruktive Diskussion? Die Positionen sind ja zementiert.

Was wir in Haiterbach erleben, ist genauso wie bei anderen Infrastrukturvorhaben, also keine Sondersituation. Manchmal lassen sich Bürgerinitiativen im Fortlauf, beispielsweise nach einer Genehmigung, auf Fragen der Gestaltung ein. Aber ich sehe meine Hauptaufgabe darin, zusammen mit den Begleitgruppen die relevanten Fragen zu klären. Das sind derzeit unter anderem die Auswirkungen von Lärm oder das Verhalten der US-Army. Wir liefern Fakten und Informationen dazu.

Ich möchte ganz ohne Kritik feststellen, dass die Bürgerinitiative vorrangig die Grundstückseigentümer vertritt. Das ist eine notwendige und auch legitime Thematik. Aber es ist nicht die einzige Thematik. Und da würde ich gerne auf die Kritik an den Kompensationen zu sprechen kommen: Die Bürgerinitiative kritisiert sehr stark, dass die Region und auch die Stadt Haiterbach einen sinnvollen Ausgleich bekommen soll. Das wird so dargestellt, dass man quasi den Eigentümern das Land abkaufen und sie bestechen wolle. Das ist falsch. Wir reden über Kompensationen für die Gemeinde, für die Öffentlichkeit, wie die öffentliche Hand des Landes die Region unterstützt. Und nicht über die Frage, welche Art von Entschädigungen würden im Zweifelsfall die Besitzer bekommen. Das sind zwei ganz getrennte Themen.

Was wir da tun mit den Kompensationen entspricht den rechtlichen Vorgaben. Nun hat der Landtag entschieden, dass die finanzielle Planungsrate für die Elektrifizierung der Strecke Hochdorf-Nagold in den nächsten Haushalt eingestellt wird. Es geht hier um vier Millionen Euro. So etwas wäre früher undenkbar gewesen. Deshalb sehe ich das als großen Erfolg unserer Beteiligungsstrategie. Damit wird deutlich, dass die Landespolitik die Bosch-Erweiterung, den KSK-Standort und die Entwicklung der Region um Nagold als ein Gesamtpaket sieht.

Verwechseln die Menschen den Begriff Beteiligung mit Entscheidungsfreiheit?

Natürlich ist das Grundproblem, vor dem wir immer wieder stehen, dass Bürgerbeteiligung nicht das gleiche wie ein Bürgerentscheid ist. Und die Frage von Luftlandeplätzen kann nicht vor Ort entschieden werden. Es ist immer am schwersten zu vermitteln, dass es um die Mitgestaltung eines Prozesses, nicht um die Entscheidung geht. Natürlich würden sich unmittelbar betroffene Menschen wünschen, dass sie selbst entscheiden könnten.

Das Land hat sich – sicher auch aus Erfahrungen der Vergangenheit – für eine frühzeitige Beteiligung entschieden. Ihnen wurde aber auch Argwohn und der Vorwurf der Täuschung entgegen gebracht. Wenn Sie zurückblicken, würden Sie sagen, das Land hat strategisch alles richtig gemacht? Oder würden Sie auch Dinge anders machen?

Ach wissen Sie, Sie können bei Macron sehen, was passiert, wenn man die Bürger nicht beteiligt. Durchregieren, das ist unsere Erfahrung und Philosophie, geht nicht mehr. Wenn man früh raus geht, weiß man eben vieles noch nicht. Beispielsweise wird die erste Veranstaltung gerne kritisiert. Diese Ungewissheiten sind für Bürger aber auch schwer verständlich. Weil die entscheidenden Dinge beispielsweise erst in der Umweltverträglichkeitsprüfung und im förmlichen Genehmigungsverfahren behandelt werden. Wir alle warten beispielsweise auf die Schall-Gutachten. Aber das, was wir wissen – zum Beispiel die Auswahlkriterien und die Alternativstandorte – stellen wir zur Verfügung.

Ist Haiterbach nach wie vor die beste Wahl? Der Anwalt der Stadt Haiterbach spricht nach Akteneinsicht von einem chaotischen Bild bei der Vorauswahl möglicher Standorte. Die Stadt Haiterbach vermutet, dass durch eine nachträgliche Änderung der Kriterien Haiterbach im Ranking aufgestiegen ist. Die eigentliche Frage lautet: Ist Haiterbach vielleicht auch eine politische Entscheidung, die sich nicht allein auf fachliche Kriterien stützt?

Haiterbach ist keinesfalls eine politische Entscheidung, sondern es wurden 100 Plätze vorgeprüft, dann 41 näher nach den Kriterien der Bundeswehr, da der Absetzplatz ja deren Anforderungen erfüllen muss. Umweltfachliche Belange wurden auch abgeprüft. Die Prüfung erfolgte für alle Grundstücke nach den gleichen Kriterien. So ein Suchlauf verläuft nach dem Ausschlussverfahren. Wenn die Bundeswehr zum Beispiel zum Standort Eisberg sagt, er wäre zu klein, endet die Vorprüfung für diesen Standort. Es wäre unmöglich, dutzende Standorte mit unzähligen Gutachten zu untersuchen. Man kann nur mit einem Standort in ein förmliches Genehmigungsverfahren gehen.

Wie bewerten Sie den jüngsten Austritt aus der Grünen-Fraktion im Nagolder Gemeinderat, der ja auch mit dem Absetzgelände erklärt wurde?

Er hat vor allem auf die drohenden Enteignungen abgestellt. Wenn es darum geht, sind Infrastrukturprojekte immer besonders heikel – auch wenn es wie hier um ganz harmlose Sprungübungen geht. Wir wissen ja aus Renningen, dass das dort kein Thema ist. Natürlich reden wir auch mit den Grünen vor Ort. Sympathien für eine Bürgerinitiative liegen ja in der DNA der Grünen. Es wäre schön, wenn die Wahlkreis-Abgeordneten oder der Kreistag sich auch in die Diskurse einbringen würden.

In Haiterbach bleibt ja immer das Thema Enteignung. Die Grundstückeigentümer haben sich wiederholt gegen einen Verkauf ausgesprochen. Sind Enteignungen also unvermeidlich?

Ziel der Bundeswehr ist es, sich mit den Eigentümern zu einigen. Wenn man nicht enteignen möchte, muss es am Schluss zu Verkäufen kommen. Wir wünschen der Bundeswehr, dass das gelingen wird.

Im ersten Infoblatt ist ein Zeitstrahl aufgeführt, der bis 2020 zur Entscheidung reicht. Ist der noch gültig, weil zum Beispiel vom Scopingtermin zum Umweltgutachten nichts mehr zu hören war?

Es ist entschieden worden, dass der Scopingtermin im Rahmen der Amtshilfe vom Regierungspräsidium Stuttgart für das Luftfahrtamt der Bundeswehr vorbereitet wird. Dieser wird irgendwann im Frühjahr nächstes Jahr stattfinden. Wir haben es mit einem Projekt zu tun, wie es noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg verwirklicht wurde. Deshalb dauert das. Wir wollen, dass das sauber, rechtsstaatlich und nicht anfechtbar ist.

Das ist der Faktor Zeit: Wie groß ist denn der Druck auf das Land, eine schnelle Entscheidung herbeizuführen? Waldhof (zwischen Rosenfeld und Geisingen) wäre ja schon in Landeseigentum und würde, so hört man, mit guten Kriterien abschneiden.

Der Waldhof ist aus Gründen der Entfernung in der Untersuchungsmatrix der Bundeswehr nicht erfasst. Durch die Bauabsicht von Bosch und die dort bereits erfolgte Bebauung sollte eine Lösung gefunden werden. Wir hoffen, dass wir 2020/2021 so weit sind.

Wir nähern uns dem Jahresende. Ein Ausblick: Was erwartet die Haiterbacher 2019 in Sachen Absetzgelände und von Ihnen?

Wir werden unsere Informationen weiter fortsetzen und hoffen, dass sich die beiden Begleitgruppen weiterhin so kritisch und engagiert in den Prozess einbringen. Dann steht die Umweltverträglichkeitsprüfung an. Das wird noch einmal Klarheit bringen. Beispielsweise, wie genau das Flugfeld liegt. Vieles, was jetzt diskutiert wird, ist noch viel zu ungenau.

Wünsche ihrerseits?

Für mich ist das Thema Vertrauen wichtig. Wir bemühen uns sehr darum. Ich würde mir wünschen, dass sich die Leute praktisch und fair mit unseren Informationen auseinandersetzen. Schön wäre es, wenn unsere vielen Informationsangebote für eine gemeinsame sachliche Diskussionsgrundlage sorgen.