In den Fängen der Bürokratie: Karl Braun. Foto: Buckenmaier

Haiterbacher Unternehmer Karl Braun kämpft vergeblich gegen Hürden der Bürokratie.

Haiterbach/Berlin - Beim deutschen Bundesmittelstandstag legte der Haiterbacher Unternehmer Karl Braun den Finger in die Wunde. Die Integration von Zuwanderern in die Arbeitswelt sei ihm zwar eine "persönliche Herzensangelegenheit", scheitere aber oft an bürokratischen Hemmnissen. Beispiele aus seinem eigenen Betrieb gibt es zuhauf.

Der heute 79-Jährige hat in seinem jahrzehntelangen Berufsleben mit Ausländern viele gute Erfahrungen gemacht. Als er 1966 seinen Betrieb gründete, war der Arbeitsmarkt leer gefegt. Er baute – erfolgreich – auf jugoslawische Gastarbeiter. "Ich Jovanovic", stellte sich damals ein Arbeiter vor. Ansonsten konnte er kein Wort Deutsch. Aber die Integration dieser Gastarbeiter sei gelungen, sagt Braun, weil das "System" funktionierte und eben keine bürokratischen Hürden aufbaute. Sein früherer Arbeiter Jovanovic integrierte sich erfolgreich und lebt heute noch im Nagolder Raum.

Braun vermittelt Job in einer Kunststofffabrik

Auch in den 90-er-Jahren, als die Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland strömten, gab Braun vier emigrierten Männern und zwei Frauen Arbeit: " Da gab’s diese Geschichten nicht", sagt er 79-Jährige und verweist auf seine leidigen Erfahrungen aus jüngster Zeit.

Der erste Fall: ein junger kosovarischer Familienvater, der mit seiner Frau und seinem kleinen Kind in Haiterbach Zuflucht fand und Arbeit suchte. Braun vermittelte ihm einen Job in einer Kunststofffabrik am Ort, die Hilfskräfte suchte.

Doch bis er seine Arbeit antreten durfte, vergingen sechs lange Monate. Damals galt noch die sogenannte Vorrangprüfung. Will heißen: Bevor ein Flüchtling eine offene Stelle antritt, musste bundesweit zuerst eruiert werden, ob nicht ein bevorrechtigt inländischer Arbeitssuchender für diese Stelle in Betracht kommen könnte. Der junge Familienvater saß die Wartezeit ab und bekam die Arbeit. Seine Frau kam in Brauns Schreinerei als Hilfskraft im Büro unter. Aber nicht lange.

Nach drei Monaten kam die Abschiebeandrohung für die Flüchtlingsfamilie, nachdem ihr Heimatland zum sicheren Herkunftsland erklärt worden war. Braun versuchte zu intervenieren – bis in die Spitze der Landkreisverwaltung, die empfahl, die Familie solle nach ihrer Ausreise in ihrem Heimatland wieder Antrag auf Wiedereinreise nach Deutschland stellen.

Dem tränenreichen Abschied in Haiterbach folgten im Kosovo wieder Monate des Wartens. Ein halbes Jahr dauerte es, bis das deutsche Konsulat der Familie einen Gesprächstermin eröffnete. Das Ergebnis war ernüchternd: Obgleich beide Haiterbacher Unternehmen zugesichert hatten, das junge Paar bei der Wiedereinreise erneut einzustellen, wurde eine zweijährige Sperre verhängt, weil die Flüchtlinge einst illegal eingereist waren. "Und das sind fleißige Leute, die wir hier suchen und in unserer Gesellschaft dringend brauchen", wettert Braun. Frühestens November 2017, wenn die Einreisesperre verstrichen ist, dürfen sie ihre Koffer packen. Karl Braun übermittelt ihnen über Kontaktleute Durchhalteparolen. "Aber ob wir die Arbeitsverhältnisse offenhalten können?"

Fall 2: wieder ein kosovarischer Familienvater, der in Haiterbach lebte und dringend Arbeit suchte. Er sollte bei Braun ein Praktikum beginnen. Die Arbeitsagentur gab telefonisch ihren Segen. Er begann an einem Montag. Am selben Tag wurde die Anmeldung der Arbeitsvermittlung eingereicht. Am Dienstag seien Praktikum wie auch Probearbeit gestoppt worden. Es müsse zuerst eine Genehmigung der Ausländerbehörde vorliegen, hieß es. Und die sei ohnedies fraglich, weil der Mann aus dem Kosovo stamme.

Karl Braun verstand die Welt nicht mehr und konsultierte die zuständigen Behörden, die aber stets auf die Gesetzeslage verwiesen: "Der einzige, der so denkt wie ich, ist der Landrat."

Dritter Fall: ein junger Syrer, dem sich ein Verwandter Brauns angenommen hatte. Ein junger Bauernsohn ohne Schulausbildung, aber dafür "fleißig, geschickt und willig". Auch er sollte als Einstieg in die Arbeitswelt ein Praktikum in der Haiterbacher Schreinerei absolvieren. Karl Braun: "Alles kein Problem, hieß es anfangs, dann ging’s los mit den Formularen." Arbeitsbescheinigung, Herkunftsbescheinigung, Bescheinigung einer ordentlichen Bezahlung. Das war im März 2016. Nach einem Monat meldete sich die Arbeitsagentur, der junge Migrant solle sich dort anmelden. Karl Braun fuhr mit ihm persönlich nach Nagold und füllte die Unterlagen aus.

Im Mai ordnete die Behörde an, dass die Stelle ausgeschrieben werden müsste. Wenn sich niemand in den nächsten drei Wochen bewerben würde, könnte der junge Mann eingestellt werden. Im Juni wurde telefonisch mitgeteilt, dass die Stellenbeschreibung vom März zurückgeschickt worden sei und dass die Zustimmung der Ausländerbehörde noch nicht vorliege. Im Juli lag immer noch kein Plazet der Behörden vor. Braun kapitulierte. Auch für die Zeit, in der der Flüchtling bereits in der Schreinerei tätig gewesen war, wurde eine Lohnauszahlung untersagt.

Braun: "Das ist scheinheilige Politik"

Diesmal verstand der junge Syrer die Welt nicht mehr, war enttäuscht, auch von seinem Mentor Braun, und fiel in eine tiefe Resignation. Auch Brauns Sohn Stephan, der heute die Schreinerei führt, zog Konsequenzen. Nach diesen leidigen Erfahrungen ist für ihn das Kapitel Integration im Betrieb ein für allemal beendet.

Vater Karl kämpft unterdessen auf politischer Ebene weiter und wandte sich an Kanzleramtsminister Peter Altmaier persönlich, in der Regierung verantwortlich für Flüchtlingsfragen. Brauns Kernforderung: Wenn Zuwanderer den Status der Duldung inne haben oder sich im Asylverfahren befinden, müssten sie uneingeschränkt dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Zu prüfen sei allenfalls, so Braun, ob der Tariflohn eingehalten sowie Steuern und Sozialabgaben bezahlt würden – "aber nicht, ob die Arbeit ein anderer machen könnte".

Der Haiterbacher Unternehmer hoffte, dass sein Schreiben in Berlin zumindest zum Nachdenken anregt. Stattdessen erhielt er die Antwort, alles sei geregelt. Kernaussage aus dem Kanzleramt: Anerkannte Schutzbedürftige hätten uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Insgeheim, sagt Braun, "habe ich nichts anderes erwartet."

In Sonntagsreden würden Politiker gerne über den Bürokratieabbau schwadronieren, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Aber die Realität sehe anders aus. "Auf der einen Seite haben wir die Willkommenskultur, die die Leute anlockt. Auf der anderen Seite die bürokratischen Hürden, um sie wieder loszuwerden oder aber an der Arbeit zu hindern. Das ist eine scheinheilige Politik."

Seite 2: Zahlen & Fakten

 Unterbringung

Im Kreis Calw leben derzeit 1919 Flüchtlinge, etwa jeder Zweite davon (925) in Gemeinschaftsunterkünften, die anderen in so genannten Anschlussunterbringungen. Jeder vierte Migrant (insgesamt 527) ist unter 18 Jahren.

 In Arbeit

Nach der "neuesten" Zahlen vom März 2016 – neuere Zahlen liegen nicht vor – gibt es im Agenturbezirk Nagold-Pforzheim 496 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte aus nichteuropäischen Asylherkunftsländern. Das entspricht bei insgesamt 203 995 Beschäftigten einer Quote von 0,2 Prozent.

 Arbeitssuchend

Von den 22.028 gemeldeten Arbeitssuchenden im Bezirk ist dagegen nahezu jeder Zehnte (2047, entspricht 9,3 Prozent) ein Migrant. Als arbeitslos eingestuft werden 853 Flüchtlinge – bei einer Gesamtzahl von 12178 Arbeitslosen. Im Kreis Calw sind 487 Flüchtlinge als arbeitssuchend gemeldet, 174 als arbeitslos. Arbeitsuchende Geflüchtete, die nicht als Arbeitslose registriert sind, nehmen insbesondere an Integrationskursen oder an sogenannten "arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen" teil.