Estha Eibach, inzwischen siebenjähriges Mädchen aus Haigerloch, dass von Geburt an das äußerst selten Pitt-Hopkins-Syndrom aufweist. Foto: Familie Eibach Foto: Schwarzwälder-Bote

Nur wenige hundert Menschen auf der Welt haben die selbe Krankheit wie Estha Eibach

Von Thomas Kost

Haigerloch. Da sitzt sie und spielt im Garten ihrer Großeltern quietschvergnügt mit ihrem kleinen Bruder Thore (1). Auf den ersten Blick bemerkt man nicht unbedingt, dass die siebenjährige Estha Eibach anders ist als andere Kinder in ihrem Alter. Und doch ist es so: Estha hat das äußerst seltene Pitt-Hopkins-Syndrom.

Das ist ein genetischer Defekt, der zu geistigen und körperlichen Behinderungen führt. Weltweit gibt es bisher schätzungsweise höchstens 3- bis 400 Menschen, die das Pitt-Hopkins-Syndrom aufweisen. Gesichert sind diese Zahlen nicht, weil das Krankheitsbild erst 1978 von den beiden Medizinern Pitt und Hopkins beschrieben wurde und man das dafür verantwortliche Gen erst 2007 entdeckt hat. Erst seither kann man die Krankheit sicher diagnostizieren.

Wie ist es, eine Tochter zu haben, die wohl niemals ohne fremde Hilfe leben kann? Bei der jetzt noch nicht hundertprozentig fest steht, wie sich ihre sprachlichen und motorischen Fähigkeiten entwickeln. Ob sie zusätzlich an Epilepsie leidet oder "nur" am Atmungsstörungen.

Einen Platz in der Gesellschaft einfordern

Ihre Mutter Friederike spricht sehr offen über das Thema. Das ist auch ihr persönlicher Wunsch: Sie will um Toleranz, Verständnis und Unterstützung für behinderte Menschen werben. Sie will ein Zeichen setzen, dass man Behinderungen zulässt und akzeptiert, dass behinderte Menschen einen berechtigten Platz in der Gesellschaft bekommen. Und andererseits, dass sich Eltern von behinderten Kindern nicht abkapseln und aufgeben, dass sie auch Hilfen akzeptieren und annehmen und ihre Kinder nach Kräften fördern.

Begonnen hat eigentlich alles mit einer normalen Schwangerschaft. Friederike Eibach brachte ihre Tochter am 13. März 2008 im Krankenhaus in Herrenberg zur Welt und außer einem relativ niedrigen Gewicht von 2500 Gramm gab es nichts Auffälliges. Es sei alles in Ordnung, versicherten ihr die Ärzte.

Doch diese Einschätzung änderte sich spätestens ab dem dritten Monat. Friederike Eibach kamen bei der Entwicklung ihrer Tochter ein paar Dinge komisch vor. Auch andere in ihrem Umkreis meinten, dass etwas nicht stimmt.

Also ging sie im November 2008 in die Würzburger Uniklinik, wo es ein gutes Frühdiagnosezentrum gibt. Dort stellte der Arzt die niederschmetternde Diagnose: Estha ist geistig und körperlich behindert. "Mir hat es den Boden unter den Füßen weggezogen", sagt sie heute dazu. Woran Estha aber leidet, das konnte Friederike und ihrem Mann Michael damals jedoch keiner sagen.

So befremdlich das klingen mag, das war damals auch gar nicht so wichtig. Friederike Eibach: "Wichtiger war, dass gleich therapeutische Maßnahmen in den Weg geleitet wurden." Die bekam Estha ab dem fünften Monat. Ein Kinderarzt im unterfränkischen Miltenberg kümmerte sich um sie genauso wie die Haigerlocher Physiotherapeutin Marlene Ashcroft. Sie sorgte dafür, dass die kleine Estha Muskeln aufbaut, lernt sich zu drehen, zu sitzen, gehen und stehen. Auch fünf Besuche im Therapiezentrum Iven in Baiersbronn und mehrwöchige Aufenthalte im Kinderzentrum Maulbronn brachten die Entwicklung des Kindes spürbar voran. Die Frage nach der Art der Krankheit blieb indes. Liegt es an mir? Liegt es an meinem Mann (Michael Eibach-Müller)? Habe ich während der Schwangerschaft Fehler gemacht? Solche Fragen trieben Friederike Eibach um, als sie sich auf Ursachenforschung machte.

Erst im April 2013 – Estha war da schon fünf – sollte sie eine Antwort auf ihre Fragen bekommen. Friederike Eibach schrieb eine Mail an Professor Williams, einen Humangenetiker in den Vereinigten Staaten, schickte ihm die Krankenakte, Bilder und auch Videos von ihrer Tochter.

Gendefekt war eine "Laune der Natur"

"Ich habe eigentlich gar nicht mit einer Antwort gerechnet", sagt sie Aber die kam schließlich doch: Und Williams war es, der auf das Pitt-Hopkins-Syndrom tippte und Friederike Eibach dazu riet, mit Privatdozentin Christine Zweier, eine Fachärztin für Humangenetik in Erlangen, Kontakt aufzunehmen. Im Juli 2013 hatte sie schließlich mit ihrer Tochter einen Termin an der Universitätsklinik Erlangen und dort wurde der Defekt am 18. Chromosom, am TCF4-Gen, bestätigt. Eine "Laune der Natur" und weder ein Fehlverhalten noch eine erbliche Vorbelastung beider Eltern.

Und heute, da Klarheit herrscht? Das Leben ist trotzdem nicht einfacher, der eine Tag läuft besser, der andere schlechter. Estha braucht viel Beschäftigung und Aufmerksamkeit, Arzttermine, logopädische Therapie und Krankengymnastik werden sie wohl Zeit ihres Lebens begleiten.

Große Unterstützung erfuhren Friederike und Michael Eibach von Anfang an von ihrem Umfeld; Eltern, Geschwistern, Verwandten und Freunden: Friederike Eibach: "Sie nehmen uns viel ab und stützen uns mental sehr stark."

Weitere Informationen: In den USA gibt es eine Pitt-Hopkins-Stiftung, welche die Erforschung dieser Krankheit unterstützt und am 18. September den Pitt-Hopkins-Tag ausgerufen hat.