Henri erkundet bei einem Besuch im Gymnasium die Streicherklasse. Foto: StN

Kann ein Schüler mit Down-Syndrom das Gymnasium besuchen? Ja, sagen die Eltern, Nein sagen die Lehrer.

Stuttgart - Nach den Sommerferien beginnt für Henri eine neue Zeit. Der Elfjährige aus Walldorf wird von der Grundschule in eine weiterführende Schule wechseln. Ob sein Wunsch in Erfüllung geht, mit 16 seiner 19 Klassenkameraden das örtliche Gymnasium zu besuchen, ist derzeit allerdings offen. Die Gesamtlehrerkonferenz des Gymnasiums in Walldorf hat vor kurzem einen Schulversuch zur Inklusion abgelehnt. Betroffen sind davon zwei weitere schwerbehinderte Kinder. Am heutigen Mittwoch soll noch einmal in der Schulkonferenz, in der neben Lehrern und Schulleiterin auch Eltern und Schüler vertreten sind, darüber gesprochen werden. Die Schulleitung wollte sich zu dem Vorgang nicht äußern.

 

Anders als die meisten Kinder mit Down-Syndrom hat Henri nicht die Sonderschule, sondern eine reguläre Grundschule besucht. Das war möglich, weil die frühere Landesregierung 2010 in fünf Regionen Modellversuche zur Inklusion – dem gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderungen – eingerichtet hat. Dazu zählte auch die Region Mannheim. Henri und drei weitere Kinder mit schweren Behinderungen wurden gemeinsam mit 16 Gleichaltrigen ohne Handicaps unterrichtet, unterstützt von einem Sonderpädagogen.

Das Schulamt Mannheim sah kein Problem darin, dass drei der vier ans Gymnasium wechseln wollen. Um eine „inklusive Gruppenlösung“ zu ermöglichen, sollte der Sonderschullehrer künftig ganz am Gymnasium unterrichten – damit wären fast immer zwei Lehrer in der Klasse. Auch sollte Henri einen Schulbegleiter erhalten. Doch am Gymnasium entbrannte eine Diskussion. Die beiden ebenfalls zu 100 Prozent schwerbehinderten Kinder mit einer Gymnasialempfehlung könne man aufnehmen, nicht aber den Jungen mit Down-Syndrom, hieß es. Dieser könne dem Unterricht nicht folgen.

Viele Lehrer an den Regelschulen wissen nicht, wie sie mit Störungen und Behinderungen umgehen sollen. In der Lehrerausbildung spielte das Thema bisher kaum eine Rolle. Grün-Rot will die künftigen Lehrer auf diese Aufgabe besser vorbereiten. Nach der Reform des Lehramtsstudiums zum Wintersemester 2015/16 müssen sich alle angehenden Lehrer – ob für Grundschule oder fürs Gymnasium – auch mit Sonderpädagogik befassen. Denn Inklusion soll an allen Schularten umgesetzt werden. Das Sonderschullehramt bleibt aber wie die Sonderschulen in Baden-Württemberg erhalten.

Auch bei vielen Eltern an Gymnasien sind die Ängste groß. Manche befürchten, dass Kinder mit Behinderungen die Bildungschancen ihrer eigenen Kinder beeinträchtigen. Sie müsse die Vorbehalte verstehen, bekam Kirsten Ehrhardt, die Mutter von Henri, kürzlich von einer Bekannten zu hören. Wenn Henri ins Gymnasium komme, werde das „intellektuelle Niveau der Klasse“ sinken. „Ist das intellektuelle Niveau in unserer Familie seit der Geburt meines Sohnes gesunken?“, konterte Erhardt. Natürlich könne Henri nicht Abitur machen, sagt sie. Ihr ist wichtig, dass ihr Sohn mit seinen Freunden zusammenbleibt und von und mit ihnen lernt – bisher habe er sich gut entwickelt.

Wie in der Grundschule könnte er auch am Gymnasium mit Unterstützung des Sonderpädagogen und eines Schulbegleiters „zieldifferent“ unterrichtet werden. Das ist auch das Prinzip der neuen Gemeinschaftsschulen, an denen Schüler mit unterschiedlichen Bildungsempfehlungen gemeinsam lernen – und dann den ihnen höchstmöglichen Abschluss von Hauptschulabschluss bis Abitur machen. An den Gemeinschaftsschulen ist Inklusion selbstverständlich. Doch in Walldorf gibt es diese Schulart nicht.

Eigentlich wollte die Landesregierung zum nächsten Schuljahr das Schulgesetz ändern und damit die Inklusion erleichtern. Dass der Termin nicht zu halten ist, zeichnet sich seit längerem ab, das neue Gesetz soll zum Schuljahr 2015/16 in Kraft treten. Eltern sollten aber keine Steine in den Weg gewählt werden, wenn sie Kinder mit Behinderungen schon früher auf eine Regelschule schicken wollten, betont Kultusminister Andreas Stoch (SPD) immer wieder.

Deshalb habe das Kultusministerium im Fall Walldorf Gespräche mit allen Beteiligten aufgenommen, um eine Lösung zu finden, sagte ein Sprecher des Ministeriums am Dienstag. Der Schule solle auch die Unterstützung erläutert werden, die sie von Sonderpädagogen erhalten würde. „Die Schulversuchsbestimmungen lassen tragfähige Rahmenbedingungen etwa durch das Zwei-Pädagogen-Prinzip zu.“ Zudem würden das Regierungspräsidium Karlsruhe und das Staatliche Schulamt Mannheim die Schule bei der Inklusion begleiten.

Eine große Hürde für die Umsetzung der Inklusion ist die Finanzierung. Dazu sind zusätzliche Sonderpädagogen und eine geeignete Ausstattung der Schulen nötig. Demnächst soll im Kabinett das Eckpunktepapier verabschiedet und mit den Kommunen verhandelt werden. „Inklusion ist nicht zum Nulltarif zu haben. Eckpunkte zu beschließen macht deshalb nur Sinn, wenn auch deren Finanzierung geregelt ist“, sagt Städtetagsdezernent Norbert Brugger. „Bislang ist das Land mit uns dazu weder in Verhandlungen eingetreten noch hat es sich zum Finanzierungsvorschlag des Städtetags vom Sommer 2013 geäußert. Das kritisieren wir.“