Große Bühne: Die Skyline von Karlsruhe leuchtet von unten, die Michelin-Sterne oben Foto: Karin Zeger

Das kulinarische Erbe ist in Baden-Württemberg gut aufgehoben. In Karlsruhe feiert die Spitzengastronomie sich selbst und die Aufnahme in den „Guide Michelin“. Von emotionalen Momenten, ersten Schritten in der „Sterne“-Welt und von einem gelassenen Schwarzwälder.

Alina Meissner-Bebrout hält die Arme verschränkt dicht am Körper, die Schultern sind hochgezogen. Sie tritt von einem Fuß auf den anderen. Ein eisiger Wind fegt ihr durchs Haar. Es ist aber auch kalt in Karlsruhe! Die junge Frau steht auf dem Platz vorm Konzerthaus, wartet, dass die Uhr endlich 16.30 Uhr zeigt. Dann öffnen sich die Tore zur Michelin Guide Ceremony 2023. Sie stellt sich in die Schlange, schreitet über den roten Teppich die Stufen hoch. Vor ihr, neben ihr, hinter ihr die besten Köche und erfolgreichsten Gastronomen der Republik. Manche winken ihr zu, sie lächelt etwas schüchtern zurück. Der erste Schritt in die „Sterne“-Welt ist geschafft.

 

Vier Stunden später tritt Meissner-Bebrout wieder von einem Fuß auf den anderen. Dieses Mal in der Warteschlange vor der Damen-Toilette. Die Verleihung ist vorüber, die Anspannung verflogen, die Freude riesig – und der dicke Wintermantel längst gegen die Kochjacke getauscht. „Gratulation“; „Gut gemacht“; „Spitze“ – Meissner-Bebrout quittiert die Glückwünsche mit einem Strahlen im Gesicht. Gleich zwei Mal steht die Chefin des Ulmer „bi:braud“, Jahrgang 1990, an diesem Abend auf der Bühne: Sie gewinnt den Young Chef Award und beschert ihrem kleinen Restaurant den ersten „Michelin“-Stern.

Man kennt und schätzt sich in der Branche, und diese wächst stetig

Solch angenehm unprätentiöse Koch-Persönlichkeiten könnte Ralf Flinkenflügel, Direktor des „Guide Michelin“ für Deutschland und die Schweiz, im Kopf gehabt haben, als er im Vorfeld der Bekanntgabe erklärte, dass die Spitzengastronomie seit geraumer Zeit nicht mehr so steif sei. „Das Elitäre hat unheimlich nachgelassen. Es ist entspannter. Immer mehr jüngere Leute gehen gerne gut essen.“

Umarmungen und Schulterklopfen für Mentor Chef

Noch ein Beispiel gefällig? Nehmen wir Mona Schrader vom Zwei-Sterne-Restaurant Jante in Hannover. Sie ist die Gewinnerin des Service Award. Die Jury lobt ihren Charme, ihr Fachwissen. „Was macht Ihr Service denn so aus?“, will der Moderator von ihr wissen. Sie meint gut gelaunt: „Ich mache kaum was, sage: ‚Hallo und herzlich willkommen’ zu unseren Gästen, und dann geht’s los.“ Schrader erhält die Auszeichnung übrigens aus den Händen von Christian Bau (Victor’s Fine Dining in Perl-Nenning), der später als Mentor Chef ausgezeichnet wird. Er habe zahlreichen jungen Köchen wertvolles Know-how vermittelt, so die Jury. Gemessen an den vielen Umarmungen und Schulterklopfen seitens seiner jungen Kollegen hat er dies ganz offensichtlich mit Herzblut und viel Freude getan.

Überall wird viel geherzt

Überhaupt wird viel geherzt an diesem Abend – auf der Bühne, vor der Kamera, beim Cocktail, beim Schlendern durchs Konzerthaus. Man kennt und schätzt sich in der Branche, und diese wächst stetig: Dieses Jahr zeichnete der „Guide Michelin“ insgesamt 334 Restaurants in Deutschland mit Sternen aus. Baden-Württemberg liegt dabei ganz vorne. Im Südwesten gibt es zwei Drei-Sterne-Restaurants, zehn Zwei-Sterne- und stolze 63 Ein-Sterne-Restaurants. Aufgrund zahlreicher Schließungen mussten aber auch 28 (ehemalige) Lokale ihren Sternen Lebewohl sagen.

Freiburger Freude – nicht nur beim Fußball

„Unsere Inspektoren sind vom Engagement, vom Mut und von der Flexibilität der Gastronomen begeistert. Sie haben so mancher Krise getrotzt, immer mit dem Ehrgeiz, ihren Gästen ein unverändert hohes Niveau zu bieten“, sagt Gwendal Poullennec, Internationaler Direktor des „Guide Michelin“.

Während sich fast zur gleichen Zeit im Fußballstadion beim DFB-Pokal Bayern und Freiburg gegenüberstehen, feiern die Münchner und die Badener in Karlsruhe an diesem Tag gemeinsam: Die Stadt im Breisgau darf sich mit dem Colombi, der Eichhalde und der Wolfshöhle über drei Neuzugänge im Ein-Sterne-Bereich freuen, München erhält mit insgesamt vier neuen Sternen die meisten Auszeichnungen.

Der Schwarzwälder Jason Grom nimmt seinen ersten Stern entgegen

Dabei sorgt Jan Hartwig für eine kleine Sensation: Mit seinem Jan hat er sich vor rund einem halben Jahr nicht nur den Traum vom eigenen Restaurant erfüllt, sondern holt dem Stand drei Sterne. „Ich sage heute gar nichts mehr, ich bin sprachlos“, bringt er unter Tränen hervor.

Wesentlich gelassener – zumindest nach außen – nimmt der Schwarzwälder Jason Grom (Die Burg in Donaueschingen (Schwarzwald-Baar-Kreis)) seinen ersten Stern entgegen. Er ist Jahrgang 1992. Lässig schlendert er auf die Bühne, lässt sich die Kochjacke überziehen und stellt sich dann mit den Händen in den Hosentaschen auf seinen Platz – bereit für das erste Foto als Sterne-Koch. Wie sagte der Michelin-Direktor noch gleich? „Junge Leute gehen gerne gut essen.“ Und offensichtlich können immer mehr junge Menschen auch gut kochen.

Der „Guide Michelin“ Deutschland ist ab dem 11. Mai für 29,95 Euro im Handel.

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