In Schwäbisch Gmünd ist die größte Produktionsanlage in Süddeutschland in Betrieb gegangen, und auch sonst beginnt der H2-Hochlauf im Land. Wird die Technologieführerschaft verteidigt?
Der Ministerpräsident lässt es nicht an Klarheit missen: „Wir brauchen beim Wasserstoff-Hochlauf Mut und Tempo statt Bedenkenträgerei“, sagte Winfried Kretschmann (Grüne) bei der Einweihung der größten Elektrolyse-Anlage Süddeutschlands in Schwäbisch Gmünd am Dienstag. Sonst werde es nur ein Hochkriechen statt eines Hochlaufs geben. Die zehn Megawatt-Anlage in Gmünd sei nun aber vorerst das pulsierende Herz der H2-Modellregion im Südwesten.
Was genau ist in Gmünd entstanden?
Tatsächlich hat die französische Firma Lhyfe mit Sitz in Nantes in Schwäbisch Gmünd ihre bisher größte Anlage eröffnet. Täglich können dort bis zu vier Tonnen reiner Wasserstoff produziert werden, indem Wasser unter Einsatz grünen Stroms aufgespalten wird. Vier Tonnen enthalten etwa 130 000 Kilowattstunden Energie. Damit könnte ein Lkw mit Brennstoffzellen rund 50 000 Kilometer weit fahren. Insgesamt hat Lhyfe 30 Millionen Euro investiert, davon sind 20 Prozent Fördergelder.
Wofür wird der Wasserstoff verwendet?
Ursprünglich sollte direkt nebenan eine Tankstelle gebaut werden, damit Lkw mit Brennstoffzellen-Antrieb dort Wasserstoff tanken können. Doch der Partner Jet hat sich aus dem Projekt zurückgezogen, was zeigt, wie schwierig die Entwicklung dieses völlig neuen Energiesystems ist. Die Pläne bestünden aber weiter, betont Luc Graré, der Leiter des Geschäfts für Mittel- und Osteuropa bei Lhyfe.
Es gebe im Umkreis von 200 Kilometern dennoch genügend Abnehmer für das Endprodukt, ergänzt Lhyfe-Deutschlandchef Pascal Louvet. Zum Beispiel bräuchten Hersteller von Brennstoffzellen genügend Treibstoff, auch die Chemieindustrie sei interessiert. Der Wasserstoff wird auf 380 bar verdichtet und dann in Spezialbehältern per Lkw zu den Kunden transportiert. Täglich werden sieben bis neun Lastwagen den Hof verlassen, wenn die Anlage einmal voll läuft. Vorerst ist sie laut Graré nur zu 50 bis 75 Prozent in Betrieb, ob wegen mangelnder Nachfrage oder ob noch Probeläufe notwendig sind, wird nicht ganz klar.
Pascal Louvet betont aber, dass der Gmünder Wasserstoff konkurrenzfähig sei. Denn wer grünen Wasserstoff kaufe, erhalte CO2-Zertifikate, die Geld wert sind. Zudem werde im Verkaufsgebiet nirgendwo Wasserstoff für den freien Markt produziert, auch kein grauer Wasserstoff, für den fossile Brennstoffe eingesetzt worden sind. Luc Graré sagt auch: „Wenn man Wasserstoff nicht im europäischen Herz der Automotive verkaufen kann, wo dann?“
Welche anderen Projekte gibt es im Südwesten?
Schwäbisch Gmünd ist Teil der Modellregion „H2 Wandel“. Projekte sind auch in Ulm, Reutlingen, Tübingen und Stuttgart geplant. In Stuttgart soll im Hafen eine Elektrolyse-Anlage gebaut werden. Tübingen hat sein vergleichbares Projekt dagegen mittlerweile aufgegeben, wie die Stadtwerke Tübingen auf Anfrage mitteilen. Es habe sich gezeigt, so Stadtwerke-Sprecherin Ann-Katrin Melinz, „dass es in der aktuellen Marktsituation nicht möglich war, für den potenziell produzierten Wasserstoff verlässliche Abnehmer zu finden.“ Auch anderswo gibt es zumindest Verzögerungen.
Daneben wird aber bereits an einer ersten längeren Pipeline gebaut. Im Südwesten ist vorgesehen, eine zentrale Pipeline entlang des Rheintals und eine weitere zwischen Mannheim, Esslingen und Ulm zu verlegen. An der Querverbindung nach Ulm arbeitet Terranets bw bereits, derzeit werden die Leitungen zwischen Löchgau im Kreis Ludwigsburg und Esslingen entlang von Straßen, Flüssen und Bahnlinien verlegt. Bis 2032 soll alles fertig sein.
Perspektivisch könnten – neben Chemie-, Stahl- und Zementindustrie – einmal Kraftwerke die größten Abnehmer von Wasserstoff werden. Auch in Stuttgart stellt die EnBW ihre Kohlekraftwerke auf Erdgas um und will ab den 2030er Jahren Wasserstoff verwenden. Dann werden riesige Mengen an H2 benötigt. Lhyfe plant deshalb bereits bis 2029 eine riesige Anlage in Lubmin an der Ostseeküste. Sie wird 80 Mal so viel Wasserstoff produzieren wie die Anlage in Gmünd; der Strom soll von den Offshore-Windanlagen kommen. Auch die Unternehmen H2Apex, Deutsche Regas, PtX Development sind in Lubmin mit großen Anlagen in der Planung.
Warum stockt der H2-Hochlauf noch?
Eine neue Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe kommt zu dem Schluss, dass die fehlende Infrastruktur aus Pipelines und Tankstellen mit das höchste Problem darstelle. Daneben seien die hohen Stromkosten bei der Produktion ein Hemmnis. Aus diesem Grund sei auch der fertige Wasserstoff noch teuer und finde wenig Abnehmer. Für Unternehmen gebe es zudem keinen Anreiz, auf grünen Wasserstoff umzusteigen, so die Studie. Da müsse der gesetzliche Druck erhöht werden.
Wie gut ist Deutschland im globalen Vergleich aufgestellt?
Die Studie warnt noch vor einer anderen Gefahr: Wenn das H2-System nicht schnell aufgebaut würde, könnte die derzeit noch bestehende Technologieführerschaft in Deutschland in sich zusammenfallen, ähnlich wie in der Solarindustrie oder bei der Herstellung von Batterien. Auch Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) fand bei der Eröffnungsfeier in Schwäbisch Gmünd deutliche Worte: „Wir müssen in neue Industrien investieren, aber bei Wasserstoff hat China einen klaren Plan.“ Es gehe beim Wasserstoff deshalb nicht nur um Klimaschutz, sondern um zentrale Industriepolitik. Sie forderte einen klaren Zeitpunkt, ab wann Kraftwerke Wasserstoff als Brennstoff einsetzen müssen, um die Nachfrage anzukurbeln.
Lohnen sich H2-ready-Heizungen?
Nein, Gasheizungen, die wasserstofffähig sind, seien in Privathaushalten nicht sinnvoll – das ist zumindest die eindeutige Aussage einer weiteren brandaktuellen Studie, die das Fraunhofer-Institut für Energieinfrastrukturen und Geotechnologien IEG in Cottbus im Auftrag von Greenpeace erstellt hat. Die H2-Heizkosten lägen im Jahr 2035 um 74 bis 172 Prozent höher als die Preise für Erdgas, so das Fazit, wobei die Autoren betonen, dass die genannten Kosten nicht „Risiko, sondern Gewissheit“ seien.
Ein großes Problem sei auch, dass nicht jeder Haushalt für sich entscheiden könne, ob er künftig Wasserstoff beziehen wolle – vielmehr müssten ganze Quartiere auf einmal umgestellt werden, weil erst die entsprechenden Leitungen verlegt werden müssten. Die Experten raten deshalb davon ab, jetzt H2-ready-Heizungen einzubauen: „Fällt die Umstellung auf Wasserstoff aus – was angesichts der hohen Kosten als wahrscheinlich angesehen werden sollte – bleiben die Haushalte auf ihren Kosten sitzen und müssen erneut investieren.“