Jedes der vier Windräder hat eine Gesamthöhe von mehr als 246 Metern. Foto: Max Bögl Wind AG

Der Naturstromspeicher Gaildorf soll pro Jahr genug Strom für 10 000 Vierpersonenhaushalte produzieren . Ende 2018 soll dann der zweite Teil des Pilotprojekts fertig sein.

Gaildorf - Dem Mann ist es offensichtlich ernst mit grüner Energie. Alexander Schechner, 48, der Ideengeber und Teilhaber des Pilotprojekts Naturstromspeicher Gaildorf (Kreis Schwäbisch Hall), fährt mit einem blauen Tesla vor, Modell X. „Verrücktes Auto“, sagt er lachend, „aber die Zukunft ist nun mal elektrisch.“ Verrückt, so nannten viele auch seine Idee: Wind und Wasser Hand in Hand arbeiten zu lassen, um Produktion und Speicherung von erneuerbarer Energie möglich zu machen. Beim Technologiekonzern Voith hat der Ingenieur die Idee geboren und in der Max Bögl Wind AG seinen Partner gefunden. Wasserbatterie – unter diesem Begriff wird das Projekt nun weltweit vermarktet.

Die Rotorblätter verschwinden im Nebel

Eineinhalb Jahre nach dem Spatenstich im Limpurger Land ist Halbzeit: Seit diesem Montag fließt nun bei Gaildorf grüner Strom, erzeugt von der höchsten Windkraftanlage der Welt. Vier Türme mit Nabenhöhen von 155 bis 178 Metern hat das Unternehmen aus Neumarkt in der Oberpfalz auf den Höhenzug unweit der 12 000-Einwohner-Stadt errichtet. Pro Jahr sollen sie jeweils mehr als zehn Gigawattstunden Strom erzeugen – genug für 10 000 Vierpersonenhaushalte. „4 Windräder anstatt 30 000 Tonnen Braunkohle“ steht auf dem Plakat, das die Verantwortlichen bei der offiziellen Inbetriebnahme stolz vor einem der riesigen Türme im verschneiten Wald enthüllen. Der Blick geht in die Höhe: Die Spitzen der Rotorblätter sind bei dieser Witterung nur zu erahnen und verschwinden in 246 Metern Höhe im Nebel.

Der Tag ist freilich nur ein Zwischenschritt. Ende 2018 wird die Wasserbatterie ans Netz gehen – die eigentliche Innovation des Naturstromspeichers. Als so genanntes Oberwasserbecken dienen nämlich die 40 Meter hohen Windradsockel mit einem Durchmesser von 16,8 Metern. Diese wiederum stehen in einem Außenbecken mit 63 Metern Durchmesser, das später bis zu 13 Meter hoch mit Wasser gefüllt ist. Angesicht der Menge und dem Druck lächerlich anmutende 30 Zentimeter dick ist die Betonwand – „ein Technologiesprung“, schwärmt Schechner. Ein „voll recycelbares“ Polyethylen-Druckrohr verbindet dann die Windräder mit ihren Wasserspeichern untereinander und mit dem 200 Meter tiefer im Tal gelegenen, zwölf mal zwölf Meter großen Pumpspeicherwerk und dem Unterbecken.

Der Bund fördert das Projekt mit 7,5 Millionen Euro

Mit dem flexiblen Kurzzeitspeicher können bei Bedarf weitere 70 Megawattstunden, also bis zu vier Stunden gespeicherter Strom eingespeist werden und zur Netzstabilität beitragen. „Das Speicherkonzept agiert extrem flexibel und kann innerhalb von 30 Sekunden zwischen Stromproduktion und Speicherung wechseln“, rühmt Josef Knitl, Vorstand der Max Bögl Wind, das Konzept. Von dem System ist offensichtlich auch das Bundesumweltministerium überzeugt: Es fördert die Entwicklung der Anlage mit 7,5 Millionen Euro.

Neben der Kombination Wind und Wasser birgt die Wasserbatterie eine zweite Innovation: Sie soll ein Speicherkraftwerk „von der Stange“ werden. Die Anlage wird vollständig standardisiert, um sie vermarkten zu können. Die Frage nach dem Marktvolumen wird von den Verantwortlichen nicht konkret beantwortet. Es gebe viele Anfragen aus dem deutschen und europäischen Raum, sagt der Vorstand ausweichend. Und da die Wasserbatterie auch auf Salzwasser ausgelegt sei, hätten beispielsweise Inseln die Möglichkeit, autark zu werden. Zudem könnten bestehende Windkraftanlagen nachgerüstet werden, auch hier bestehe weltweit Interesse.

Heute sind die Gaildorfer stolz auf die Anlage

Das 400 mal 150 Meter große Unterbecken, derzeit eine riesige, matschige Baustelle, werde mit einem Naturwärmespeicher nachgerüstet zur Energiequelle für Nah- und Fernwärmeversorgung. Der Auftrag sei erteilt, sagt Gaildorfs Bürgermeister Frank Zimmermann. Außerdem, so zeigen die Pläne, soll das Becken als „attraktiv gestaltetes Gewässer“ der Naherholung der Bürger dienen. Zimmermann ist an vorderster Front mit der Akzeptanz des Projekts in seiner Kommune konfrontiert. Nach heftigem Widerstand zu Beginn habe sich die Einstellung der Bevölkerung inzwischen geändert. „Der weitaus größte Teil der Gaildorfer hat das Projekt positiv aufgenommen“, sagt er, „heute sind viele fast schon stolz darauf.“ Wie viele es sind, das wird sich zeigen, wenn die geplante Bürgergenossenschaft für den Naturstromspeicher Gaildorf an den Start geht.