Bauen und Wohnen sind ihre Fachgebiete: Grund genug für den Kreisverband von Bündnis ’90/Die Grünen, mit Andrea Lindlohr durch den größten Stadtteil der größten Stadt im Zollernalbkreis zu schlendern. Denn dort liegt einiges im Argen.
Albstadt-Ebingen - Auf den ersten Blick sieht’s doch ganz gut aus: Die Markstraße und der Bürgerturmplatz sind mit schönem Granit gepflastert, die Außenlokale sitzen voll am sonnigen Spätnachmittag. Doch Andrea Lindlohr, Landtagsabgeordnete von Bündnis ’90/Die Grünen im Wahlkreis Esslingen, weiß, wie sehr der Schein zuweilen trügen kann. Kreisrat Ulrich Kohaupt, die Stadträte Jürgen Kiefer und Friedrich Rau sowie Stadtverbandsvorsitzender Markus Ringle erzählen ihr und Johannes Kretschmann – den Bundestagskandidaten der Grünen im Wahlkreis Zollernalb/Sigmaringen interessiert das auch – wo der Schuh drückt in der Ebinger Innenstadt: An vielen Stellen überwiegt der Verkehr und macht Aufenthaltsqualität zunichte. Grün fehlt, die Stadt heizt sich auf.
An der Einfahrt zur Tiefgarage Bürgerturm hat es gerade gerummst, die Polizei ist da, Schaulustige, und Lindlohr sieht auf den ersten Blick, wie sehr die Zufahrt die Menschen auf dem Bürgerturmplatz stört.
Am Knotenpunkt Bahnhofstraße, Schweinweiher und Kurt-Georg-Kiesinger-Platz zeigen Friedrich Rau und Markus Ringle die Krux auf: Bestimmte Personengruppen, die dem Areal nicht den besten Ruf bescheren, zu verdrängen – damit sei es nicht getan. Irgendwo müsse der Mensch sich schließlich aufhalten, und das Problem zu verlagern, bringe auch nichts. Also: Durchmischung. Jeder soll seinen Raum haben – aber nicht nur die einen, sondern eben auch die anderen. Von der Idee, das Areal vom Verkehr frei zu machen, Menschen und Stadtgrün Raum zu geben, sind alle überzeugt.
Von Hand gemacht und unkaputtbar
Ganz nach dem Geschmack der Grünen – und der Albstädter, die sich dem Rundgang angeschlossen haben – ist der Laden von Sladana Raitze im Kirchengraben: "Indistructible", also "Unzerstörbar", heißt ihre Marke, mit der sie im Familienbetrieb Schönes und Brauchbares herstellt. Außerdem verkauft sie Handgemachtes von kleinen Manufakturen und von Kunsthandwerkern, auch aus der Region, und setzt damit ein Ausrufezeichen gegen die Wegwerfgesellschaft. Das Gespräch dreht sich um das zweite Standbein Onlinehandel, dem Raitze im Lockdown das Überleben verdankt und auf den sie weiterhin setzt, um Bürokratie – die nicht überborden zu lassen, dafür will Kretschmann sich einsetzen – und um ein Dauerproblem: Parkplätze. Wie wichtig die seien für den Laden, fragt Ringle, und ist überrascht von der Antwort: Die junge Unternehmerin spricht zuerst den Parkplatzmangel für ihre Mitarbeiter an, die jede Stunde umparken müssten, weil es viel zu wenige kostenlose Dauerparkplätze in der Stadt gebe. Was wiederum Kundenparkplätze blockiere, merkt Kiefer an. Der Stadtrat will sich mal schlau machen, ob die oft halb leer stehenden Parkhäuser der Stadt das Problem nicht lösen könnten. Und Tarek Andres, der in der Marktstraße seine Arztpraxis und dafür zwei Stellplätze hat, bietet sie Raitze spontan an für die zwei Nachmittage, an denen er sie nicht braucht: "Gleich um die Ecke!"
Angetan sind alle vom Hotelprojekt der Firma Tosun, das ihnen die Brüder Mehmet, der Diplom-Ingenieur, und Rasim, der Rechtsanwalt, vorstellen. Im künftigen Hotel "Essia", das 70 zu den – laut Gutachten – 300 nötigen Hotelbetten in der Stadt beitragen wird, erfahren die Grünen, dass nur Unternehmen der Region daran Bauen, wie schwierig es war, mit dem Denkmalschutz zu verhandeln, dass Ladestationen für E-Bikes und E-Autos installiert werden und die Wärmepumpe zum Einsatz kommt – Nachhaltigkeit ist den Brüdern wichtig, und die Energie von der Süd- auch zur Nordseite zu übertragen heute möglich.
Lokal verwurzelt – das hilft
Lindlohr fragt nach der Baustoff-Krise: Hilft den Albstädter Unternehmern ihre lokale Verwurzelung, vernünftige Konditionen zu bekommen? "Klar", sagt Mehmet Tosun, aber zudem habe man die Aufträge schon vor der coronabedingten Rohstoff-Krise vergeben. Weil die Firma Tosun auch ein bedeutender Spieler auf dem lokalen Immobilienmarkt ist, fragt Lindlohr nach ihren Wunschbedingungen, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, und erfährt, dass der in Albstadt längst nicht so knapp sei wie in Großstädten. "Wir machen keine Luxussanierungen, deren Kosten wir dann an Mieter weitergeben."
Zum Abschluss zieht die Gruppe durch den Landgraben, mitten durchs "Hufeisen"-Viertel, in den Hof, einen "sehr sensiblen Bereich", wie Kohaupt sagt, der unweit wohnt. Vorbei an dutzenden parkenden und rangierenden Autos.
Beim Abendessen im "Carlos" ist der plötzliche Wechsel auf das autofreie, von alten Häusern gesäumte Areal Anlass für Johannes Kretschmann, auf eines seiner Lieblingsthemen zu kommen: den "Verlust von Schönheit" durch "irreversible" Bausünden in der Nachkriegszeit. Die richtigen Anreize gelte es zu setzen: "Renovierung und Restaurierung vor Abriss."
Sein Rezept gegen die Verkehrsflut lautet: mehr und bessere ÖPNV-Angebote, bessere Vernetzung, bezahlbare Tickets, mit denen man auch die Anschlüsse nutzen könne. Diesbezüglich ist der "überzeugte Föderalist", der dafür stehe, auf der unterstmöglichen Ebene zu regeln, was dort geregelt werden könne, ein Freund der Vernetzung auf höheren Ebenen und zwischen regionalen Verkehrsverbünden. "An Konzepten dafür fehlt es nicht", weiß Kretschmann aus seiner Arbeit als Kreisrat in Sigmaringen. "Nur eben zu oft am politischen Willen." Und zuweilen auch an der Bereitschaft mancher, "auch mal 300 Meter zu Fuß zu laufen."