Freiburgs OB Dieter Salomin, Boris Palmer, OB in Tübingen und der Ex-Bürgermeister von Konstanz, HOrst Frank. Foto: Montage: sb

Tübingen, Freiburg, Konstanz und ihre Oberbürgermeister, die in der Verkehrspolitik für Unmut sorgen.

Tübingen - Nichts erhitzt Tübinger Gemüter derzeit mehr als rüpelhafte Radler, die durch die beschaulichen Gassen rasen, und Autofahrer, die keinen Parkplatz finden. Auch die Frage, ob es genügend Klubs für Nachtschwärmer gibt, provoziert seit Wochen Diskussionen. Kürzlich beklagte sich doch tatsächlich eine Bürgerin über die nächtliche Szenerie am Marktbrunnen: "Es war so sauber, so aufgeräumt, so behäbig."

Nein, ernste Herausforderungen muss man rund um den Hölderlinturm derzeit nicht bestehen. Dafür lesen sich die wirtschaftlichen Kennziffern auch viel zu solide. "Den letzten Haushalt in Tübingen haben die sieben Fraktionen des Gemeinderats einstimmig beschlossen. Dennoch bin ich mir sicher, dass Euch gefallen wird, was darin steht", schrieb OB Boris Palmer jüngst an die Delegierten des Bundesparteitags der Grünen, wo er sich demnächst erneut um einen Sitz im Parteirat bewirbt.

Tübingen blüht, seine Elite-Uni zieht moderne Firmen an, und die akademisch geprägte Bürgerschaft versucht, Wohlstand mit Moral in Einklang zu bringen – was meistens gelingt. Über allem thront ein Oberbürgermeister, der dies wohlgefällig als Frucht seiner Arbeit betrachtet.

Einzelhandel wehrt sich gegen Straßensperrungen

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Denn die vermeintlich so läppischen Leserkommentare spiegeln einen ernsthaften Konflikt: Hinter der Klage über vergrämte Autofahrer steckt der Unmut über eine Verkehrspolitik, die Tübingen zum Radler-Paradies machen will.

Vor allem der Einzelhandel wehrt sich gegen Bestrebungen, Straßen zu sperren und Parkgebühren zu verteuern. Als Palmer unlängst die Idee einer City-Maut wieder hervorholte, bliesen 170 Einzelhändler zum Widerstand. "Wir lassen jetzt nicht mehr locker", sagt Sabine Lüllich, die in der City ein Strumpffachgeschäft besitzt und für die CDU im Gemeinderat sitzt. "Oh ja, wir spüren die grüne Handschrift", antwortet sie gallig auf die Frage, ob Palmer der Stadt seinen Stempel aufdrücke.

Wie gefährlich der OB diese Diskussion einschätzt, zeigt sein Einlenken bei den berühmten Tübinger Strafzetteln. Auf deren Rückseite belehrt er nämlich die Verkehrssünder milde darüber, wie sie das Knöllchen hätten vermeiden können: indem sie "Bahn, TüBus und Rad gefahren" wären. Diese Predigt will Palmer nun nicht mehr halten, verspricht er – vorausgesetzt natürlich, die Altbestände sind aufgebraucht.

"Palmer versteht es, auch im bürgerlichen Lager zu punkten"

Gerechterweise muss man sagen, dass der Verkehrskonflikt der einzige ist, bei dem sich konservative Tübinger vor ihrem Grünen-OB erschrecken. Ansonsten spricht er ihre Sprache. "Palmer versteht es meisterhaft, auch im bürgerlichen Lager zu punkten", bekennt die örtliche SPD-Landtagsabgeordnete Rita Haller-Haid.

Dort hat man wohlgefällig registriert, dass er auch vor der eigenen Parteijugend nicht zurückschreckt, wenn es darum geht, Tübingen sauberer und sicherer zu machen. Palmer wirbt nämlich vehement dafür, dass Städte öffentliche Sauf-Exzesse mit einem Alkoholverbot unterbinden dürfen. Wie sehr dieses Problem drängt, ist allerdings umstritten. Einige Jugendliche fragten kürzlich interessiert nach, wo denn die nächtlichen Gelage in Tübingen stattfänden. Sie wollen dort nämlich auch mal hin.

Seite 2: Die Freiburger gehen kritisch mit ihrem OB um

Freiburgs OB Dieter Salomon weiß genau, wo in seiner Stadt die Post abgeht. Die nächtlichen Gelage am Augustinerplatz sind unschwer zu überhören – weshalb auch er für ein Alkoholverbot plädiert. Die Breisgaustadt hat sich in den vergangenen zehn Jahren zur führenden Partyzone im Dreiländereck entwickelt, was freilich nur zufällig mit seiner Amtszeit zusammenhängt.

Diesen Zusammenhang knüpft Salomon schon eher bei der wirtschaftlichen Karriere Freiburgs. Aus dem einstmals verschlafenen Beamten-Biotop ist eine pulsierende 220.000-Einwohner-Stadt mit modernen Dienstleistungsjobs geworden – und dem Anspruch, Öko-Metropole zu sein. Komplette Stadtteile sind neu entstanden, darunter das Vauban-Viertel, wo die CDU Splitterpartei ist und die Grünen mehr als 70 Prozent einfahren.

Grüne sind sich untereinander oft nicht grün

Das macht das Regieren allerdings nicht leichter. Denn Grüne sind sich untereinander oft nicht grün, und so tummelt sich im Gemeinderat eine Vielzahl von Fraktionsgemeinschaften. Vom "Flohzirkus" wie in den Anfangstagen spricht Salomon zwar nicht mehr, doch die Mehrheiten fallen je nach Thema ganz unterschiedlich aus – gerne auch mit der CDU. Die hat Salomon bei seiner Wiederwahl vor zwei Jahren indirekt sogar unterstützt.

Und wo ist an der Dreisam seine Handschrift erkennbar? Großprojekte wie die Stadtbahn, das Konzerthaus oder den Stadtteil Rieselfeld hatte bereits sein Vorgänger Rolf Böhme (SPD) eingetütet. Grüne Akzente sind eher in der Energiepolitik erkennbar: Der örtliche Versorger Badenova zum Beispiel wurde von Salomon ganz auf öko getrimmt. Auch mit seinem Bürgerhaushalt, in dem die Bevölkerung Ausgabe- und Sparvorschläge macht, hat Salomon Maßstäbe gesetzt. Und das Betreuungsangebot für Kleinkinder ist weit besser als in vielen vergleichbaren Städten.

Als größten Erfolg hält sich der OB die Konsolidierung des Haushalts zugute. Noch vor wenigen Jahren wäre Freiburg wegen der Schuldenlast fast unter staatlichen Kuratel gekommen. Doch ein konsequenter Sparkurs und die Entspannung an der Steuerfront entschärften die Lage.

Das frühere Haushaltsfiasko hat Salomon allerdings auch die schwerste Schlappe seiner bisherigen Amtszeit eingebracht, denn er glaubte, das Defizit lasse nur durch den Verkauf von Tausenden städtischen Wohnungen decken. Die schwarz-grün-freie Mehrheit im Rathaus hatte er zwar hinter sich, nicht aber die Bevölkerung, die den Verkauf in einem Bürgerentscheid ablehnte.

"Die Freiburger gehen sehr kritisch mit ihrem OB um", sagt die SPD-Landtagsabgeordnete Gabi Rolland. Salomon hat das bei seiner Wiederwahl vor zwei Jahren erlebt: Mit 50,5 Prozent kam er im ersten Wahlgang über die Hürden - aber er kam drüber.

Seite 3: Horst Frank - ein Konstanzer Dickschädel

Ein Hauch von Mittelmeer weht über die Promenade, wo der Katamaran "Ferdinand" anlegt. Tausende flanieren an den Piers entlang, drüben am Einkaufszentrum Lago geht es zu wie im Taubenschlag, ehrfurchtsvoll bestaunt eine Gruppe Schweizer das Konzil: Konstanz ist am Bodensee die unangefochtene Nummer eins unter Tourristen.

"Ja, die Stadt hat sich gut entwickelt in den letzten Jahren, hier wurde solide gearbeitet", sagt Jürgen Leipold, der die Kommunalpolitik wie kein Zweiter überblickt: Von 1976 bis 2012 war er Chef der SPD-Fraktion. Das Urteil wiegt umso stärker, als Leipold als schärfster Gegenspieler von Horst Frank gilt: Der OB, 1996 als erster Grüner in ein solches Amt gewählt, hat die Stadt bis zu seinem Ruhestand im September geprägt.

Doch wie stark? Das ist in Konstanz ebenso schwer zu beurteilen wie in anderen Städten. Die Konjunktur achtet nicht auf Wahltermine. Dass dem OB in den guten Gewerbesteuerjahren "die Scheiße förmlich bergauf lief", wie ein Parteifreund spottet – kann man ihm das vorhalten?

Man kann aufzählen, was in Franks 16-jährige Amtszeit fiel: der Bau der Bodensee-Therme zum Beispiel, der Ausbau von Schulen und Kindergärten oder die Umnutzung der Industriebrache am Seerhein. Innovative Unternehmen haben sich hier angesiedelt, zehn Prozent aller Arbeitsplätze entfallen mittlerweile auf die Forschung – auch dank der Exzellenz-Universität.

Frank habe stets versucht, das Vorurteil zu widerlegen, wonach Grüne und Wirtschaft nicht zusammenpassten, sagt Leipold. Das hat seine Grünen-Fraktion bisweilen mehr irritiert als SPD oder CDU. Den Bau des Konzert- und Kongresshauses, Franks Lieblingsprojekt, haben seine Leute jedenfalls nicht mitgetragen. Doch die gesamte Bürgerschaft senkte bei dem Vorhaben den Daumen. Das war wohl Franks größter Flop.

Die Wiederwahl 2004 schaffte er nur knapp. Noch im ersten Wahlgang lag er hinter dem CDU-Kandidaten an zweiter Stelle. Was aber auch an Franks widerborstiger Art lag. Ein Konstanzer Dickschädel, sagen jene, die ihn kennen.

Ob ihn die Konstanzer noch einmal gewählt hätten? Daran äußern viele Zweifel. Doch wer weiß das schon? Dass die Grünen-Kandidatin Sabine Seeliger letztlich scheiterte, lag jedenfalls nicht an ihrem Parteibuch. Sie gilt als Fundi-Vertreterin, also gerade nicht pragmatisch wie Palmer, Salomon oder Frank. Mit Uli Burchardt haben die Konstanzer im Juli einen CDU-Mann gewählt. Aber einen grünen Schwarzen, wie viele sagen. Ganz kommt auch Konstanz nicht von den Grünen los.

Seite 4: Drei Städte im Vergleich

Einwohner: In Tübingen leben 89.000, in Freiburg 229.000 und in Konstanz knapp 86.000 Menschen.

Schulden: Jeder Tübinger ist mit 1037 Euro, jeder Freiburger mit 1852 Euro und jeder Konstanzer mit 1471 Euro verschuldet (Durchschnitt in Baden-Württemberg: 1167 Euro).

Arbeitslose: Im Kreis Tübingen beträgt die Quote 3,3 Prozent, im Stadtkreis Freiburg 6,1, im Kreis Konstanz 4,1 Prozent. Nirgendwo in der EU gibt es so wenige arbeitslose Jugendliche wie in der Region Tübingen.

Landtagswahl: In der Stadt Tübingen haben die Grünen fast 41 Prozent erzielt (CDU 22,8, SPD 23,2). In Freiburg waren es 43,8 Prozent (CDU 20,5, SPD 24) und in Konstanz 37.2 (CDU 28,4, SPD 22,2).