Peter Seifert und der Balinger Bahnhof haben es erneut in die überregionalen Schlagzeilen geschafft. Foto: Maier

Nun hat also auch "Die Zeit" Balingen einen Besuch abgestattet, nachdem ein Leserbrief im Dezember deutschlandweit für Aufruhr sorgte.

Leserbriefe sind was für die Zeitung, sagen wir Onliner gerne. Wer seine Meinung zu einem Artikel kundtun möchte, kann dies über unsere Kommentarfunktion tun. Das ist schon immer so und ist auch den Kollegen von der Tageszeitung bekannt.

Dann allerdings hat Mitte Dezember ein Kollege des Schwarzwälder Boten in Balingen bei einem Leserbrief vermutlich aus Versehen den Online-Haken gesetzt - und unwissentlich einen Medienrummel in Gang gesetzt, der völlig überraschend über die große Kreisstadt an der Eyach hereinbrach.

In seinem Leserbrief beklagte Bahnhofs-Besitzer Peter Seifert die Zustände an "seinem" Bahnhof, überwiegend verursacht von kriminellen Asylbewerbern. Und die Polizei schaue weg, donnerte er.

Sein unabsichtlich online veröffentlichter Leserbrief wurde alsbald tausendfach in den sozialen Netzwerken geteilt - auch verbreitet von eher zwielichtigen Seiten, die diesen Brief als Anlass nahmen, Werbung in eigener Sache zu machen. War ja auch die Gelegenheit: ein Grüner, der die Scheuklappen absetzt! Der endlich die Wahrheit sagt!

Die großen deutschen, und (wie wir vom Schwarzwälder Boten auch) gerne als "Lügenpresse" beschimpften, Medien rückten alsbald in Balingen an - Focus, das ZDF, der SWR und die Bild-Zeitung, um nur einige zu nennen - und führten sowohl die Balinger als auch Querulant Peter Seifert vor.

Mehr als zwei Monate später, sollte man meinen, hat sich der Rummel gelegt. Tatsächlich aber hat sich vergangene Woche erneut eine Kollegin - diesmal Jana Hensel von der Wochenzeitung "Die Zeit" - auf den Weg von Hamburg nach Balingen gemacht, um nach einem Bummel durch die Fußgängerzone ihre Sicht der Dinge zu schildern und zu konstatieren: Die Balinger jammern auf hohem Niveau!

Wir bedanken uns an dieser Stelle natürlich dafür, dass in dem Beitrag auf zeit.de so fleißig auf die Artikel auf unserer Website verlinkt wurde. Immerhin insofern haben wir etwas davon. Was den Rest angeht, hätten wir und auch der Rest Deutschlands (oder zumindest Balingens) auf diesen Artikel verzichten können. Denn: Wie kann man nach drei Übernachtungen im Hotel Lang und einem Gespräch mit dem Betreiber-Ehepaar, einem Bummel durch die Fußgängerzone, einem Treffen mit Peter Seifert, mit dem Oberbürgermeister und mit einer Deutschlehrerin davon ausgehen, ein aussagekräftiges Bild zeichnen zu können?

"In Balingen liegt keine Hundescheiße auf dem Bürgersteig." So beginnt das annähernd 20.000 Zeichen lange Werk (An dieser Stelle, liebe Leser: Keine Angst, so weit wollen wir es hier nicht treiben!). Eine weise Aussage - allerdings eben nur dann, wenn man mit Balingen lediglich die Fußgängerzone verbindet. Die Kollegin hätte sich ruhig mal ein paar Meter abseits der Durchgangsstraße bewegen können - auf dem Binsenbol, dem Heuberg, im Engelestäle oder an der Eyach entlang. Wetten, dass der Text dann anders begonnen hätte?

"Seifert redet viel und gern, er springt oft von einem Gedanken zum nächsten", beschreibt Jana Hensel den redseligen Bahnhofsbesitzer und ergänzt: "Ganz leicht fassen und auf eine stringente Linie bringen lassen sich deshalb auch seine Aussagen nicht."

Damit bringt sie auf den Punkt, was ihr selbst ebenfalls abhanden kommt - oder vielmehr ihrem Text: ein roter Faden. Es wirkt, als hätte "Die Zeit" beim Redaktions-Schnick-Schnack-Schnuck beschlossen, Jana Hensel zur Strafe nach Balingen zu entsenden, damit die Großstädterin in einer unendlich anmutenden Zeichenanzahl ihren Frust ablassen kann. Sehr zum Nachteil der 20.000-Seelen-Gemeinde (die 35.000 schafft Balingen im Übrigen nur mit Ortsteilen!).

Gelungen ist ihr das allerdings nicht. Die Zeit heilt alle Wunden, heißt es so schön. In dem Fall aber hat sie nicht mal alte wieder aufgerissen.

Anmerkung der Redaktion: Wie uns inzwischen zugetragen wurde, war die Verfasserin des Zeit-Artikels nicht erst vergangene Woche zu Besuch in Balingen, sondern bereits vor einigen Wochen. Dennoch ist der Beitrag wie berichtet am 18. Februar 2018 online auf zeit.de erschienen. Übernachtet hat die Verfasserin außerdem nicht wie von uns behauptet im Hotel Lang, sondern in einem anderen Gasthof. Zudem handelt es sich bei der Zeit-Kollegin um eine freie Autorin, weshalb die Idee zu ihrer Reise nach Balingen nicht beim "Redaktions-Schnick-Schnack-Schnuck" entstanden sein kann. Für die Aussage unseres Textes sind diese Punkte jedoch unseres Erachtens ohne Belang.

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