Jörg Binz, Betriebsleiter Kläranlage, (vorne links) stellte im Zuge einer VHS-Betriebsbesichtigung die Anlage vor. Foto: Bohnert-Seidel

Es ist ein ganzer Katalog an Modernisierungen und Erneuerungen an der Kläranlage, für den am Montag der Gemeinderat sein einstimmiges Votum abgegeben hat. Gerechnet wird bei den Maßnahmen zwischen 16 bis 20 Millionen Euro.

Friesenheim - Die Gründe sprechen Bände: Das Alter der heutigen Kläranlage aus dem Jahr 1977, die Vielzahl angeschlossener Haushalte und Betriebe, aber auch der Zuwachs der Bevölkerung in der Gemeinde sowie die gestiegenen Ansprüche an die Reinigungsstufen der Kläranlage zwingen zum Handeln. Die Finanzierung aller Maßnahmen hinsichtlich der Kläranlage wird voraussichtlich in den Wirtschaftsplänen 2023 bis 2028 des Abwasserverbands Friesenheim veranschlagt – gerechnet wird mit 16 bis 20 Millionen Euro. Diese werden ausschließlich durch Kredite finanziert.

Der Gemeinderat hat sich am Montag viel Zeit für die Kläranlage genommen und sich mit Marie Launay Unterstützung über das Kompetenzzentrum Spurenstoffe Baden-Württemberg geholt. Neben einer Erneuerung und Erweiterung der Anlage steht auch eine sogenannte vierte Reinigungsstufe im Raum, die Spurenstoffe, wie sie unter anderem in Arzneimittel, Pestiziden, Insektiziden, Körperpflegeprodukten oder Süßstoffen vorkommen, eliminiert. Die Wissenschaftlerin hat drei in Baden-Württemberg bereits gängige Verfahren vorgestellt: Ozonung, pulverisierte Aktivkohle oder granulierte Aktivkohle. Die Stadt Lahr zählt zu den 25 Kommunen, die die vierte Reinigungsstufe mittels pulverisierter Aktivkohle eingeführt hat. Diese vierte Stufe kostete gut zehn Millionen Euro.

Dem Rat wurde über den für den Abwasserverband Friesenheim zuständigen Ingenieur der Gemeinde Mark Peilnsteiner eine nicht weniger effektive, aber wesentlich günstigere vierte Stufe (eine Million Euro) vorgestellt: Die Einrichtung eines "Retentionsbodenfilters Plus". Über ein gewässerökologisches Gutachten wurde die Planung einer vierten Reinigungsstufe für die Kläranlage Schuttern empfohlen. Mit dem "Retentionsbodenfilter Plus" könnte die Gemeinde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Aufgrund ihres aktuellen Generalentwässerungsplans ist die Gemeinde zur Errichtung eines solchen Filters für die weitergehende Behandlung der Entlastungswassermengen des Regenüberlaufbeckens aus der Kläranlage verpflichtet.

Mit Neubaumaßnahme müssten Gebühren für Wasser erhöht werden

Die Umsetzung muss in den kommenden fünf Jahren baulich umgesetzt werden. In diesem Zusammenhang ließe sich eine "innovative vierte Reinigungsstufe realisieren", führte Peilnsteiner vom Abwasserverband aus. Diese könnte mit Aktivkohle ausgelegt werden und neben den Entlastungswassermengen des Regenüberlaufbeckens die Abläufe der Kläranlage zusätzlich mitbehandeln. Deshalb könnte der "Retentionsbodenfilter Plus" als vierte Reinigungsstufe für die Abwässer des Abwasserverbands gesehen werden und dadurch entsprechende Synergien nutzen. Eine Umsetzung wäre aufgrund der vorhandenen Fläche Richtung Norden unproblematisch.

Bevor es jedoch an der Kläranlage zu einer Umsetzung käme, wird eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, die alle möglichen Formen einer vierten Reinigungsstufe gegenüberstellt. Von dieser Machbarkeitsstudie unabhängig muss die Kläranlage ausgebaut und modernisiert werden. Dringend erforderlich sind im Laufe der kommenden fünf bis zehn Jahre viele weitere Maßnahmen zur Optimierung der Anlage. Bei einer Gesamtinvestitionssumme von knapp 20 Millionen Euro bis 2028, den "Retentionsbodenfilter Plus" miteingerechnet, müsste sich bis zum Ende der Neubau- und Sanierungsmaßnahmen an der Kläranlage die Gebühr für Abwasser und Wasser von aktuell 3,38 Euro auf 4,43 Euro erhöhen. Hinzu käme eine Anpassung der Niedrigwassergebühr von 27 Cent pro Quadratmeter auf 40 Cent.

Der Rat stimmte dafür, die Vertreter der Gemeinde für den geplanten Umbau und Ausbau beziehungsweise die Erweiterung der Kläranlage zu beauftragen. In einer Machbarkeitsstudie sollen jetzt vier Verfahren gegenübergestellt werden. Erwartet wird diese in etwa einem Jahr.

Stimmen aus dem Rat

Bürgermeister Erik Weide: "Zwangsläufig müssen wir alle vier Möglichkeiten zu der Reinigungsstufen nebeneinanderlegen. Aber es gilt auch, den übermäßigen Energieverbrauch zu berücksichtigen. Eine vierte Reinigungsstufe brauchen wir nicht. Diese wäre freiwillig. Wir müssen auch überlegen, was wir den Bürgern über einen höheren Abwasserpreis zumuten können. Außerdem muss noch die Wasserversorgung komplett umgebaut werden. Im Vergleich zu anderen Kommunen war der Abwasserpreis in Friesenheim mit 1,78 Euro sehr billig." Joseph Hugelmann (GLU): "Die Kläranlage muss effektiv und nicht wirtschaftlich sein. Höhere Preise sind in der heutigen Zeit kein Argument. Über den Preis ließe sich vermutlich der Verbrauch senken. Wir sollten immer unser ökologisch Bestes machen."Julius Haas (CDU): "Die Wirtschaftlichkeit steht nicht im Vordergrund, sondern die Sauberkeit von Wasser. Da müssen wir schauen, dieses so sauber wie möglich zu bekommen." Achim Müller (CDU): "Wir können nicht immer für alles die Vorreiter sein und auf der anderen Seite des Rheins fließt weniger geklärtes Wasser. Irgendwann müssen wir auch das Verhältnis betrachten."Hans-Jürgen Kopf (FW): "Der ›Retentionsbodenfilter Plus‹ stellt eine gute Lösung dar. Was das Geld betrifft, spielt es immer eine Rolle."